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Wie die feministische Porno-Filmemacherin Erika Lust ihre Töchter aufklärt

Wo liegen die Schnittmengen zwischen Mutterschaft und Sexualität? Darauf hat vielleicht niemand eine bessere Antwort als Erika Lust, preisgekrönte Erotik-Filmemacherin und Mutter von zwei Töchtern im Alter von 6 und 10 Jahren. Lust (das ist übrigens nicht ihr richtiger Name) wurde in Schweden geboren, lebt heute aber in Barcelona. Seit 2005 macht sie Filme, die sich explizit mit dem weiblichen Begehren beschäftigen. Sie beschreibt sich selbst als provokative Feministin, die die Pornografie revolutionieren will. Ihre eigene, unabhängige Firma, LustCinema, ist mittlerweile zu einem kleinen Imperium der sexuellen Künste herangewachsen. Lust spricht sich jedoch immer gegen Frauenfeindlichkeit aus und feiert in all ihren Filmen eine gesunde und äußerst intelligente Sexualität.
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In der ersten Episode der Netflix-Dokuserie Hot Girls Wanted von Rashida Jones erklärt Lust, dass sie auch die emotionalen Seiten von Sex zeigen will, nicht nur Erektionen oder irgendwelche Körperöffnungen. Um das zu erreichen, hat sie ein innovatives und interaktives Projekt namens XConfessions gestartet. Hier können Nutzer ihre ganz persönlichen Sex-Geschichten und Fantasien teilen. Einmal im Monat wählt Lust dann ihre ganz persönlichen Lieblingsfantasien aus (etwa eine Pianistin, die ihren sexuellen Höhepunkt auf der Bühne darbietet) und verwandelt sie in Kurzfilme. Im Fokus steht dabei immer ein alternatives Kinoerlebnis für Erwachsene zu schaffen, das auf hohe Produktionswerte und anspruchsvolles Storytelling setzt. Das ist in der aktuellen Welt des Pornos schon eine kleine Revolution an sich. Aber das ist Lust noch nicht genug. Sie möchte auch, dass die Art und Weise, wie wir über Sex fernab des Bildschirms sprechen, revolutionieren.
Zum Beispiel findet Lust es wichtig, dass Kinder den Unterschied zwischen Pornos – die sie als übertriebene Performance betitelt – und realen Sex im Erwachsenenalter kennenlernen, denn der sei mitunter auch schon kompliziert genug. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Produzenten Pablo Dobner, hat Erika Lust daher die gemeinnützige Non-Profit-Organisation The Porn Conversation ins Leben gerufen, die kostenlose Tools anbietet, die Eltern und Lehrern dabei helfen können mit Kindern und Jugendlichen über Sex und Pornografie zu sprechen. Ihr Ziel ist es, dass junge Menschen besser vorbereitet sind, um zukünftig selbstbewusste Entscheidungen zu treffen, die auf Wissen und nicht auf Angst beruhen. Ich habe ebenfalls zwei junge Töchter und bin zudem großer Fan von Lusts Arbeiten. Es interessiert mich brennend, was es laut Lust wirklich bedeutet, Kinder im Zeitalter des Internet-Pornos sexuell aufzuklären, ohne ihnen dabei Angst einzujagen.
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Ich habe via Skype mit Erika Lust gesprochen, die sich zu dem zeitpunkt in ihrem Büro in Barcelona aufgehalten hat. Absolute cool und unbeschwert sitzt sie in einem schwarzen T-Shirt an ihrem Schreibtisch, umgeben von erotischen Filmstills und einer Schweden-Karte. Sie erzählt mir offen von ihrer Arbeit, ihrer Familie sowie ihrer feministischen Vision einer Welt voller erotischer Verbindungen. Wir haben uns über feministische Einstellungspraktiken, über schwedischen Sexualkunde-Unterricht sowie über praktische Tipps für Eltern unterhalten, denen eventuell ein Aufklärungsgespräch mit ihren Kindern bevorsteht.
Refinery29: Was haben Sie ihren Kindern von ihrem Job erzählt?
Erika Lust: Meine Töchter wissen, dass ich ein Unternehmen führe, dass ich Regisseurin und Filmemacherin bin. Sie wissen auch, dass ich in den Medien bekannt bin, weil ich dort über meine Filme und über Feminismus spreche. Ich denke, sie sind sich darüber bewusst, dass meine Filme etwas mit Erotik zu tun haben, weil die Schauspieler*innen ja oft nackt sind – sie kommen zusammen, küssen sich und sie haben Sex. Aber klar, sie verstehen noch nicht alles aufgrund ihres Alters.
Was ist mit Pornos?
Als Mutter zweier Mädchen, die bei mir aufwachsen und die Welt erkunden, ist es schwierig über Pornos zu reden. Ich meine, die Leute haben ja sogar große Angst davor, über Sex zu sprechen. Und Porno ist ein Wort, das mit ganz vielen negativen Konnotationen sowie Sexismus oder Aggressionen gegenüber Frauen besetzt ist. Die meisten, die das Wort Porno hören, verbinden damit etwas Schmuddeliges, etwas Böses. Aber was bedeutet das eigentlich wirklich? Die Pornografie ist ein Medium, in dem Menschen nun mal explizit Sex haben. Manchmal bin ich mir selbst unsicher, wie ich das Wort genau benutzen soll, denn natürlich mache ich auch Pornos! Aber meine Filme unterscheiden sich von den üblichen Pornos, deshalb nenne ich es lieber „Unabhängiges Erwachsenen-Kino“.
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Sie haben einmal gesagt „Der Porno ersetzt die heutige Sexualerziehung“. Als Mutter von zwei Mädchen finde ich das wirklich beängstigend. Was können Eltern tun, um ihre Kinder zu schützen?
Zunächst müssen wir anerkennen, dass solche Pornos existieren. Stattdessen sollten wir beginnen, unsere Meinung darüber kundzutun und miteinander zu sprechen. Wichtig ist, dass wir unsere Kritik öffentlich äußern, genauso wie wir es in anderen Teilen der Gesellschaft auch tun. Eltern können sich online bei Pornhub oder Redtube selbst die Filme ansehen. Ich fühle, dass dort eine schreckliche, frauenfeindliche und rassistische Sprache genutzt wird. Es ist schlimm, welch beleidigenden Ausdrücke sich junge Frauen noch immer anhören müssen. Ein Begriff wie Schlampe ist an der Grenze dessen, was hier legal sein sollte. Ich finde es einfach ekelhaft, wie Teenager dadurch fetischisiert werden. So etwas würde man in keiner anderen Branche erlauben. Das Hauptproblem ist, dass der weibliche Körper noch immer benutzt wird, um andere zu befriedigen. Und die anderen sind leider meistens Männer. Die meisten Menschen, die Unterhaltung für Erwachsene machen, sind sehr....einfach gestrickt. Sorry, ich weiß nicht, wie ich das richtig ausdrücken soll....
Das ist schon okay. Schießen Sie los...
Es ist nur eine kleine Gruppe von Menschen. Die meisten von ihnen sind die Art von Männern, die sich nur für Titten, Ärsche, Drinks und schnelle Autos interessieren. Sie demonstrieren ihre Form der Sexualität, die aber in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren immer schwieriger geworden ist. Nach dem Motto: 'Drück ihn ihr bis in die Kehle! Ich werden die Lady bestrafen!' Für mich ist das so weit weg von Sexualität. Anstatt eine positive Einstellung zum Sex zu haben, sich über seine Sexualität miteinander zu verbinden, was ich für etwas Fantastisches halte, geht es Männern oft nur darum, Frauen zu bestrafen.
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Wie definieren Sie Sex-Positivität?
Sex-Positivität bedeutet, dass man sich selbst und seinem Körper gut zuhört und andere Menschen in ihrer Sexualität respektiert. Es geht darum, gemeinsam eine gute Zeit und Spaß am Sex zu haben. Es geht darum, sich gut zu fühlen. Nein, es geht darum sich verdammt gut zu fühlen! Es geht um die Energie des Lebens.

Es ist unsere Verantwortung, Kindern zu erzählen, dass Pornos übertriebene Sex-Fiktionen sind.

Erika Lust
Wie machen Sie moralisch vertretbare und erwachsene Filme?
In erster Linie geht es um die Arbeitsbedingungen. Bevor die Schauspieler*innen am Set sind, sollte man mit ihnen über ihre jeweiligen Grenzen sprechen. Gibt es etwas, dass sie überhaupt nicht mögen? Welche Art von Gleitgel mögen sie? Wollen sie Kondome benutzen – oder nicht? Und sie müssen wissen, dass sie die Aktion jeder Zeit abbrechen können.
Ich achte penibel darauf, dass die Männer, die ich anstelle, feministisch sind. Sie sind sich darüber bewusst, dass auch die Frauen mal die Anweisungen geben. Meine Crew schafft immer ein schönes Ambiente am Set. Es ist warm und sehr einladend, was mir auch dabei hilft, eine möglichst intime Atmosphäre zu schaffen. Die brauche ich, wenn ich Sex zwischen zwei Menschen filmen will. Auch wenn es Schauspieler*innen sind, die wissen, wie man das vor der Kamera macht, brauche ich eine besondere Stimmung, damit wir eine Verbindung herstellen. Damit dies gelingt, müssen sich die Darsteller*innen sicher und geborgen fühlen.
Was waren ihre ersten Porno-Erfahrungen?
Ich wurde 1977 geboren. Die ersten Bilder von echtem Sex habe ich als Jugendliche in Magazinen gesehen. Später haben wir uns dann auch mal eine Videokassette angeschaut, die der Vater einer Freundin nachts aufgenommen hatte. Wir waren eine Gruppe von ein paar Mädchen, die unbedingt sehen wollten, was Sex wirklich ist. Wir waren natürlich total angewidert – und irgendwie war das alles auch ziemlich lächerlich!
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Inzwischen hat sich die Welt ja absolut verändert. Es gibt das Internet, was wunderbar ist, aber eben auch jede Menge Risiken birgt. Und Pornografie ist in den vergangenen 20 Jahren zu einem Massenmedium geworden. Das können wir auch nicht mehr vermeiden. Früher konntest du es selbst und aktiv entscheiden, wenn du nichts mit Pornos am Hut haben wolltest.
Sie sind in Schweden aufgewachsen. Wie haben ihre Eltern mit ihnen über Sex gesprochen?
Eigentlich waren meine Eltern nicht besonders gut darin. Im Ernst, ich hatte keine super sex-positiven Eltern. Sie waren irgendwie recht normal. Aber ich hatte den großen Vorteil, in eine schwedische Schule zu gehen, die eine hervorragende Sexualaufklärung geleistet hat. Sie haben Sexualität als etwas sehr Natürliches verstanden, weshalb sie uns auch in sehr jungen Jahren schon ein gesundes Verständnis für unsere unterschiedlichen Körper mitgeben wollten.
Wir hatten richtige Sexologen vor Ort, die extra unsere Schule besucht haben. Das waren keine Lehrer, sondern jüngere Leute, die sich auf Sexualerziehung spezialisiert haben. Sie haben uns in kleinere Gruppen aufgeteilt, ehrliche Gespräche mit uns geführt, unsere Fragen beantwortet und uns allerlei Dinge über Sex erzählt. Es war einfach mehr als das typische 'Seid vorsichtig!'. Wir haben uns nicht nur über Geschlechtskrankheiten und das Schwangerschaftsrisiko unterhalten, sondern sie haben uns auch Strategien an die Hand gegeben, wie man sexuell mit jemanden aktiv werden kann, ohne Sex zu haben. Petting und andere Möglichkeiten sich mit der Hand zu berühren zum Beispiel.
Wie alt waren Sie da?
Ich glaube, das war als ich etwa 12 Jahre alt war. Aber es war nicht nur ein Schuljahr lang, sondern ein anhaltender, kontinuierlicher Austausch. Mit 13, 14, 15 wurde es dann ernster. Wir hatten immer Kontakt zu Schultherapeut*innen, Psychologen und sogar zu einem speziellen Zentrum, wo wir vertrauliche Fragen stellen und uns sicher sein konnten, dass nichts davon nach außen dringt.
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Glauben Sie, dass Kinder diese Art der Sexualerziehung auch heute bekommen? Ich weiß, dass es hier in den USA nicht passiert. Wie ist es in Barcelona?
Nein, hier auch nicht. Obwohl Barcelona sehr fortschrittlich ist, ist der Sexualkundeunterricht noch immer unzureichend. Er beginnt viel zu spät. Meine Tochter ist gerade zehn geworden und hat bisher noch nicht den Aufklärungsunterricht erhalten, den ich mir für sie wünsche. Sie weiß nur so viel, weil wir zuhause darüber reden. Sie versteht schon, dass die Welt geteilt ist und welche Machtstrukturen es gibt. Mein Mädchen ist gut vorbereitet. Ihr Freunde aber wissen noch sehr wenig. Sie haben weder das Wort Feminismus je gehört noch wissen sie, was Chauvinismus ist.
Was ist mit ihrer jüngeren Tochter?
Sie ist gerade erst sechs Jahre geworden. Aber die zweite wird noch schneller erwachsen. Neulich erzählte sie mir: 'Die Klitoris ist der Schlüssel zum Vergnügen!
Was raten sie Eltern, die ungern Gespräche über Sex führen?
Geht nicht zu aggressiv vor. Zwingt sie nicht zu einem Gespräch. Versucht es lieber in den Alltag zu integrieren. Und: Tolle Geschichten sind sehr mächtig. Das ist auch ein Grund, warum ich die Art von Filmen mache, die ich mache. Ich mag es, Menschen erotische Geschichten zu erzählen. Man darf Kindern auch Geschichten erzählen, die man selbst mal gehört hat, damit sie alle nötigen Informationen bekommen. Und mein Tipp für Eltern, die denken 'Oh mein Gott, das kann ich nicht!': Bitten Sie einen Freund, es für sie zu tun. Vielleicht ist ihre Schwester offener als sie und kann bei dem Gespräch helfen.
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Es ist schwer alles zu überwachen, was unsere Kinder online so machen. Denken Sie, wir sollten das immer und ständig im Auge behalten?
Nein, das ist zu viel verlangt. Es ist sehr schwer, sie immer und überall zu beschützen. Es geht stattdessen mehr darum, für sie da und offen für Gespräche zu sein. Sie haben nun mal Zugang zu dieser Technologie. Was können wir also tun? Unsere Aufgabe ist es, sie zu begleiten, ihnen kritisches Denken beizubringen, Strategien aufzuzeigen, um in schweren Situationen zu bestehen. Das müssen wir auch bei Pornos machen, mit Sex, Drogen und Alkohol. Und wir müssen uns den Geschlechterfragen endlich stellen.
Es gibt viele audiovisuelle Inhalte, die wir erstellen, die aber für Kinder im Alter von 6, 10 oder 12 Jahren nicht geeignet sind. Es ist wichtig, dass wir unseren Kindern erzählen, dass manche Inhalte nur für Erwachsene gemacht werden. Als Mutter möchte ich ihnen erklären, dass sie im Netz auf all dieses Material stoßen werden. Ein Teil davon wird sie vielleicht auch schockieren. Dann muss man es ausschalten, sie bitten, etwas anderes anzusehen. Das ist wie mit einem Horrorfilm – wenn sie ihn gesehen haben, können sie danach womöglich auch nicht einschlafen.
Was ist, wenn sie ihn trotzdem ansehen?
Es ist unsere Verantwortung, Kindern zu erzählen, dass Pornos übertriebene Sex-Fiktionen sind. Es ist nicht dasselbe wie echter Sex. Es ist nicht das, was Erwachsene tun, wenn sie Sex haben. Es ist eher so, als würde man einen Actionfilm mit Stuntmen sehen. Die tun auch Dinge, die normale Leute nicht können. Wir müssen ihnen sagen, dass Sex im wahren Leben nicht nur etwas rein Körperliches, sondern auch Emotionales ist. Und der Gefühlsteil ist noch viel schwieriger. Sex braucht Zeit. Es braucht Zeit, seinen eigenen Körper und den des anderen kennenzulernen. Es braucht Zeit herauszufinden, was der andere mag. Es braucht Zeit zu erfahren, wie ihr zusammen funktioniert – und zwar so, dass es für euch beide großartig wird. Das große Problem des Pornos ist heute, dass er auf die männliche Sexualität ausgerichtet ist. Dabei handelt es sich doch um etwas, das Frauen für Männer und Männer für Frauen tun.
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In welchem Alter sollten Eltern mit ihren Kindern über Pornos sprechen?
Auf unserer neuen Webseite The Porn Conversation, geben wir Eltern die nötigen Ressourcen an die Hand. Wir möchten den Dialog eröffnen, zeigen, wo sie Artikel lesen und Personen finden können, die sich bereits Gedanken zu dem Thema gemacht haben. Je nach Alter und Reife des Kindes, haben wir drei verschiedene Guides erstellt. Denn es ist ein Unterschied, ob sie mit einem 9-jährigen sprechen, der gerade zum ersten Mal Zugang zum Internet hat oder mir einem 14-jährigen. Und das ist auch in Ordnung so. Ich denke wir sollten uns nicht schämen... Wir könnten stattdessen sagen: 'Manchmal schaue auch ich Pornos. Ich mag einige von ihnen sogar. Aber versucht kritisch zu sein und herauszufinden, was eure Werte sind.
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