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Shirley Manson im Interview: „Ich war ein Sexsymbol“

FOTO: Getty Images
Als Sängerin von Garbage war Shirley Manson Mitte der 90er eines der bekanntesten Post- Rrrriot-Girl-Role Models ihrer Epoche. Heute feiert die Schottin mit der erfrischend schmutzigen Lache im gesamten Popbiz ihren 50. Geburtstag. Thomas Clausen hat mir dem pink gefärbten Powerpaket über die Wandlung vom Sexsymbol zur Grande Dame des Alternative Rock gesprochen. Du bist jetzt 21 Jahre im Geschäft. Wie fühlt sich das an?
Wie ein Zeitsprung. Gerade haben wir noch unser Debütalbum aufgenommen; heute wache ich auf und es sind plötzlich zwanzig Jahre vergangen. Ein seltsames Gefühl. Irgendwie wird einem dadurch bewusst, wie wenig Zeit einem eigentlich auf dieser Welt vergönnt ist. Gerade in der Popmusik hat man es als Künstlerin über 30 nicht mehr so leicht. Wie gehst du damit um?
Auf der Tour für unser letztes Album habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich älter geworden bin. Dass es heute andere Dinge gibt, die ich ausdrücken will und muss. Ich bin nicht mehr fucking 25. Und ich will nicht, dass die Gesellschaft mich zwingt, mich so zu benehmen, als wäre ich noch in den 20ern. Ich werde bald 50 - und fühle mich großartig damit! Ich kann nicht verstehen, warum all die anderen Frauen im Musikbusiness mit dem Älterwerden so ein massives Problem haben. Sie wollen scheinbar gar nicht die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, in der Öffentlichkeit erwachsen zu werden. Sie haben Angst, weil sie denken, sie wären weniger begehrenswert. Fuck begehrenswert! Ich will lieber darüber sprechen, wie es war, eine erfolgreiche Frau und zeitweise auch ein Sexsymbol gewesen zu sein. Was passiert, wenn die Kraft der Jugend und die Schönheit verblichen ist? Was bleibt übrig? Interessiert es wirklich niemanden, mal zur Abwechslung darüber zu reden? Ich würde gerne von Madonna hören, was sie darüber zu sagen hat. Tut dir Madonna leid?
Nein, absolut nicht. Ihre Einstellung frustriert mich. Ich finde, sie ist eine brillante Künstlern. Ich möchte ihre Wahrheit hören. Eine Wahrheit, die sicher schwer zu gestehen ist. Weil es schwer ist, als Frau zu altern. Die Gesellschaft legt immer noch mehr Wert auf die körperliche Ausstrahlung einer Frau, als auf das, was sie leistet.

Kannst du dich noch an das Casting als Sängerin für Garbage erinnern?
Als wäre es gestern gewesen. Ich bin stundenlang mit dem Zug von Edinburgh nach London gefahren und hatte mir für das Meeting extra einen neuen Mantel gekauft. Ein Secondhand- Teil aus einem Charity-Shop gegenüber meines Elternhauses. Ich traf mich mit den Jungs im Atrium des noblen The Landmark Hotels. Ich kam rein und irgendwie haben sie sofort gewusst, dass ich es bin. Ich weiß auch nicht, warum. Vielleicht, weil ich so nervös war.

Schon nach eurem 1995er Albumdebüt wurdest du als „sexiest rock chick“ der 90er gefeiert. Heute bist du das gute Gewissen des Alternative Rock. Die Grande Dame. Wie geht es dir damit?
Es fühlt sich irgendwie sehr natürlich an (lacht). Ich denke, ich bin dazu auserkoren, eine Grande Dame zu sein! Heute bin ich dankbar dafür, nicht mehr jung zu sein. Je älter ich werde, desto aufregender wird mein Leben. Ich habe mich niemals wohl mit dem Attribut „Sexsymbol“ gefühlt. Ich habe es abgelehnt. Gottseidank war ich damals schon smart genug, zu erkennen, dass man sich als „Sexsymbol“ in einen öffentlichen Käfig sperren lässt. Einen sehr gefährlichen Käfig. Ob ich eine „Grande Dame“ des Rock bin, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist, dass es nur wenige Frauen in der modernen Musik gibt, die heute auf eine 20-jährige Karriere zurückblicken und immer noch aktiv sind.

Du hast mir in einem früheren Interview erzählt, du hättest dich als junges Mädchen selbst geritzt.
Das stimmt. Als Kind habe ich mich ständig selbst verletzt. Als junge Erwachsene auch, aber auf eine andere, seelische Art. Heute kann mich nichts mehr so leicht aus der Fassung bringen. Ich war schon immer ein sehr aggressives Mädchen. Gegenüber anderen und vor allem gegenüber mir selbst. Das resultierte aus einer tiefen Unsicherheit. Heute habe ich keine Angst mehr. Weder vor anderen, noch vor mir selbst.

Weil?
Ich habe meine Mutter vor ein paar Jahren verloren. Sie war für mich immer die wichtigste Person im Leben. Meine größte Angst war, dass sie eines Tages von mir geht. Als es dann geschah, gab es nichts mehr, vor dem ich mich fürchten musste. Es war wie eine Art Erwachsenwerden. Es gibt niemanden mehr, der einen vor der Welt in Schutz nimmt. Man ist plötzlich auf sich alleine gestellt und muss sich dem Leben stellen. Man wächst durch diese Erfahrung. Sie zu verlieren, war traurig, hat mir aber auf der anderen Seite viel Kraft gegeben.

Euer Debütalbum hat letztes Jahr sein 20-jähriges Release-Jubiläum gefeiert. Was geht in dir vor, wenn du die alten Fotos und Musikclips von damals anschaust?
Ich fühle eine unfassbare Wärme und Verständnis für die Shirley von damals. Ich war wahnsinnig hart zu mir selbst. Fast schon brutal. Wenn ich mir das „Only Happy When It Rains“-Video ansehe, sehe ich in erster Linie diese liebenswürdige kleine Kreatur, die versucht, ihr Bestes zu geben. Ich dachte, ich wäre nicht gut genug, hässlich und viel zu fett. Heute schaue ich mir den Clip an und denke: Du warst ein super süßes, kleines Ding. Heute tut mir dieses arme, kleine Ding von damals sehr, sehr leid.

Später hast du dir Rrrriotgirl-Freundinnen wie Courtney Love gesucht...
Courtney war schon damals eine sehr gute Kollegin; wir sind uns ständig bei Festivals oder bei irgendwelchen TV-Aufzeichnungen über den Weg gelaufen. Ich habe schon immer ihre rebellische Haltung bewundert. Ich habe es geliebt, zu beobachten, wie sie die Leute mit voller Absicht anpisste und in den Wahnsinn trieb.

Wobei du die Leute damals ebenfalls öfter mal bei Shows oder in Interviews geschockt hast.
Ich schocke immer noch gerne, und das ist auch gut so. Ich war schon immer sehr ehrlich und direkt. Es gibt so viele Künstler, die sich verstellen und das Publikum belügen, um noch ein paar Platten mehr zu verkaufen. Das ist aber nicht meine Art. Unsere Zeit ist zu knapp für heuchlerisches Getue. Es geht für mich im Leben nur um echte Dialoge, echte Beziehungen und um echte Liebe.

Wie hast du dich eigentlich damals für die ersten großen Erfolge mit Garbage belohnt?
Ich habe mir irgendwann ein paar Stiefel gekauft. Ich war damals schlau und bin sehr vorsichtig mit dem verdienten Geld umgegangen. Habe es nicht für irgendwelchen Unsinn rausgeschmissen oder total durchgedreht. Ich war ständig darauf vorbereitet, dass der Erfolg von einer Minute auf die andere vorbei sein könnte.

Klingt fast ein wenig pessimistisch!
Ich war schon immer eine erklärte Pessimistin. Ich gebe mir aber größte Mühe, das zu bekämpfen. Ich habe schon immer so mein Leben gelebt. Ich glaube, das hat mich sehr geprägt. Diese Denkweise hilft einem, sein Leben nicht einfach so zu verschwenden. Man weiß, dass alles jeden Moment vorbei sein kann. Also lebt man sehr bewusst.

Dein bisher schlimmstes Jahr musstest du 2001 durchmachen, als du eine Krebsdiagnose bekommen hast.
Das ganze Jahr war schrecklich. Ich machte eine sehr schmerzhafte Scheidung durch und die Ärzte stellten Zysten auf meinen Stimmbändern fest. Und dann waren da noch die Anschläge von 9/11, die eine ganz besondere Auswirkung auf die Band hatte: Über Nacht wurden Bands wie wir nicht mehr im Radio gespielt, weil wir angeblich zu negativ wären. Und das an dem Tag, als wir gerade anfangen wollten, unser neues Album zu promoten. Die ganze Welt veränderte sich buchstäblich in ein paar Stunden. Es war eine echte Belastungsprobe; in jeder Hinsicht. Ein echtes Anus horribilis, privat und beruflich.

Bereust du heute Dinge?
Nein. Obwohl es gerade auf unserem neuen Album viele Songs gibt, in denen ich gewisse Dinge bekenne. Fast wie eine Beichte. Die Leute nehmen mich üblicherweise als einen starken Menschen wahr, der ich auch bin. Aber ich habe noch tausend andere Facetten. Ich schlage die gleichen inneren Schlachten, wie jeder von uns. In diesen Stücken spreche ich ganz offen über mich, wie zu einem Priester. Ich wollte schon immer katholisch sein. Ich liebe die Vorstellung, in einem Kasten zu sitzen und einem Fremden meine Sünden zu beichten (lacht).

Apropos Sünden: Es gibt keine Skandale über dich zu vermelden. Woran liegt das?
Weil ich kein Verlangen habe, ein großer Star zu sein. Ich bin nicht Beyoncé oder Madonna. Dieses besondere Gen fehlt mir. Mich interessieren weder Ruhm, noch rote Teppiche, noch Fotos in irgendwelchen Tabloids. Das ist dumm, schwächt nur und lenkt vom Wesentlichen ab. Natürlich liebe ich es, mit tollen Fotografen zu arbeiten und wirklich ästhetische Aufnahmen zu machen. Und ich bin ein Mädchen, also liebe ich die ganzen schönen Kleider, die man dann immer umsonst bekommt. Aber es muss Stil haben.

Was kann man von dir heute als gestandene Frau lernen?
Dass man in der Lage sein sollte, sich selbst zu vergeben und Frieden mit sich zu schließen. Seine Fehler akzeptieren, seine Vergangenheit, seine Erfolge, seine Misserfolge. Die Geschichte jedes Menschen ist lang; wir können das Ende unserer eigenen Geschichte nie vorhersagen, bis wir auf dem Totenbett liegen.

Hast du Angst vor dem Tod?
Nein, absolut nicht. Ich habe Angst davor, geliebte Menschen zu verlieren. Ich bin in der Vergangenheit oft genug operiert worden. Wenn die Ärzte einen kurz vor der OP über die Risiken aufklären, nehme ich das ganz gelassen. Wenn dann die benebelnde Wirkung der Narkose einsetzt, denke ich jedes Mal: Alles klar. Wir sehen uns auf der anderen Seite... (lacht)

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