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The Girls von Emma Cline Ein Mörderisches Debüt

„Arme Mädchen. Die Welt mästet sie mit der Verheißung von Liebe. Wie dringend sie sie brauchen, und wie wenig die meisten von ihnen je bekommen werden. Die klebrig süßen Popsongs, die Kleider, die in den Katalogen mit Wörtern wie 'Sonnenuntergang' und 'Paris' beschrieben werden. Dann werden ihnen die Träume mit brutaler Kraft weggenommen.“ Diese kurze Passage im ersten Drittel von Emma Clines Debüt The Girls fasst zusammen, worum es im scheinbar begehrtesten Roman des Jahres geht: Den prekären Status des Mädchenseins, die vielen zweifelhaften Horizonte, die sich in der Pubertät so plötzlich vor einem auftun, frei nach dem Motto: Kein Schuh, der so recht passen will! Damals wie heute. Denn die naive Empfänglichkeit heranwachsender Jugendlicher für verführerische Ideologien hat auch nach vierzig Jahren nicht an Aktualität verloren. Im Zentrum steht Evie Boyd. 14 Jahre alt. Ein Alter, in dem man nicht Fisch nicht Fleisch ist. Ein Alter, dass der Manipulation kaum etwas entgegenzusetzen weiß. Als Neu-Scheidungskind egozentrischer Eltern, die beide damit beschäftigt sind, ihr eigenes Leben neu auszurichten, ist Evie damit auch noch ganz allein. Schauplatz des Geschehens stellt die von Veränderung zerrüttete Gesellschaft Kaliforniens, ihresgleichen Zentrum der gegenkulturellen Jugendbewegung der Hippies, in den späten 1960er Jahren dar. In aller Munde ist The Girls jedoch auch aus einem anderen Grund: Die Geschichte und ihre Charaktere basieren nämlich auf einer wahren Begebenheit, dem Schaffen und Leben der berühmt berüchtigten Hippie-Sekte The Manson Family, die in den 1969 der Flower-Power-Ära mit den grausamen Tate-LaBianca-Morden ein jähes Ende setzte. Eine reale Wiedergabe dessen, was damals passiert ist, ist The Girls aber keineswegs – maßt sich dergleichen allerdings auch zu keinem Zeitpunkt an. Vielmehr ist das Aufmerksamkeit versprechende Thema eher der Rahmen für ein psychologisches Drama und vielleicht auch der geschickte Schachzug einer 27-Jährigen Jungautorin, den noch immer zweifelhaften Ruhm von Sektenführer Charles Manon für ihr Erstlingswerk zu nutzen. Und der Erfolg gibt ihr Recht: Vor dem Erscheinen des Romans lieferten sich Verlage in Amerika einen regelrechten Kampf, und auch die Filmrechte werden gerade nicht weniger erbittert gehandelt. Dabei ließ sich Cline von der Geschichte und der möglichen Faszination, die Manson auf junge Mädchen gehabt haben muss, allenfalls inspirieren. Viel wichtiger als das Augenmerk auf Manson als Galionsfigur des Bösen und seine zumeist weibliche Gefolgschaft ist ohnehin die Faszination für das seelische Naturell des Menschen – in dem Fall verblendet von der verzweifelten, pubertären Suche nach Vorbildern, das Verlorensein zwischen zwei Welten – dem Kind- und Erwachsensein – gefangen im Sog gesellschaftlicher Erwartungen. Hinzu kommt, dass Evie ein Mädchen ist und nicht nur ihren Platz als heranwachsende Jugendliche, sondern auch als angehende Frau im Leben sucht. Keine der weiblichen Archetypen aus ihrem Umfeld scheinen es dahingehend jedoch würdig, ihnen nachzueifern. Cline führt dabei vier Rollenmodelle an: Die der fürsorglichen, aber betrogenen Mutter Boyds, die ihrem Mann stets ergeben und ersucht war, den Erwartungen an sie zu entsprechen, nach der Trennung und im Zuge ihrer verzweifelten, esoterischen Suche nach einem neuen Sinn im Leben aber jeglichen Bezug zu ihrer Tochter verliert. Tamar, die neue Frau an Evie Vaters Seite, deren Attraktivität zwar einen gewissen Reiz auf die Teenagerin ausübt, die am Ende aber auch nur im Rahmen der gesellschaftlichen Grauzone aufbegehrt. Und ihre beste Freundin Connie, die wie sie auf der Suche ist – trotzig und unangepasst – sich schließlich aber ebenso vom Bollwerk der Norm hinreißen lässt und sich von Evie abwendet. Das von ihrer Familie und Freunden scheinbar verstoßene Mädchen findet schließlich, was sie sucht in der rebellischen Susanne Parker. Als bessere Hälfte von Sektenführer Russell kann sie, Bezug nehmend auf die wahre Begebenheit, am ehesten mit der realen Person Susan Atkins in Verbindung gebracht werden, die Charles Manson ebenfalls treu ergeben schien. Ihre ungezwungene und unangepasste Art zieht Evie von der ersten Begegnung an in ihren Bann. Sie schließt sich den Hippies an, ohne ihnen jedoch am Ende ganz zu verfallen. Ihre Zweifel werden immer lauter. Trotz gelegentlicher, vernunftgetriebener Interventionen der „alten“ Evie, kommt sie gegen ihr Verlangen allerdings nicht an. Die unnahbare, selbstbewusste Susanne übernimmt dabei die Rolle der großen Lehrmeisterin: Sie ist Leitfigur, beste Freundin, große Schwester und am Ende sogar Geliebte. Trotz ihrer wachsenden Unsicherheit, die sich wie ein mahnendes Korrektiv immer wieder in ihre Gedanken drängt, ist Evie bereit, alles zu tun, um ihr nahe zu sein. Vielleicht sind diese deutlichen, wenn auch obligatorisch erscheinenden Gewissensbisse von Seiten der Autorin sogar notwendig, damit der Leser am Ende nicht allzu sehr mit der Hippie-Kommune sympathisiert. Denn dazu ist man stellenweise durchaus gewillt. Evies Vater, ihre Mutter, die Nachbarn – all die vermeintlichen Spießer, die so konsequent mit dem Strom schwimmen und ein bedauerliches Dasein fristen, kommen nämlich denkbar schlecht weg. Evies Wunsch, wie Susanne und die anderen Mädchen sein zu wollen, wird dadurch nur noch nachvollziehbarer; ihre Obsession für ihre neue Familie sogar beinahe ansteckend. Am Ende lässt Cline offen, wie weit der in die Irre geführte, suchende Verstand eines 14-jährigen Teenagers, vielleicht sogar unser aller, in der Lage wäre, im Zuge dieses Strudels aus Drogen und sexueller Anziehung noch zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Manisch lässt Cline ihre Protagonistin rückblickend nach dem Moment suchen, aus dem ihr früheres Ich die fatalen Konsequenzen hätte ablesen können. Im Rausch der Gefühle gesteht sie, mittlerweile erwachsen und arbeitslos, gegenüber Sasha, einem Mädchen, mit der sie eher per Zufall zwei Tage unter einem Dach wohnt, ihre noch immer währende Hingabe zu. Cline rückt damit die Macht der Verführung in den Vordergrund und überlässt dem Leser die Antwort auf die unausgesprochene Frage, Was richtig und was falsch ist? „Man wollte etwas, und dagegen kam man nicht an, weil man nur sein eigenes Leben, nur sich selbst hatte, mit dem man aufwachte, und wie konnte man sich sagen, das, was man wollte, sei falsch?“ Etwas hilflos bleibt man damit als Leser zugegebenermaßen zurück, ob aufgrund des vorhersehbaren Endes oder des ungeklärten Urteils, das einem zwangsläufig keine Ruhe lässt, ist schwer zu sagen. Wenn auch letztendlich weniger schauerlich als erwartet, ist The Girls alles in allem ein gelungenes Debüt und die perfekte Girls-Lektüre.

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