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Medikamente werden oft nicht an Frauen getestet – wie sollen sie uns dann helfen?

Illustrated by Mallory Heyer.
Wahrscheinlich weißt du schon, dass die Einnahme von Aspirin dazu beitragen kann, Herzinfarkte zu verhindern – darauf gründet sich die gesamte Werbekampagne der Bayer Aspirin-Marke. Aber wahrscheinlich wusstest du nicht, dass diese bahnbrechende, inzwischen berüchtigte Studie von 1989, die die Wirksamkeit dieses Medikaments in diesen Situationen zementierte, über 20.000 Männer berücksichtigte – und null Frauen. Wie kommt das? Die meiste Zeit der Medizingeschichte waren Männer (und männliche Tiere) die „Versuchskaninchen“ für Tests – Wirkung, Dosierung und Nebenwirkungen wurden hauptsächlich oder gänzlich an männlichen Probanden erfasst. In der modernen Medizin waren immer Männer das Vorbild; Frauen oft nur ein Nachgedanke. Leider setzt sich der Trend, die Auswirkungen von Medikamenten auf Frauen zu ignorieren, auch heute fort. Im Jahr 2013, 20 Jahre nachdem das Medikament auf den Markt kam, halbierte die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) die empfohlene Dosis für Frauen für das Schlafmittel Ambien (von 10 mg auf 5 mg für die jetzt freigegebene Version). Es stellte sich heraus, dass Frauen – von denen 5 % berichten, rezeptpflichtige Schlafmittel zu nehmen, verglichen mit nur 3 % Männern – das Medikament langsamer verarbeiten als Männer, was bedeutet, sie würden sich mit der höheren Dosis tagsüber schläfriger fühlen. Diese Nebenwirkung zieht ernsthafte Folgen nach sich, inklusive Fahrunfälle. Andere Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen auf eine ganze Reihe von Medikamenten völlig anders als Männer reagieren. In einem Versuch zum Beispiel hatten männliche Teilnehmer, die Statine nahmen, signifikant weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle, aber bei weiblichen Patienten zeigte sich nicht derselbe starke Effekt. Es könnte also tatsächlich schädlich sein, Frauen Statine zu verschreiben – die oft berüchtigt unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringen – ob das Risiko von Herzproblemen nun vorliegt oder nicht. In manchen Fällen kommen Frauen besser mit SSRI-Antidepressiva zurecht als Männer und andere Forschungsergebnisse legen nahe, dass bei Männern trizyklische Medikamente erfolgreicher sind. Frauen, die kokainsüchtig sind, zeigen auch andere Gehirnaktivität als Männer, was andeutet, dass ein Mechanismus zu existieren scheint, durch den Frauen schneller von der Droge abhängig werden können. Deshalb kann es zum Beispiel ernsthafte Folgen auf Drogen- und Betreuungsstandards haben, die später für schwer Suchtkranke entwickelt werden, wenn weibliche Probanden aus Suchtstudien ausgelassen werden.
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WIR WISSEN NOCH NICHT, OB DAS GESCHLECHT GRUNDSÄTZLICH EINEN EINFLUSS HAT, ABER WIR MÜSSEN WISSEN, WANN ES EINEN EINFLUSS HAT.

Phyllis Greenberger
Wir wissen auch, dass Frauen bei manchen ernsthaften Krankheiten andere Symptome aufweisen. Wenn Frauen zum Beispiel einen Herzinfarkt haben, bekommen sie das klassische Symptom Brustschmerz, oder auch nicht. Stattdessen haben sie mit höherer Wahrscheinlichkeit als bei Männern Atemnot, kalte Schweißausbrüche und Benommenheit. Das Geschlecht ist zwar nicht in allen Gesundheitsaspekten ein Faktor, aber wenn, dann wird es oft ernst. „Wir wissen noch nicht, ob das Geschlecht grundsätzlich bei jeder Krankheit, bei jedem Leiden einen Einfluss hat, aber wir müssen wissen, wann es einen Einfluss hat“, sagt Phyllis Greenberger, Vorsitzende und Geschäftsführerin der Society for Women's Health Research (dt. Gesellschaft zur Forschung an Frauengesundheit). Sie nahm kürzlich an einer Kongressbesprechung teil, auf der die Rolle der Geschlechtsunterschiede in der medizinischen Forschung diskutiert wurde und die von ihrer Gesellschaft und der Endocrine Society mitgesponsert wurde. Greenbergers Gesellschaft war wesentlich an der Verabschiedung des NIH Revitalisierungsgesetzes im Jahr 1993 beteiligt, das vorschrieb, dass alle von den nationalen Gesundheitsinstituten (NIH) finanzierten klinischen Versuche Frauen und ethnische Minderheiten berücksichtigen müssen. Diese Gesellschaft ist auch eine von vielen, die derzeit daran arbeitet, um dieselbe Berücksichtigung für Tiere und Zellen, die in vorklinischen Versuchen verwendet werden, zu erreichen – nicht nur für Menschen. Dankenswerterweise drängen die NIH jetzt darauf bedeutende, dauerhafte Veränderungen in der Forschung umzusetzen. Im September letzten Jahres begannen sie eine Reihe von Vorschriften, Bestimmungen und Anreizzuschüssen einzuführen, um Forscher dazu anzuregen (und in vielen Fällen auch von ihnen zu verlangen), das biologische Geschlecht als signifikanten Faktor in ihrer Arbeit zu behandeln. „Es geht einfach so weiter, wie es immer schon war“, sagt Dr. Jeffrey Mogil von der McGill University. „Ich denke, in diesem Fall wird die Trägheit durch eine Erwartung angeregt, die zwar begründet, aber falsch ist.“ Er meint damit die Grundannahme der Biomedizin, dass die weiblichen Hormonzyklen beim Tier, die aufgrund des Brunst- und Menstruationszyklus schwanken, in alle gesammelten Daten noch eine Variabilitätsquelle hereinbringen. Aus Wissenschaftlerperspektive fallen die Ergebnisse umso besser aus, je stärker überwacht ein Experiment ist. Bei weniger Variabilität im Tierproband (wie zum Beispiel einer Laborratte) können die Forscher auch weniger Tiere verwenden und geben weniger Geld aus, deshalb halten sich viele an die ausschließliche Verwendung männlicher Tiere, damit es schlichtweg einfacher und billiger wird.
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DIESE TRÄGHEIT WIRD DURCH EINE ERWARTUNG ANGEREGT, DIE BEGRÜNDET, ABER FALSCH IST.

Dr. Jeffrey Mogil
„Das ist alles gut und schön,“ sagt Dr. Mogil, „außer dass es einfach nicht stimmt.“ Durch seine Arbeit fand Dr. Mogil heraus, dass die Variabilität bei männlichen und weiblichen Mäusedaten fast gleich ist und, wenn überhaupt, dann sind die Männchen etwas variabler als die Weibchen. Eine kürzlich in der Zeitschrift Neuroscience and Biobehavioral Reviews veröffentlichte Metastudie spiegelt diese Ergebnisse wider und kommt zu dem Schluss, dass es in 293 Studien auf dem ganzen Feld der Biomedizin keine signifikanten Unterschiede in der Variation zwischen Männchen und Weibchen gab. Obwohl es stimmt, dass Weibchen eine Variabilitätsquelle haben, die die Männchen nicht haben, sagt Dr. Mogil, „was alle vergessen ist, dass...Männchen eine Variabilitätsquelle haben, die die Weibchen nicht haben – Dominanzhierarchien.“Sie bringen Mäuse dazu, in den Käfigen zu kämpfen, wenn sie zusammen gehalten werden und erhöht den Stress, was es schwieriger machen könnte, Aggression und Angst an ihnen zu erforschen. Auf der anderen Seite würde es nicht nur die Variabilität anerkennen sondern die Realität, wenn beim Erforschen weiblicher Tiere ihren hormonellen Veränderungen Rechnung getragen wird. Denn Frauen brauchen auch in jeder Phase ihres Zyklus – und die, die schwanger, vor oder nach der Menopause sind – wirksame Medikamente.

ES WÜRDE NICHT NUR DIE VARIABILITÄT ANERKENNEN SONDERN DIE REALITÄT, WENN BEIM ERFORSCHEN WEIBLICHER TIERE IHREN HORMONELLEN VERÄNDERUNGEN RECHNUGN GETRAGEN WIRD.

Dr. Mogils neueste Forschung konzentrierte sich auf die Schmerzverarbeitung bei Mäusen und fand heraus, dass männliche und weibliche Mäuse das tatsächlich durch verschiedene Arten von Immunzellen tun. Deshalb könnte jede wissenschaftliche Arbeit, die diesen Mechanismus nur bei männlichen Mäusen unter die Lupe nimmt, weiblichen Schmerz ignorieren. „Wir hatten gar nicht nach Geschlechterunterschieden gesucht“, sagt er. „[Im Gegensatz zu den meisten anderen Laboren] verwenden wir in allen unseren Experimenten schon immer männliche und weibliche Mäuse...wenn es also Geschlechterunterschiede gibt, dann bemerken wir sie.“Auch wenn Dr. Mogils aktuelle Forschung nicht auf auf dem Markt befindliche rezeptpflichtige Schmerzmittel anwendbar ist, könnte sie äußerst wertvoll bei der Entwicklung neuer Mittel sein. Gerade bei Schmerzmitteln könnten Geschlechterunterschiede besonders wichtig sein, betont Dr. Mogil, denn Frauen machen bis zu 70 % der Patienten mit chronischen Schmerzen aus. Besonders auf diesem Feld also können Studien, die sich nur auf männliche Mäuse konzentrieren, eventuell nur einem kleinen Teil der Patienten dienen. „Das Geschlecht ist eine biologische Variabel, die von den Zellen bis zum ganzen Menschen in Betracht gezogen werden muss“, schreibt Janine Clayton, Doktor der Medizin und Leiterin der NIH Stelle zur Erforschung der Frauengesundheit, in einer E-Mail. „Jeder Teil des Körpers besteht aus Zellen und jeder dieser Zellen ist entweder männlich oder weiblich – inklusive Gehirnzellen, Lungenzellen und Hautzellen.“

WIR WOLLEN SICHERSTELLEN, DASS DIE INBETRACHTZIEHUNG DES BIOLOGISCHEN GESCHLECHTS NICHT NUR EIN NEBENGEDANKE IST.

Dr. Janine Clayton
Kürzlich investierten die NIH 10 $ Millionen (aus einem Jahresbudget von 30 $ Millionen) in 82 Projekte, die sich bemühen, die Auswirkungen des Geschlechts auf eine ganze Reihe von Gesundheitsthemen zu erforschen, darunter auch Funktionen des Immunsystems und Nervenverschaltung. Es ist nur ein kleines Stück, aber immerhin ein Anfang. Letzten Monat veröffentlichten die NIH eine Nachricht, die die Erwartung erläuterte, dass alle Zuschussbewerber (ab Januar 2026) auf jeder Stufe die Auswirkungen des Geschlechts berücksichtigen müssen – und bei Studien an nur einem Geschlecht voll und ganz die Unausgewogenheit rechtfertigen müssen. Wenn Männlichkeit bis jetzt das Vorbild ist, dann werden die Forscher durch diese neue Änderung wenigstens gezwungen zu bedenken warum und müssen es rechtfertigen. „Diese Vorschriftenänderung hat zum Ziel, bedeutende Veränderungen in der Denkweise von Wissenschaftlern hervorzubringen“, schreibt Dr. Clayton, eine der führenden Kräfte in dem kürzlichen Vorstoß bei neuen Bestimmungen. „Wir wollen sicherstellen, dass die Inbetrachtziehung des Geschlechts als biologische Variabel zentral ist und nicht nur ein Nebengedanke oder ein Kästchen zum Ankreuzen.“ Dr. Mogil hält die neuen Bestimmungen zwar für klug, „was wir aber wirklich brauchen, ist ein Kulturwandel – und wenn wissenschaftliche Arbeiten wie meine anfangen die Leute zu beschämen und ihnen zeigen, was sie da verpassen, dann denke ich, ist das ein effektiverer Weg [sie zu überzeugen].“ Aber Denkweisen zu verändern dauert lange – und hier gibt es viele verschiedene Denkweisen zu ändern. „Von der Grundlagenforschung zur klinischen Forschung zur medizinischen Ausbildung zum Arzt zum Patienten dauert es eine Weile“, sagt Dr. Greenberger. Trotzdem, auch große Veränderungen müssen irgendwo anfangen. Und die Aufmerksamkeit, die diese Veränderungen schon bekommen haben, ist ein gutes Zeichen, denn um Frauengesundheit zu verstehen, muss man sie zuerst erforschen.

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