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Fluch & Segen: Sprachnachrichten bei WhatsApp machen uns unsozial

Foto: Rockie Nolan
Ich bin kein Telefonierer. Nie gewesen. Ich kann mit Menschen, die ich sehr gut kenne und mit denen ich eng verbandelt bin, stundenlang am Hörer quatschen, aber im Berufsleben und mit allen Menschen, die mir nicht so nah stehen, kommuniziere ich lieber schriftlich. Das hat mehrere Gründe: Zum einen muss ich nicht so schnell reagieren und kann mir erst Gedanken zum Gesagten machen. Zum anderen sehe ich schnell, worum es geht, ohne dass der andere meine Reaktion gleich an meiner Stimme ablesen kann. In der Face-to-Face-Kommunikation bin ich stark, Meister im Smalltalk. Wenn es ans Telefonieren geht, verwandle ich mich in eine 14-Jährige, die ihren Schwarm nach einem Date fragen will. Ich bessere mich, dienstliche Gespräche lagere ich aufs Telefon aus – oder versuche es zumindest, aber wo ich es vermeiden kann, da schreibe ich. Das ist mein Metier, vielleicht auch naheliegend, weil es im Job mein Kapital ist.
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Das Nutzen von Sprachnachrichten macht uns unsozial. Noch unsozialer als eine getippte Nachricht. Denn eigentlich sagt sie aus, ich bin sogar dafür zu faul. Die Mühe das alles aufzuschreiben, mache ich mir nicht.

Als ich ein Teenager war, waren SMS mein bester Freund, ich war beim MSM Messenger, bei ICQ und als dann endlich, endlich WhatsApp erfunden wurde, da hätte ich einen Dank gen Himmel geschickt, wäre ich denn gläubig. Kurze Absprachen, die zu tippen, dann doch zu kompliziert wären? Yes! Mal eben schnell die Aufnahmetaste gedrückt (die mit ein bisschen Übung dann auch nicht immer abbricht) und die Problematik in den Hörer gequatscht. Beim Laufen zur U-Bahn noch schnell Instruktionen geben? Easypeasy. Endlich „schreiben“ ohne aufs Handy zu schauen. Und keiner kann einem mehr vorwerfen, man schreibe nur und das sei so unpersönlich. Schließlich hört man die Stimme des anderen, so wird eine ganz andere Art der Verbundenheit hergestellt. Aber ist das wirklich so? Nein. Eigentlich ganz und gar nicht. Das Nutzen von Sprachnachrichten macht uns unsozial. Noch unsozialer als eine getippte Nachricht. Denn eigentlich sagt sie aus, ich bin sogar dafür zu faul. Die Mühe das alles aufzuschreiben, mache ich mir nicht.
Klar, man hört die Stimme des anderen, dennoch ist einem die Info oder der Austausch nicht wichtig genug als das man die Person anrufen würde. Es fühlt sich so auch dennoch an, als hätte man ewig nicht richtig miteinander gesprochen – auch wenn es vielleicht erst ein paar Tage die Stimme des anderen als Voicemail gehört hat. Es hinterlässt nicht dasselbe wohlige Gefühl, wie eine schön geschriebene Nachricht, weil, auch wenn Sprachnachrichten gespeichert werden, sie irgendwie vergänglich sind. Weil man ewig suchen muss, nach dem Gesagten, in dem Wust der kleinen Balken mit Foto des Gesprächspartners und Play-Zeichen. Und irgendwie haben sie auch nichts gemein mit dem letzten hörbaren Spruch einer lieben Person auf dem Anrufbeantworter oder der Mailbox, den man nicht löscht, damit man sich ihn irgendwann, in einer schwachen Minute vielleicht, heimlich nochmal anhören kann. Sie existieren in Inflation und bleiben schlichtweg auch nicht so sehr im Gedächtnis, wie eine geschriebene Nachricht oder ein echtes Gespräch.
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Ich liebe Sprachnachrichten, weil sie für einen Telefonier-Legastheniker wie mich die ideale Zwischenform darstellen. Ich muss nicht unüberlegt antworten, weiß, worum es geht ohne Schnappatmung zu bekommen, weil ich gleich reagieren muss. Dennoch machen sie unglaublich viel kaputt. Und sie stellen uns bloß. Mich auf jeden Fall bereits mehr als einmal. Es ist schon vorgekommen, dass ich nach einer wilden Nacht mit einem dicken Schädel aufgewacht bin, panisch die vielen Balken, die von einem nächtlichen Mitteilungsdrang zeugten, gefunden habe, und sie schlichtweg nicht mehr angehört habe. Weil ich wusste, ich habe mich da vermutlich lallend in irgendwelche emotionalen Äußerungen verstrickt. Wo früher die schwindende Fähigkeit der Koordination uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hat und aus der geplanten Nachricht maximal ein paar lustige Aneinanderreihungen von Wortsalatbruchstücken rausgekommen sind, existieren heute minutenlange Höhepunkte der Peinlichkeit. Denn einen Knopf gedrückt halten, können die meisten noch.
Sicher gibt es aus Situationen, wo sich Sprachnachrichten anbieten. Wenn man einem Bekannten, den man nicht so gut kennt, aber doch ganz nett findet, zum Geburtstag gratulieren will, eine Nachricht aber zu unpersönlich und ein Anruf too much wären. Wenn man der Schwiegermutter in spe kurz sagen will, dass alles okay ist und man sich ja nächste Woche sieht und daraus kein halbstündiges Gespräch werden soll. Wenn es einem zu schlecht geht um zu telefonieren, man der besten Freundin aber kurz sein Leid klagen will – und wenn es nur ein kurzes Ich sterbe an dieser Erkältung, also wirklich ist. Wenn man sieben Stunden Zeitverschiebung hat, man aber Freunde und Familie dennoch an etwas teilhaben lassen will und die die Stimme eben seit Wochen nicht mehr live gehört haben. Es gibt etliche solcher Anlässe. Wir aber gehen dazu über nur noch Voicemails zu nutzen. Zuletzt fiel mir das auf, als ich mit einem guten Freund ein Beziehungsproblem diskutierte. Da schickten wir uns munter Sprachnachrichten von bis zu vier Minuten Länge hinterher und in jeder Antwort kam irgendwann vor warte mal, was hattest du noch dazugesagt, hmmmm, ach so ja, dazu wollte ich auch noch was sagen. Da hätte man getrost telefonieren können. Oder sich bei einem Bier oder Wein zusammensetzen und das Ganze ausdiskutieren können. Wenn also das nächste Mal der Finger zum Aufnahmeknöpfchen wandert, vielleicht einfach mal ins Telefonbuch switchen und anrufen. Die Reaktion ist in meine Fall häufig die Gleiche: Mann, wir haben ja echt ewig nicht mehr gesprochen.
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