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Unlikely Friendships: Nach 12 Jahren haben wir uns zum ersten Mal wiedergesehen

Unlikely Friendships: In unserer neuen Textreihe sprechen wir über Freundschaften, die dort entstehen, wo man sie nicht erwartet. In dieser Folge spricht Autorin Meike Neitz über ihre Freundschaft mit einem Grönlander, den sie auf den Galapagosinseln kennenlernte – vor zwölf Jahren. 3.500km Entfernung liegen zwischen den Heimatstädten, 10.000 km weit weg von beiden treffen sie sich. Das war der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft.
Dies ist Fakt: Es gibt nur ein Fünftel so viele Grönländer wie Bremer auf der Welt. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit, einen dieser raren Spezies außerhalb des eigenen Territoriums zu treffen, an sich schon ein kleines Wunder. Grönland ist zwar die größte Insel der Welt, hat aber nur 57.000 Einwohner. Und diese Einheimischen tendieren nicht zu großen Reisen – wenn dann verschlägt es sie vielleicht nach Dänemark oder auf das benachbarte Island. Bremen dagegen ist die kleinste Hansestadt Deutschlands und hat 550.000 Einwohner. Vielleicht weil so wenig Platz ist, reisen wir Bremer gerne. Auch ich merkte schon ziemlich früh das Nomaden-Gen: Ich wollte raus.
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Das Schöne am Reisen ist ja, dass man die Möglichkeit hat, unglaublich schnell die unterschiedlichsten Menschen kennenzulernen. Oft bleibt es allerdings auch bei oberflächlichen Urlaubsbekanntschaften, die keine tieferen Spuren im Leben hinterlassen. Und dann sind da diese raren Begegnungen, wie die von mir und Minik. Bis heute gab es kaum jemanden, der mich so lange über so eine große Distanz hinweg begleitet hat. Ich glaube, das liegt an der Besonderheit unserer Geschichte. Man kann ja nur von einer glücklichen Fügung sprechen, dass diese außergewöhnliche Freundschaft überhaupt zustande kam. Und das kam so:
Ich war gerade auf den Galapagosinseln gestrandet – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Jahr hatte ich mir nach dem Abitur freigenommen, um die Welt zu erkunden, um sie besser zu verstehen und vor allem meine Rolle in ihr zu begreifen. Wer war ich? Wer wollte ich sein? Was wollte ich machen? Das waren mit 19 die großen Sinnfragen. Ich wusste, meinen Zufällen nach zu urteilen, würde es ein verrücktes Jahr werden und genauso kam es auch.
Meine Reise begann in Patagonien, im Süden Chiles. Ein paar Wochen lang jobbte ich in einem kleinen Hotel, dann zuckte es mir in den Füßen. Tag ein, Tag aus hatte ich Touristen ein- und ausgecheckt, die mit Deuter-Rucksack, Northface-Jacken und Wanderstöcken bewaffnet in den Torres del Paine Nationalpark trekkten. Ich wollte auch! Diese einwöchige Wanderung würde meinen weiteren Trip entscheidend prägen. Inmitten beeindruckender Naturkulissen lernte ich die Crew eines Segelbootes kennen – die gerade auf Landgang war. Als ich mit ihnen ins Gespräch kam und von meiner Auszeit erzählte, sagten sie mir, dass sie noch ein weiteres Crewmitglied gebrauchen könnten und ob ich nicht Lust hätte, den weiteren Segeltörn mit ihnen zu machen: die südamerikanische Küste hinauf bis zu den Galapagosinseln. War so verrückt, wie es klingt!
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Ein paar Wochen später legten wir im chilenischen Puerto Montt ab und verbrachten die nächsten zwei Monate auf einem eleganten Boot namens „Volpaia“. Viele Sonnenuntergänge, viele Luvs und Lees, viele hübsche chilenische Häfen später, erreichten wir mit gutem Rückenwind die ecuadorianische Insel. Für mich bedeutete das Endstation – und da war ich nun. Wie ein kleiner gestrandeter Wal, dachte ich mir.
Gleich am ersten Abend auf Galapagos lernte ich durch Zufall Minik kennenlernte. Im Limon Y Café fand sich ein bunter Mix an Bootsleuten („Yachties“), Locals und Touristen ein. Unsere erste Gemeinsamkeit war, wie sich herausstellte: eine besondere Vorliebe für Billard! So dauerte es über das fröhliche Hin- und Herschieben der bunten Kugeln auf grünem Tisch nicht lange, bis wir ins Gespräch kamen. Rein äußerlich ist es bei Minik schwer, seine Herkunft zu deuten. Aber als die Antwort dann „Grönland“ lautete, war ich doch beeindruckt und vor allem furchtbar interessiert, mehr über seine Heimat zu erfahren. Wir waren uns sofort sympathisch. Minik hat ein furchtbar liebenswertes Gesicht. Ich vertraute ihm von Anfang an. Mehr als eine Freundschaft war aber auch von Anfang an ausgeschlossen: Er kam mir vor wie ein alter Schulfreund, den ich schon seit der ersten Klasse kenne.
Wir sahen uns am nächsten Tag direkt wieder zum Kaffee. Da ich noch auf der Suche nach einer besseren Unterkunft war und er ein Bett in seinem Bed&Breakfast-Zimmer frei hatte, lud er mich kurzerhand zu sich ein und wir formten in den nächsten Wochen eine ungewöhnliche Zweier-WG. Rückblickend beeindruckt mich unsere damalige Leichtigkeit. Wir machten Ausflüge, erkundeten die Insel, besuchten die Riesenschildkröten, übten Spanisch, trainierten unsere Billard-Skills, redeten. Ich erinnere mich, dass es gerade in den ersten Gesprächen hauptsächlich darum ging, gängige Klischees abzubauen und mitunter falsche Vorstellungen im Kopf zu korrigieren: Ist in Grönland niemals Sommer? Ist alles weiß und Eis? Lebt ihr in Iglus? Und andersherum: Kann man auf der Autobahn überall so schnell fahren wie man will? Sind Deutsche die größten David Hasselhoff-Fans? Trinkt ihr so viel Bier?
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Minik war ein ebenso gestrandeter Wal wie ich: Auch er hatte auf einer Yacht gearbeitet und war so auf den Galapagosinseln gelandet. Wir sprachen viel über unser Freiheitsjahr; unsere Wünsche für die Zukunft. Es stand fest, dass wir beide noch einmal auf Boot wollten, um weiterhin viel sehen und dabei arbeiten zu können. Als wir von anderen Yachties erfuhren, dass Fort Lauderdale der beste Umschlagsort dafür war, flogen wir kurzum nach Florida. Dort machten wir uns auf die Suche nach unserem möglichen nächsten Arbeitgeber, aber nur wenige Tage später folgte dann der schwierige Abschied: Ich hatte einen Job als Stewardess auf einer großen Yacht gefunden und sollte in die Bahamas schippern.
Minik brachte mich und meinen Koffer zum Boot. Es sollte 12 Jahre dauern, bis wir uns wiedersehen.
Ich habe es Minik, und um ganz ehrlich zu sein auch Facebook, zu verdanken, dass wir überhaupt in Kontakt sind. Am Anfang nach unserer Trennung schafften wir es noch, hin und wieder zu skypen oder zu mailen, doch wie so oft schlief der Kontakt irgendwann ein. Bis ich drei Jahre später eine Facebook-Einladung erhielt: Minik Dan Gerstrom. Und eins ist sicher: Für Distanz-Freundschaften sind soziale Netzwerke Gold wert! Von da an begleiteten wir uns immerhin virtuell über die tausenden Kilometer weit weg. Studium, erste berufliche Stationen, erste Beziehungen, erste Trennungen. Minik verpasste es vor allem nicht, mich mit Bildern seiner wunderschönen Heimat zu versorgen um sicherzustellen, dass ich ihn irgendwann besuchen würde.
Minik war direkt nach Fort Lauderdale und seinem Orientierungsjahr zurück nach Grönland gegangen. Bei mir dauerte es nach mehrjährigen beruflichen Auslandsaufenthalten bis 2013, dass ich nach Deutschland zurückkehrte. Vier weitere Jahre, bis ich es endlich nach Grönland schaffte.
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Das optimalste Besucherfenster für Grönland ist allerdings nicht lang: Die Winter sind hart und besiedeln einen Großteil des Jahres. So empfahl mir Minik, nur im Juli oder August zu kommen. Zudem ist die Reise eine durchaus kostspielige Angelegenheit: Innerhalb Grönlands kann man nur fliegen und egal ob ein Latte Macchiato im Café oder Obst im Supermarkt – alles ist dreimal so teuer. Ich musste also auch das nötige Kleingeld zusammen haben. So war es erst in diesem Sommer endlich soweit: Ich flog von Kopenhagen über Kangerlussuaq in die grönländische Hauptstadt Nuuk, in der Minik mit seiner Familie wohnte. Als wir uns wiedersahen, war es ziemlich genau wie damals: Als würde ich einen alten Schulfreund treffen. Mit dem ich eben noch auf exotischer Klassenfahrt Riesenschildkröten besuchte hatte.
Ich blieb zehn Tage. Minik nahm mich mit in seine Welt; ließ mich ein in einen so wundersamen Teil dieser Erde: Ich bin selten sprachlos, aber die Schönheit der grönländischen Natur verschlug mir die Sprache. Endlich konnte ich meine Vorstellungen, die im Kopf von Grönland existierten, selbst veranschaulichen und mit eigenen Augen sehen, wovon er mir in unseren damaligen Gesprächen so ausführlich berichtet hatte. Wir machten Wanderungen, fuhren mit dem Boot raus in die Fjorde – Slalom um die Eisberge. Wir sonnten uns in der grönländischen Sommersonne auf der Terrasse des elterlichen Hauses, gingen fischen, trafen Miniks Freunde, spielten natürlich Billard, kochten abends zusammen.
Zehn Tage als weiteres Kapitel einer ungewöhnlichen Freundschaft. Zehn Tage Zeit um zu erzählen, aufzuholen, was uns entgangen war. Die Themen waren nun: Karriere, Sparen auf das eigene Haus, Familie gründen. Älter und reifer geworden, wunderten wir uns gemeinsam über das jüngere „Ich“: Wie herrlich unbeschwert und mit einem naiven Glück wir doch damals durch die Welt gezogen waren!
Doch wir stellten auch fest: Nicht nur in jedem Anfang liegt ein Zauber, sondern in jeder Etappe des Lebens. Etappen, die wir nah und doch fern mit Sicherheit miteinander teilen werden.
Miniks Besuch in Deutschland ist geplant. Und wenn es weitere 12 Jahre dauert: Für Freundschaften gibt es kein Ablaufdatum!

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