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#TeamGinaLisa: So bewegend war es heute vor dem Berliner Amtsgericht

Foto: privat
Unfassbar. Das Wort, das ich denke, als ein Ei vom Hausdach auf mich und einen Demonstranten geworfen wird und uns knapp verfehlt. Das Wort, das ich heute so oft wiederholen werde, wie kein anderes. Ich stehe vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin, in dem heute der Prozess um Gina-Lisa Lohfinks angebliche Falschaussage zu ihrer Vergewaltigung fortgesetzt wird. Seit dem frühen Morgen haben sich hier über hundert Unterstützerinnen und Unterstützer versammelt. Sie teilen gemeinsame Erfahrungen, sind laut und zeigen sich solidarisch. Ihr Standpunkt ist klar: „Du bist nicht allein!“ und „Wir glauben dir!“ „Stell dir vor, du wirst vergewaltigt und sollst 24.000 Euro wegen einer angeblichen, falschen Verdächtigung zahlen.“, twittert @SugarfreeShit als eine der vielen Unterstützerinnen heute unter dem Hashtag #TeamGinaLisa. Soweit die Ausgangssituation (Refinery29 berichtete). Stell dir vor, es gibt außerdem ein Video von deiner Vergewaltigung – so wie in Gina-Lisas Fall. In dem bereits 2012 veröffentlichten Clip äußert sie mehrmals: „Hör auf!“. Doch das sorgte vor Gericht bisher für alles andere als klare Verhältnisse. Nein heißt Nein: Ein simpler Satz, der aktuell in Deutschland immer noch nicht reicht, um eine Vergewaltigung rechtlich als solche zu identifizieren. Der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas soll das bald ändern. Die Petition zur Reform des Sexualstrafrechts haben beinahe 200.000 Unterstützer unterzeichnet. Heute ist „Nein heißt Nein“ die Überschrift für alle, die ihre Solidarität für Gina-Lisa vor dem Amtsgericht zeigen. Zwischen den Wortbeiträgen fliegen immer wieder Eier von oben auf die Demonstratinnen und Demonstranten, die vom Dach des benachbarten Hauses zu kommen scheinen. Wie es im Gerichtssaal aussieht? „Ein Mann hat geäußert, dass er das Video ,geil‘ findet“, berichtet Sina, die im Gebäude war, am öffentlichen Mikrofon. Dass ihm Einlass gewährt wurde, während viele der Aktivisten und Aktivistinnen draußen bleiben mussten, findet sie nicht in Ordnung: „Das ist eine Form von verbaler Gewalt“. Die lapidare Feststellung im Saal fiel Sinas Berichten zufolge wenig mitfühlend aus: „Da muss Gina-Lisa Lohfink eben durch." Es sind Aussagen wie diese, die zeigen, was es bedeutet, in Deutschland 2016 eine Vergewaltigung anzuzeigen. Zwischen 85 und 95% der Vergewaltigungen kommen nie vor Gericht, berichtet der „Frauen gegen Gewalt e. V.“. Die Gründe dafür werden mir heute besonders deutlich. Auf meine Frage, warum sie sich mit Gina-Lisa Lohfink solidarisieren, antworten viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass sie glauben, jederzeit selbst Opfer sexueller Gewalt werden zu können. „Wenn man sich vor Augen führt, wie viele Menschen betroffen sind und dass die Hälfte dieser Menschen Frauen sind – eine von sechs – dann geht uns das alle etwas an. Es muss sich etwas gesellschaftlich verändern“, sagt Micha Streibelt, eine der Organisatorinnen der Demonstration zu Refinery29. Alles begann mit einer Facebook-Veranstaltung, erstellt von der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt aus dem Rhein-Main-Gebiet. In Berlin fanden sich vor zwei Wochen sieben Personen, die die Demonstration auf die Beine gestellt haben.

Wenn ich sage Nein, dann heißt es doch Nein

Gina-Lisa Lohfink
Die Atmosphäre vor Ort ist geprägt von Trauer und Wut, aber auch von Austausch und Ermutigung. „Es ist ein sehr ermutigendes Erlebnis“, sagt mir eine der Teilnehmerinnen vor der Kamera im Refinery29-Facebook-Livestream. Sie gehört zu einer Gruppe von Frauen, die Perücken und Sonnenbrille tragen, dazu werden bauchfreie Tops, Bodys und auffälliger Schmuck kombiniert. „Es war wichtig, dass wir das als Gruppe machen, weil ich tatsächlich einfach Angst hätte, so auf die Straße zu gehen. Und weil ich auch schon selbst Opfer sexueller Gewalt wurde und eben danach auch in dem Denkmuster war: Warum habe ich da hohe Schuhe und warum einen kurzen Rock getragen?“ Hohe Schuhe, kurzer Rock: Reicht das schon für eine Vorverurteilung? Dieser Eindruck wurde Gina-Lisa Lohfinks Anwalt Burkhard Benecken definitiv vermittelt. „Es darf einfach nicht sein, dass Frauen aufgrund ihres Aussehens unterschiedlich behandelt werden“, erklärt er gegenüber Refinery29. Die Unterstützung vor Ort war für Gina-Lisa besonders wichtig und bis in den Gerichtssaal zu hören. „Es ging ihr richtig schlecht, aber das hat sie aufgebaut“, so Benecken weiter. Auch Gina-Lisa spricht in einer Verhandlungspause am Nachmittag spontan selbst vor ihren Unterstützerinnen und Unterstützern. Sie ist den Träne nahe: „Wenn ich sage Nein, dann heißt es doch Nein“. Nach beinahe vier Wochen Diskussion klingt das immer noch wie eine Frage – traurig. Denn diese Frage sollte niemand stellen müssen. Update: Auch heute gibt es kein Urteil – die Verhandlung ist vertagt und wird am 8. August wieder aufgenommen, schreibt die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt bei Facebook und kündigt eine weitere Solidaritätskundgebung für das Datum an. Der Grund? Spiegel Online berichtet, dass die Richterin das Video von Gina-Lisa Lohfink auch ohne Ausschluss der Öffentlichkeit zeigen wollte. Daraufhin hat sie mit ihren Anwälten das Gericht verlassen.

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