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Pepsi glaubt, dass unsere Generation niedlich protestiert – und unterschätzt uns

Alle diskutieren über den Pepsi-Spot von Kendall Jenner. Mittelpunkt des Skandals ist aber nicht die Kardashian-Schwester, die gar nicht Kardashian heißt, sondern die Botschaft, die der Werbespot vermittelt: Kein politisches Anliegen ist so groß und wichtig, dass es nicht mit einer Dose Pepsi aufgelöst werden könnte.
Für alle, die den Spot nicht kennen oder eine kurze Auffrischung brauchen, kurz zum Inhalt: Kendall Jenner posiert in einem Kleid und mit blonder Perücke für ein Fotoshooting. Sie sieht eine protestierende Menge vorbeiziehen. Die Schilder der Protestierenden zeigen generische Botschaften wie „Peace“, Friedenssymbole und „Join the Conversation“. Einer der Demonstranten nimmt Augenkontakt mit ihr auf und nickt ihr auffordernd zu. Kendall nimmt ihre blonde Fotoshooting-Perücke ab, wischt sich den Lippenstift von den Lippen und marschiert – nach einem nicht gezeigten Outfitwechsel – im Jeanslook, mit leichterem Make-up und eisgekühlter Pepsi in der Hand mit der Menge weiter. An einer Polizeiabsperrung bleibt der Demonstrationszug stehen und Kendall reicht einem Polizisten eine Dose Pepsi. Der öffnet das Erfrischungsgetränk grinsend und die Menge applaudiert. In der letzten Einstellung ist „Live for Now“ unter dem Logo der Marke zu lesen.
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Soweit der Inhalt der wohl meist diskutierten Werbung der letzten Tage. Wenn man sich das so durchliest, fragt man sich vielleicht: Worüber regen sich denn alle auf? Ist doch nur Werbung.
Werbung findet aber nicht in einem Vakuum statt, das nichts mit der Gesellschaft oder unseren Werten zu tun hat. Werbung erzählt Geschichten, die uns dazu bringen sollen, ein Produkt zu kaufen. Dabei werden Ideale aufgebaut, negative Verhaltensweisen aufgezeigt, aber auch Trends gezielt genutzt, um die eigene Marke zu positionieren. Im Falle der Pepsi-Werbung heißt das, dass man auf auf das vermeintlich hippe Thema „politische Demonstrationen“ aufgesprungen ist. Nicht erst, seitdem Donald Trump Präsident ist, hat es in den USA, dem Zuhause der vorrangigen Zielgruppe des Werbespots, zahlreiche Demonstrationen und politische Kundgebungen gegeben. Ob Black Lives Matter, der Women’s March oder Proteste für die Rechte der LGBTQ-Community: Menschen gehen auf die Straßen und tun ihre Meinungen kund.
Im Hause Pepsi dachte man sich wahrscheinlich im Vorfeld: „Oh, politische Proteste sind gerade angesagt? Da stricken wir doch einen Werbespot dazu!“. Weil man dann aber wohl doch ein wenig Angst bekommen hat, sich allzu klar pro oder kontra kontroverser politischer Meinungen zu positionieren, hat man das denkbar kuscheligste Protestthema gewählt: Friede, Freude, Pepsidosen. Um die Wohlfühlidylle zu vervollständigen, hat man noch einen möglichst diversen Protestzug zusammengeschustert: schwarze Jugendliche breakdancen, eine junge Frau mit Kopftuch schießt Fotos, ein Jugendlicher mit asiatischem Hintergrund spielt Cello. Auf die kulturelle Vielfalt der Protestierenden wird man mit der Nase gestoßen, gleichzeitig verschwimmen die verschiedenen Charaktere aber zu einem – zugegebenen bunten – Hintergrundrauschen, aus dem nur Kendall hervorsticht.
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Auch auf die Gefahr hin, die Rolle des Spaßverderbers einnehmen zu müssen: Politische Veränderungen sind kein Volksfest, wie im Pepsi-Spot dargestellt. Da geht es nicht darum, dass „alle eine tolle Zeit“ haben, oder möglichst viele coole Selfies mit nach Hause nehmen können. Der Zweck von Demonstrationen ist das Aufzeigen von Unzufriedenheit und Frustration mit der Ist-Situation. Protestierende stellen sich bewusst in den Weg und sagen: „Ich bin nicht einverstanden.“. Das ist unbequem, das ist kontrovers, aber das ist auch der Sinn und Zweck von Protesten. Außerdem gibt es keine Dresscodes und kein perfektes Demo-Make-up. Dass könnte man aber glauben, wenn man Kendall Jenner noch schnell vom kleinen silbernen in einen Kopf-bis-Fuß-Jeans-Look – der aber wahrscheinlich doch mehr kostet, als das Monatsgehalt der anderen Protestierenden – wechseln sieht.

Es gibt keine Dresscodes und kein perfektes Demo-Make-up.

Aber Schwamm drüber, dass ein Unternehmen wie Pepsi Proteste geschönt darstellt und ihnen jegliche Aussage und Relevanz nimmt. Richtig zynisch wird der Spot in seinem Finale, wo Kendall einen Bonding-Moment mit einem Polizisten teilt, als sie ihm eine Dose Pepsi gibt und sich der gesamte Protest in eine große Pepsi-Party zu verwandeln scheint. In der Realität passiert es immer wieder, dass Demonstrationen eskalieren, es zu Gewalt auf beiden Seiten, auch durch Polizisten, kommt. Verhaftungen, Sachschäden, Verletzungen und in Extremfällen sogar Todesfälle: laut dem Pepsi-Spot alles vermeidbar durch eine kameradschaftlich geteilte Pepsi-Dose. Hätte das bloß jemand Martin Luther King, Malcolm X oder Ieshia Evans gesagt. Letztere hatte sich bei einem Black Lives Matter-Protest unbewaffnet und in einem Sommerkleid mehreren – in schwerster Ausrüstung gekleideten - Polizisten in den Weg gestellt und war anschließend verhaftet worden. Ein Bild des Aufeinandertreffens kursiert schon länger auf Social Media und dürfte Inspiration gewesen sein für den Kendall-Polizisten-Moment im Pepsi-Spot.
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Festival-Ästhetik statt Auseinandersetzung mit politischen Forderungen, Fokussierung auf Äußerlichkeiten und zum Drüberstreuen noch Ignoranz gegenüber realen gesellschaftlichen Problemen: Pepsi scheint zu glauben, dass es für seine weichgespülte Demonstrations-Farce eine Zielgruppe gibt. Und wer könnte es dem Unternehmen verdenken? Medien zeichnen gerne das Bild einer politverdrossenen, desinteressierten und verzogenen Jugend, auf die die oben genannten Vorwürfe genauso passen würden wie auf den Spot. Liest man Zeitungsberichte und Leitartikel, kommt man zum Schluss: Millennials interessieren sich mehr für sich selbst und ihre Instagram-Likes statt für Nachrichten und politische Entwicklungen. Alles, was sie schaffen, ist „Hashtag-Aktivismus“: ein Like für einen politischen Artikel hier, ein Share für einen Spendenaufruf dort. Aber einen richtigen Protest? Dafür sind die zu faul und selbstbezogen.
Blöd nur, dass solche pauschalisierenden Aussagen nie so ganz stimmen. Der erwähnte Women’s March ist etwa eine der größten Demonstrationen in der US-Geschichte gewesen. Soziale Netzwerke können für mehr genutzt werden als Boosts für das eigene Selbstvertrauen. Und Black Lives Matter zeigt immer wieder, dass Hashtag-Aktivismus nicht zwingend ein Zeichen von Bequemlichkeit ist, sondern ein Werkzeug sein kann, Problemen eine Bühne zu geben, die in den klassischen Medien zu wenig Beachtung finden.

Ein Like für einen politischen Artikel hier, ein Share für einen Spendenaufruf dort. Aber einen richtigen Protest? Dafür sind die zu faul und selbstbezogen – so zumindest der Tenor.

Auch die Reaktionen auf den Werbespot zeigen, dass „die Jugend“ nicht so ignorant und hedonistisch ist, wie der Spot einen glauben machen möchte. Es braucht kein Model, keine generischen Protestschilder und keine Feel-Good-Atmosphäre, um politisch interessierte Menschen anzusprechen. Vor allem braucht es keine Bagatellisierung von ernstzunehmenden gesellschaftlichen Problemen. Pepsi selbst hat sich übrigens mittlerweile für den Spot entschuldigt und gesagt, dass sie nicht vorhatten, ernsthafte Thematiken zu verharmlosen.
Dass Werbung auch anders sein kann, als ignorant und flach, zeigen die Super Bowl Spots dieses Jahres. Neben Airbnb und Google war es ausgerechnet Pepsi-Konkurrent Coca Cola, der mit seiner Werbung eindeutig Stellung bezog: America The Beautiful, gesungen in verschiedenen Sprachen, während im Hintergrund verschiedene Menschen tanzen, essen, wandern, arbeiten, schlichtweg ihr Leben leben. Damit hat Coca Cola zumindest eines besser verstanden als Pepsi: Die Motivation hinter Protesten und Demonstrationen – ein gutes Leben.
Ana Grujić ist freie Redakteurin bei Refinery29 Germany. Die im Artikel enthaltenen Ansichten sind die der Autorin.

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