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Schnute statt Smiley – die Kanzlerin merkelt am Jungwähler vorbei

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich den Fragen von vier Youtubern gestellt. Aufschlussreich war die Live-Fragerunde im Netz nicht. Schuld daran waren aber weder die Interviewer, noch die Interviewte - eine Stilkritik.
Foto: Getty Images/Andreas Rentz, Artwork: Ira Bolsinger
Es ist 13.30 Uhr - die Netz-Runde mit der Bundeskanzlerin startet pünktlich, wie angekündigt. Immerhin gibt es keine Zeit zu verlieren: Die vier Youtuber, die Angela Merkel ins Verhör nehmen dürfen, haben nur jeweils zehn Minuten Zeit, ihre Fragen zu stellen.
Also geht es gleich zur Sache. Nach der obligatorischen Begrüßung im Studio, dem Youtube-Space in Berlin, macht Lisa Sophie (Alias "ItsColeslaw") den Aufschlag. Es wird kurz gemenschelt ("Hallo Frau Bundeskanzlerin, oder ist Frau Merkel okay?" - "Frau Merkel ist absolut okay"), bevor gemerkelt wird. Die Bundeskanzlerin präsentiert sich gewohnt aufgeräumt und abgeklärt, eine vermeintliche Unsicherheit oder Anspannung gegenüber der Youtube-Audienz - also den begehrten Jungwählern - ist nicht auszumachen. Holt Merkel das Ding wieder nach Hause?
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"Stichwortgeber 2.0", "Ein Pennäler im Kanzleramt", "Muttis Liebling" - als Youtuber Florian "LeFloid" Mundt die Bundeskanzlerin vor zwei Jahren interviewt hat, war die Kritik aus den Medien groß. Er habe Angela Merkel ein perliges PR-Stück beschert, harmlose Fragen gestellt - und gezeigt, "wie die etablierte Politik für junge Leute zu einer fremden Welt geworden ist", urteilte damals etwa die "FAZ".

Die Zeit rennt

Doch auch diese Fragerunde konnte die Bundeskanzlerin nicht aus der Reserve locken - von einem PR-Stück für Angela Merkel kann aber auch nicht die Rede sein. Die Diskussion um "Themen von gesellschaftlicher und persönlicher Relevanz", wie es vorab in einer Pressemitteilung des produzierenden Studio71 hieß, mutete wie eine Speed-Dating-Runde an: oberflächlich, schnell schnell, nicht sonderlich tiefgründig. Der Modus - vier Youtuber, ausgestattet mit Fragen zu je einem Themenkomplex und zehn Minuten Zeit - ließ schlichtweg keine ungemütlichen (Nach-)Fragen zu. Im Umkehrschluss: Auch Angela Merkel blieb nichts anderes übrig, als gebetsmühlenartig ihre bekannten Catchphrases runterzuspielen.
Und so stößt "ItsColeslaw" selbst beim Thema soziale Gerechtigkeit - wo Merkel sogar ihrem Kanzleramt-Herausforderer Martin Schulz (SPD) mit Leichtigkeit einen Seitenhieb hätte verpassen können - auf abgehangene Phrasen. Klar, man müsse möglichst vielen Menschen mehr Arbeit geben, Langzeitsarbeitlosen noch mehr helfen, Bildungschancen verbessern. Sobald es konkreter wird, wie es "ItsColeslaw" auch einfordert, mäandert Merkel ungehindert an den vermeintlichen Fallstricken vorbei. Weil sie es kann. "Es ist nicht so gut, wie wir uns das wünschen. Das muss verbessert werden" ist noch das größte Eingeständnis, das Merkel zu diesem Thema macht. Am Ende des Frageblocks wird noch eine unheilvolle Twitter-Umfrage eingespielt: Rund 60 Prozent der Befragten sehen die Bundesrepublik nicht als gerechtes Land an. Was sagen Sie dazu, Frau Merkel? "Ich glaube, dass der Kampf um Gerechtigkeit nie vorbei ist. Zufrieden kann man da aber auch nicht sein. Daran müssen wir weiter arbeiten." Danke für das Gespräch.
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Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel (M.) hat sich den Fragen von Youtubern gestellt - doch die Fragerunde hatte ein Problem.

Das Lieblingsemoji von Angela Merkel

Bei Alexander "AlexiBexi" Böhm kommt die Runde schon mehr in Fahrt. Buchstäblich: Er will die Kanzlerin zur angeschlagenen Auto-Nation Deutschland ausquetschen. Er konfrontiert die Kanzlerin unverfroren mit Versprechen aus der Vergangenheit, Ehrlichkeit in der Politik, hakt nach. "Wir müssen die Fehler schonungslos beim Namen nennen, wo die Wirtschaft das schon nicht selber tut", winkt die Kanzlerin die Diesel- und Abgasaffären unaufgeregt ab. Ausbau der E-Mobilität? "Da dürfen wir nicht aufgeben und müssen Druck machen." Flächendeckendes Breitbandinternet? "Wir haben da unglaublich viel gemacht. Ländliche Räume sind da aber immer noch unser Sorgenkind." Zwar versucht "AlexiBexi" die Kanzlerin aus der Reserve zu locken, ins Schwitzen kommt ein geübter Interview-Profi wie sie dabei aber noch lange nicht. Um tiefer in Themen einzusteigen, fehlt schlichtweg die Zeit. Noch eine schnelle (und skurrile) Frage zum Schluss: "Haben Sie ein Lieblingsemoji?" Merkel: "Smiley. Wenn es gut läuft, kommt noch ein kleines Herzchen dran. Wenn es mal nicht so gut läuft, kann man auch die Schnute nehmen."
Wenn Angela Merkel die zehn Minuten mit Ischtar Isik (auch der Name ihres Youtube-Kanals) in einem Emoji zusammenfassen müsste, würde sie vermutlich den Smiley wählen. Denn hier kommt das für Merkel eigentlich zentrale und relevante Thema zur Sprache: junge Erstwähler. Darauf hat sie sich vorbereitet. Sie referiert, wie wichtig Wahlen und die Stimmabgabe sei, sie in der DDR nicht so viele Freiheiten genießen konnte, dass sie selbst in sozialen Netzwerken wie Instagram und Facebook unterwegs sei (um "Kontakt herzustellen"), eine Frauenquote von 50 Prozent im Kabinett "absolut erstrebenswert" sei. Nur kurz leistet sich Merkel einen Patzer, als Ischtar Isik sich für ihr erstes Interview bedankt. "Ihr allererstes Interview? Im Leben? Sonst machen Sie nur Selbstdarstellung?" - noch ungelenker kann man mit einem Youtuber wohl nicht smalltalken.
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"Wir haben Meinungsverschiedenheiten"

Geschickt springt Mirko "MrWissen2go" Drotschmann, gelernter Journalist, auf Merkels Netzaktivitäten auf - und schlägt eine Brücke zu dem Verhältnis von Angela Merkel und Erdogan. Wie ihr Beziehungsstatus bei Facebook lauten würde? "Wir haben schon viele Meinungsverschiedenheiten. Auf der anderen Seite scheuen wir uns nicht davor, diese auch auszutragen", sagt sie. Und versichert: "Wir können miteinander sprechen. Auch, wenn wir in vielen Fragen leider nicht immer der gleichen Meinung sind." Auch die Nachfrage, warum man in der Angelegenheit um inhaftierte Deutsche nicht weiter komme, pariert Merkel stoisch. Man tue alles für die Inhaftierten, die Situation sei "extrem unzufriedenstellend" - aber die Neuausrichtung der Außenpolitik habe bereits Wirkung gezeigt. Welche, ist nicht überliefert.
Es wird noch der Nordkorea-Konflikt angesprochen, US-Präsident Donald Trump, die Flüchtlingskrise und die Insolvenz von AirBerlin. Allesamt Themen, über die man vermutlich seitenlange Abhandlungen schreiben könnte. Mirko "MrWissen2go" Drotschmann und Angela Merkel haben für das gesamte Programm nur zehn Minuten Zeit.
Und so lassen sich die Youtuber-Interviews mit Angela Merkel leider nur mit einer "Schnute" statt einem Smiley, wie die Bundeskanzlerin sagen würde, zusammenfassen. Die Tatsache, dass sich Angela Merkel den Jungwählern über Youtube nähern will, ist zu begrüßen. Ebenso das Interesse der Filmemacher, der Kanzlerin auf den Zahn zu fühlen. Nur bringt man den im Zweifel unentschiedenen Jungwählern Politik näher, wenn man in Wirklichkeit nur sporadisch darüber spricht? Das wäre vielleicht eine Frage für das nächste Youtube-Interview mit Angela Merkel.

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