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Die Welt ist ein Scheißort – Bin ich egoistisch, weil ich Kinder möchte?

Liebes Refinery29-Team,
Ich will Kinder. Nur ist „wollen“ aktuell nicht Grund genug: An etlichen Orten der Welt herrscht Krieg, die Amerikaner scheinen kurz vor einem nuklearen Schlagabtausch mit Nordkorea zu stehen, Trump ist einer der mächtigsten Männer der Welt – und ein Frauen belästigender, rassistischer Egoman noch dazu, unser Planet ist quasi zum Niedergang verdammt. Manchmal denke ich, es ist wichtig, Kinder zu bekommen, damit wir neue, empathische Menschen großziehen, die die Welt verbessern können. Andererseits könnte ich genauso gut adoptieren oder mich als Mentorin für solche Zwecke einsetzen. Ist es bei all dem Unheil auf der Welt noch rechtzufertigen, eigene Kinder bekommen zu wollen? Macht es mich zu einer Egoistin, wenn ich noch ein Kind in diese Welt setzen möchte?
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Beste Grüße, die vielleicht-Egoistin
Hallo liebe vielleicht-Egoistin,
ich erinnere mich noch genau an den Moment, in dem ich meine neugeborene Tochter zum ersten Mal in den Armen hielt. Ich schaute ihren winzigen, wunderschönen Körper an und dachte, Oh, Shit! Das war der Augenblick, in dem ich realisierte, dass ich eine Tochter in eine Welt brachte, in der Frauen noch immer nicht gleichwertig behandelt werden. Eine Welt, in der jeder, der kein weißer Mann ist, mit anderen Maßstäben gemessen wird.
Wir sind uns einig: Die Welt ist ein Scheißhaufen, der bestialisch stinkt. Deine Angst ist demnach eine völlig nachvollziehbare Reaktion auf die „Sollte ich mich fortpflanzen oder nicht?“-Debatte. Aber die Sache ist doch die: Die Welt ist heute nicht schlechter, als sie es jemals war. Stell dir vor, im 19. Jahrhundert ein Kind zu bekommen – dein Kind hätte damals mit großer Wahrscheinlichkeit sämtliche Kinderkrankheiten gar nicht überlebt. Es gab keine Impfungen. Bürgerkriege lauerten hinter jeder Ecke. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allein hattest du die pandemische Spanische Grippe, zwei Weltkriege und noch dazu Polio. Aber die Menschheit hat weitergemacht und weitere Kinder bekommen. Vielleicht sind wir auch einfach eine enorm dumme Spezies. Vielleicht sind wir egoistisch und zu verachten dafür, dass wir uns fortpflanzen, wenn wir unseren Nachkommen keine bessere Welt garantieren können.
Aber ich will das nicht glauben. Ich glaube, dass wir Kinder bekommen, weil wir ein kleines Licht am Ende des Tunnels sehen. Einen guten Menschen aufzuziehen, sich seiner Entwicklung zu widmen, dein Kind mit jeder Zelle, jeder Pore deines Körpers zu lieben, das alles sehe ich als einen Akt des Widerstands gegen die Dunkelheit, die da draußen lauert. Es ist ein Akt der Hoffnung, weil wir so bessere Menschen als uns selbst schaffen wollen und somit unseren Beitrag für eine bessere Welt leisten. Dass sie gleichzeitig auch unsere Welt verbessern können, ist nur ein zusätzlicher Bonus.
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Wenn ich in Form meiner Tochter meine DNA in Aktion sehe, dann überkommt mich ein Gefühl der Erlösung und ich bemerke, dass alles, was ich je an mir selbst gehasst habe, durch dieses neue Leben beiseite tritt. Natürlich ist nicht alles Glanz und Gloria: Elternsein beinhaltet Arbeit, Dreck, Anstrengung und Nerven. Es bedeutet, verschlafen und mit leerem Magen aufzustehen und Durchfall und Erbrochenes von ungeahnten Stellen zu entfernen. Manchmal bedeutet es auch endlose Langeweile. Manchmal liege ich auf dem Boden und spiele mit meiner Tochter, dann packt sie ihren Spielzug, lässt ihn mit Nachdruck über mein Gesicht fahren, während sie „Papa ist cooler als du!“ brüllt und mir abschließend einen stinkenden Furz als Gruß hinterlässt.
Ein bisschen verwundert war ich über deine Differenzierung zwischen leiblichen und adoptierten, bzw. Pflegekindern. Die letzteren Wege der Familiengründung bringen zwar kein neues Menschenleben auf den Planeten, das Elternsein beinhaltet hierbei allerdings dieselben Aufgaben. Wenn du ein Kind großziehst, egal woher es kommt, ob aus deinem Körper oder aus einer anderen Familie, dann bist du dafür verantwortlich, ihm alle Mittel an die Hand zu geben, sich im Chaos der Welt zurechtzufinden. Ich habe allerdings das Gefühl, dass du dir ein biologisch eigenes Kind wünschst.
Nun dazu: Deine Gebärmutter ist kein Werkzeug, das du einsetzen sollst, um die Erwartungen irgendeiner Gesellschaft zu erfüllen. Die Tatsache, dass sich so viele Frauen fragen, ob ihr Wunsch nach einer Schwangerschaft, einem Kind, einer Abtreibung oder einfach keinem Kind egoistisch ist, ist ein Fehler im System, nicht deiner.
Wer kein Kind oder noch etwas warten will, wird als egoistisch bezeichnet, weil sie sich selbst, ihre Ziele und Ambitionen in der Prioritätenliste ganz oben sieht. Wer unbedingt ein eigenes Kind möchte, der wird vorgeworfen, dass sie zur globalen Erwärmung beiträgt, die Umwelt weiter zerstört und keine Rücksicht auf die Überbevölkerung nimmt. Noch dazu soll es gierig und egoistisch sein, dein Ebenbild im Lächeln deines Kindes erkennen zu wollen. Aber weißt du was? Das ist ein dummer Partytrick des Patriarchats.
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Wir müssen aufhören, diese Schiene mitzufahren. Es ist nicht egoistisch, dir dein Leben so zu gestalten, wie du es willst. Und wenn Kinder dazugehören, dann ist das so. Ob es deine leiblichen Kinder sein werden oder adoptierte, das sei ganz euch überlassen. Aber bitte habe sie. Liebe sie. Blase ihnen Pusteblumen ins Gesicht, spielt Piraten, lass sie von deinem Eis probieren und schau dabei zu, wie ihnen alles an ihrem speckigen Babykinn herunterläuft. Atme ihren Babyduft ganz tief ein. Versuche, dir dein angeekeltes Lachen zu verkneifen, wenn sie durchgekautes Hähnchen hochwürgen und es dir in die Hand drücken wollen. Finde all diese kleinen Lichtstrahlen und lass sie dein Leben erhellen.
Falls du dich nach reiflicher Überlegung dagegen entscheidest, Kinder zu bekommen, dann sei es so. Aber distanziere dich von der Argumentation des Egoismus. Du kannst einfach so keine Kinder bekommen. Die Fragen von Freunden und Verwandten werden zwar nicht aufhören, aber das tun sie auch bei mir nicht – und ich habe schon zwei Kinder. „Warum nicht noch eins?“ ist eine der häufigsten Fragen, die ich gestellt bekomme.
Die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen, selbst wenn das nur in deinem Mikrokosmos klappt, ist nicht egoistisch.

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