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Schwuler Roma im Interview: „Homosexualität darf es nicht geben“

Im vergangenen Jahr erschien in der Edition Faust der vieldiskutierte Roman "Nachts, wenn Schatten aus dunklen Ecken kommen" über einen schwulen Roma in Deutschland, der seine Homosexualität akzeptiert und sich über die Traditionen seiner Gemeinschaft hinwegsetzt.
Die Geschichte, die Katja Behrens darin erzählt, basiert auf den wahren Erlebnissen von Gianni Jovanovic, der sich bis heute in der Kölner Gruppe "Queer Roma" engagiert. Im Interview mit Frank Hebenstreit berichten er und sein Lebenspartner Paul vom früheren Doppelleben, dem Ausbruch in die Freiheit, dem Verhältnis zur Großfamilie heute und den Auswirkungen des Buches auf jüngere Roma-Generationen.
Die Geschichte von Gianni Jovanovic wurde im vergangenen Jahr als Buch veröffentlicht
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Du wurdest bereits mit 14 verheiratet, um dann mit 24, als zweifacher Vater, aus der Großfamilie auszubrechen, um offen schwul zu leben. Was war das für ein Gefühl?
Gianni: Ein ganz großartiges Gefühl. In so einer Großfamilie nimmst du deinen Platz ein, da ist nichts mit Individualität. Ich war wie gesagt 24 und kannte nichts anderes. Jeder hat mir in den Jahren seine Scheiße aufgedrückt, und ich hatte sie zu tragen wie jeder andere in so einer Familie auch.
Ich bin in einer Familie mit sehr, sehr viel Liebe aufgewachsen, aber auch mit dem Anspruch, das Rollenbild, das diese Familie von mir erwartet, zu erfüllen. Aber das konnte ich nicht. Nach meinem Ausbruch hatte ich das Gefühl, das erste Mal den Rücken durchstrecken zu können und ich selbst zu sein. So ganz gerade, mit Krönchen. Einem Krönchen aus Scheiße, aber ein Krönchen.
Klingt witzig, war es aber wohl nicht, oder?
Paul: Nein, ganz und gar nicht. Gianni und ich waren ja schon knapp zwei Jahre zusammen zu dem Zeitpunkt. Bis dahin hatten wir ein Doppelleben geführt. Fast immer in den schönsten Momenten musste Gianni aufstehen und gehen. Zurück zur Familie. Ostern, Weihnachten, Geburtstag, er hat nie bei mir übernachtet. Das war zwar für mich hart, aber ich wusste, für ihn war es noch viel schlimmer.
Gianni: Ohne diesen wunderbaren Mann an meiner Seite hätte ich das sicher nicht geschafft. Er gab mir von Anfang an das Gefühl, dass ich bei ihm alles sein kann, was ich will. Aber vor allem: Ich selbst. Und so habe ich in der ganzen Zeit mich selbst gesucht, gefunden und schlussendlich die Kraft gefunden, zu mir zu stehen und mein Leben dafür zu ändern, dass ich genau das sein kann, was ich bin: Mann, Roma, schwul, Vater und Geliebter – und zwar nicht in Reihenfolge, sondern alles gleichzeitig.
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Wie akzeptiert ist Homosexualität bei den Roma?
Gianni: Eigentlich gibt es das nicht, weil es das nicht geben darf. Meine Familie hat zwar Kontakt zu Paul gehabt, gerade auch weil er meine Kinder kennengelernt hat. Das wollten sie ja wissen: Wer ist denn der Deutsche, mit dem Giannis Kinder sich da beschäftigen? Aber als klar war, das ist der Mann, den Gianni liebt und der ihn liebt, da war erstmal alles aus.
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Also keine Familienfeste im Kreise der Schwiegerfamilie, Paul?
Paul: Nein, aber das wir mir eigentlich klar. Das passte ja weder in das Weltbild noch in den Wunsch für den Sohn. Aber es verändert sich. Vor einiger Zeit haben wir Giannis Mutter zufällig in der recht leeren City getroffen. Da war nichts mit Ausweichen. Sie hätte sich abwenden können, uns ignorieren oder auch beschimpfen, aber nichts dergleichen. Sie kam auf uns zu und hat mir sogar die Hand gegeben. Ein schönes Zeichen.
Ist das nicht schade, dass man sich in 2017 darüber freut, dass einem die Schwiegermutter die Hand gibt?
Gianni: Oh nein, bitte beachte, von wo meine Mutter kommt. In den Roma-Traditionen unserer Familie werden die Kinder noch als Teenager verheiratet, haben Kinder zu bekommen und in der Gemeinschaft der Familie eingebunden zu sein. Deshalb wurde auch mein Sohn sehr früh verheiratet und ich bin schon zweifacher Großvater. Meine Ex-Frau lebt zusammen mit meinem Sohn und seiner Familie und ist eine wunderbare Großmutter. Sie macht das toll, und meine Mutter handelt sicher auch aus Solidarität der in die Familie aufgenommenen Tochter gegenüber. Da passt mein Mann doch nicht rein. Und doch geht sie direkt auf ihn zu, sieht ihm ins Gesicht und gibt ihm die Hand. Das macht mich total stolz auf meine Mutter.
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Aber du bist doch sicher nicht der einzige schwule Roma in der Welt…
Gianni: Oh nein, aber wir sind irgendwie eine Minderheit in der Minderheit. Ich denke, ich bin noch nicht mal der einzige in unserer Gemeinschaft. Aber wir waren, als wir damals nach Deutschland kamen, schon knapp 50 Leute und haben uns seitdem durchaus gut vermehrt (lacht). Die gute alte Roma-Tradition.
Und meinst du, es wird junge queeren Roma durch deine Geschichte jetzt etwas einfacher?
Gianni: Nein, einfacher sicher nicht, aber anders. Und vielleicht haben sie ja doch mal von mir gehört und träumen ähnlich wie ich damals von einem selbstbestimmten Leben. Wenn ich dann nur bei einem den Impuls auslösen kann, es einfach anzugehen, dann hat es sich schon gelohnt, meine bzw. unsere Geschichte öffentlich zu machen.
Ich habe den großen Wunsch, dass sich die gesamte LGBTI-Bewegung häufiger daran erinnert, was es alles gebraucht hat, um so frei zu sein wie wir heute sein können. Die Welt um uns herum und auch hier innerhalb Deutschlands zeigt uns an so vielen Stellen, dass es auch anders sein kann und deshalb meine Bitte: Don't forget where you come from!
Auch und gerade unsere Roma-Kultur sollte und muss sich eingestehen, dass es auch dort LGBTI gibt. Und genau die fordere ich hier aber auch auf: Zeigt Euch! Geht auf die Straße. Schämt euch nicht dessen, was ihr seid! Seid stolz auf das, was ihr seid und seid so schön wie ihr könnt! Lebt und liebt, was und wen auch immer ihr wollt. Aber tut es und steht zu euch! Mein Weg war hart und ich kann keinem versprechen, dass sein oder ihr Weg weniger hart wird. Aber ihr seid nicht allein!

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