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Ich lösche Postings, weil Trump mich sonst nicht mehr in die USA lässt

In 64 Tagen soll ich eigentlich bei der weltweit größten Konferenz in meinem Fachbereich zwei Vorträge halten, die für meine Karriere entscheidend sein könnten. Entscheidend sein werden. Eigentlich. Denn ich weiß nicht, ob ich die Vereinigten Staaten von Amerika in 64 Tagen betreten darf. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, durch einen glücklichen Zufall darf ich mich auch zu den Inhabern einer Greencard zählen. Ich forsche in England und Deutschland, habe noch nie irgendwo außerhalb Europas gelebt. Bin zwischen zwanzig und dreißig, versuche irgendwie erwachsen zu werden und scheitere meistens dabei. Wie wir alle eben. Ich bin Tochter, Schwester, Lebensgefährtin, beste Freundin, Nachbarin, Kollegin und bestimmt auch für irgendjemanden person you love to hate auf Instagram. Meine Eltern sind im Iran geboren und daher habe ich auch einen iranischen Pass neben meinem deutschen. Ich habe ihn mir nicht ausgesucht und kann ihn auch nicht zurückgeben. Ich weiß aber auch nicht, ob ich ihn zurückgeben würde, schließlich könnte ich dann nicht mehr in das Land meiner Vorfahren reisen, dass mir bei meinen wenigen Besuchen in der Vergangenheit so viel Gastfreundschaft entgegengebracht hat. Und deswegen darf ich vielleicht nicht meine Vorträge halten. Deswegen werde ich vielleicht nicht die Vereinigten Staaten betreten dürfen. Deswegen werde ich vielleicht nicht mit Kollegen aus allen Ecken der Welt über die Zukunft debattieren dürfen und werde nicht meine künftigen Arbeitgeber kennenlernen. So wie mir geht es gerade vielen, zum Beispiel dem Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour, der sogar als Vizechef der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe, Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke und der deutsch-atlantischen Gesellschaft beruflich eigentlich mehrere Male im Jahr in die USA reisen müsste. Auch erst mal auf Eis.
Und selbst wenn ich einreisen darf – denn für jemanden wie mich mit einer doppelten Staatsangehörigkeit und einer Greencard wird es bestimmt bald eine Lösung geben – dann kann es sehr gut sein, dass an der Grenze meine Social Media-Accounts überprüft werden und meine politische Gesinnung abgefragt wird. Das ist alles in den letzten Tagen passiert, das passiert gerade alles auch weiterhin. Ich habe gestern mehrere Stunden damit verbracht, meinen Twitter-Account von jeglichen kritischen Kommentaren zu Trump zu befreien. Ob ich auch Kommentare zu englischer und deutscher Politik löschen sollte? Ich weiß es nicht. Ob es mir wohl negativ ausgelegt werden wird, dass ich mich als stolze Feministin definiere? Ob ein „Refugees are welcome here!“-Tweet von vor zwei Jahren gefährlich werden kann? Ich weiß es nicht. Keiner weiß genau, was gerade Sache ist – weder US-Senatoren, noch Grenzbeamte, weder Richter, noch Angehörige und vor allem nicht die Reisenden. Selbst die US-Botschaft in Deutschland war völlig überrumpelt von der Executive Order und sagte am Wochenende, man sollte sich ab Montagnachmittag direkt an die US-Heimatschutzbehörde wenden. Die hat sich dieses Wochenende schon zweimal widersprochen, weil sie ebenso wenig Ahnung hat. Ich habe gefühlt jeden Artikel gelesen, der dazu veröffentlicht wurde, war konstant mit meiner amerikanischen Familie in Kontakt. Leider habe ich auch ich die Kommentare gelesen, die unter Posts auf Nachrichtenseiten oder Tweets von Politikern geschrieben wurden. Das Ausmaß von Hass, Verachtung und Schadenfreude ist unfassbar. Als Wissenschaftlerin habe ich einen ziemlich nüchternen Blick auf die Menschen, für manche oft zu zynisch und zu negativ. Doch diese neue Qualität des Hasses überrascht mich doch. Es ist eine Mischung aus Neid und Tribalismus, aus Panik und Quasi-religiöser Trump-Anbetung, die aus sicherlich netten Mitbürgern rasende Hass-Maschinen macht. Und das gleiche sehen wir hier, sehen wir an unseren eigenen Nachbarn und Familienmitgliedern, die plötzlich die Petrys, Höckes und von Storchs abfeiern. Haben wir denn nichts gelernt? Bis vor wenigen Wochen plante ich nach dem Abschluss meiner Promotion einige Jahre – oder vielleicht sogar für immer – in den USA zu forschen, zu lehren und zu leben. In Deutschland werde ich immer noch gefragt, wo ich denn „wirklich herkomme“. In Amerika war es immer egal. Doch dieses Amerika gibt es wohl nicht mehr. Zumindest nicht für mich.

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