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Hamburg im Ausnahmezustand: Eine Einwohnerin erzählt vom G20-Terror

Foto: Alexander Koerner/Getty Images.
Der Countdown des Chaos in meiner Stadt lässt sich folgendermaßen runterzählen: Seit Wochen nur dieses eine Thema – G20! Erst hatte man leise Befürchtungen, was durch das Treffen der zwanzig Regierungschefs auf Hamburg zukommt, aus genervt sein wurde dann aber in den letzten zwei Wochen konkrete Angst: Die Uni-Vorlesung wird vorverlegt, da sich sogar die Dozentin Sorgen macht, nicht heil zur Uni zu kommen, (gefühlt) alle teilen mir mit, dass sie während der gesamten G20-Zeit dichtmachen werden: Mein Sportverein, der sonst sogar an Feiertagen geöffnet ist, Ärzte, Cafés, sogar meine geliebten Marktstände verkünden, dass sie am Samstag, den 8. Juli nicht am üblichen Platz zu finden sein werden.
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Draußen tönen Sirenen nonstop, ständig Blaulicht, die ganze Zeit kreisen 3-4 Helikopter über unseren Köpfen, die Geräuschkulisse ist enorm, die Anspannung gigantisch

Zwei Tage vor G20 fahre ich ausnahmsweise mit dem Auto anstatt mit den Öffis zu einem meiner Auftraggeber, der in der HafenCity sitzt. Ein Fehler, den ich schnell bereuen soll. Überall Polizeikolonnen, überall Sirenen, eine schreckliche Stimmung auf den Straßen, alle angespannt. Ich muss nach rechts abbiegen, vergeblich blinke ich, keiner der Polizeiwagen lässt mich rein, die Kolonnen hören einfach nicht auf, ich muss riesige Umwege fahren und brauche am Ende doppelt so lange.
Donnerstag, ein Tag vor dem offiziellen Beginn des Gipfels der Regierungschefs: Hamburg ist ein einziger Stau. Es bleibt einem nichts anderes übrig als zu warten, man kommt kaum vom Fleck, alle paar Minuten kann man sein Auto weitere 30 Zentimeter rollen lassen und Stopp. Es ist warm, man hat die Fenster auf. Draußen tönen Sirenen nonstop, ständig Blaulicht, die ganze Zeit kreisen 3-4 Helikopter über unseren Köpfen, die Geräuschkulisse ist enorm, die Anspannung gigantisch. Aber keiner der Autofahrer pöbelt, alle hoffen nur, dass es irgendwann vorbei ist. Nach knappen zwei Stunden, in denen ich mich gerade mal 200 Meter bewegt habe, beschließe ich, meine Arbeit für heute abzusagen. Freuen kann ich mich darüber nicht, als Selbstständige bedeutet das für mich ein paar Hundert Euro Verlust. Wegen G20.
Der Abend nähert sich, Familie und Freunde aus anderen Städten schreiben mir, ich solle bitte zu Hause bleiben, die Nachrichten zeigen furchtbare Bilder. Wieder diese Anspannung. Meine sehr gute Polizistenfreundin schickt mir gegen 20:30 Uhr eine WhatsApp-Nachricht „Es geht los, es wird schlimm...“ und informiert mich die nächsten Stunden immer wieder „es ist die Hölle“. Verstört bleibe ich zu Hause und frage mich, ob mein Auto vor meiner Haustür sicher steht. Ich rede mir ein, dass alles gut geht, nach Eimsbüttel kommen sie sicher nicht, jedenfalls nicht in meine Straße.
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Gegen 23:00 Uhr wieder eine Nachricht meiner Freundin: „Sie sind in der Nähe, bleib zu Hause“. Jetzt ist es zu spät mein Auto wegzubringen. Bis ich gegen Mitternacht schlafen gehe, verfolge ich einen Livestream und hoffe, dass alles gut geht und es keine Verletzten oder schlimmeres gibt.

Ich bin völlig schockiert, also doch so nah…

Heute Morgen, Freitag 09:00 Uhr: Ich schalte mein Handy an und gehe sofort auf Facebook. Schockiert sehe ich etliche Videos, die zeigen, wie es in Altona, dem Stadtteil nebenan, aktuell brennt und es immer noch Randalierende gibt. Ich spreche kurz mit meiner Freundin, die mir erzählt, dass auf der Osterstraße, unsere Einkaufsmeile - 3 Gehminuten entfernt, viele Schaufenster eingeworfen wurden, nicht nur die Banken, sondern auch die netten, kleinen Boutiquen, Bäcker und Hauseingänge.
Da es mich nicht loslässt, gehe ich los, um mir ein eigenes Bild der Zerstörungswut zu machen. Zur Uni muss ich ja nicht, die Vorlesung wurde verlegt. Ich komme nicht weit, auf dem Weg treffe ich alle paar Meter Freunde, alle besorgt, irritiert und geschockt über so viel unnötige Gewalt.
Die vielen zerstörten Fensterscheiben werden erstmal provisorisch abgeklebt und ausgetauscht. Ich drehe wieder um und laufe nach Hause. Ist das Schlimmste jetzt vorbei? Oder geht es die nächsten Tage doch noch weiter? Mein WhatsApp läuft warm, ich schreibe mit mehreren Freunden gleichzeitig, verschicke Bilder, parallel dazu bekomme ich furchtbare Videos von dem Vandalismus und des gewaltvollen Protests. Alle sind wütend, aber keiner hat Verständnis für diese enorme Zerstörungswut.
Warum das alles? Was sind das nur für Vollidioten, die so viel Spaß daran haben, unschuldigen Menschen so viel Leid und Ärger anzutun? Geht es hier noch um G20? Sicher nicht!
Soll ich mein Auto doch noch wegbringen? Während ich diesen Text verfasse, höre ich immer wieder Sirenen. Mein Freund hat heute Geburtstag, aber nach Feiern ist mir gar nicht. Ich werde dieses Wochenende vor dem Livestream verbringen und hoffen, dass die Gewalt aufhört.

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