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Sogar Folter und Gefängnis konnten diese 25-jährige Syrierin nicht aufhalten

Diese Geschichte ist Teil einer Refinery29 Serie, die sich dafür einsetzt, Frauen – die in der Berichterstattung über die syrische Flüchtlingskrise meist ungehört bleiben – eine Stimme zu geben. Hier findest du mehr zu unserem multimedialen Projekt "Behind the Headlines: Daughters of Paradise". Wenn du mehr von den Menschen hinter den Zahlen der weltweiten Flüchtlingskrise sehen möchtest, klicke hier.
Es gab Momente, in denen die 25-jährige Noor es kaum ertragen konnte. Ihren Blick starr gegen die Wand gerichtet, hüllte sie sich in Schweigen – nur so konnte sie der Enge und dem Horror für einen Augenblick entfliehen. 50 Tage lang musste Noor sich mit 30 anderen Frauen eine drei mal drei einhalb Meter große Zelle teilen. Jeden Tag wurde sie von syrischen Soldaten verhört. Jeden Tag widerstand sie der Versuchung, sich umzubringen und entschied sich dafür durchzuhalten.
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„Ich habe mir oft gewünscht tot zu sein, einfach, um nicht mehr an diesem Ort sein zu müssen. Das Einzige, was mich am Leben gehalten hat, war der Wunsch, meine Mutter noch einmal wiederzusehen”, erzählt Noor uns. Aus Sicherheitsgründen hat sie uns gebeten, weder ihr Gesicht zu zeigen, noch ihren Nachnamen zu nennen.
Selbst in ihren schlimmsten Alpträumen hätte Noor sich nicht vorstellen können, mal in einem syrischen Gefängnis festgehalten zu werden. Die studierte Bauingenieurin wuchs in soliden Verhältnissen auf. Ihre Großeltern kamen 1948, kurz nach der Gründung Israels, nach Syrien. Ihre Eltern arbeiteten als Ärzte und konnten Noor und ihren vier Geschwistern so einen gewissen Lebensstandard ermöglichen.
Sie befand sich mitten im Masterstudium an einer Universität in Aleppo, als eine Welle von Protesten durch den Mittleren Osten rollte. Die meisten Demonstranten waren Studenten – so wie sie.
„Wir hatten so viel Hoffnung. Der Arabische Frühling war eine gute Nachricht”, sagt sie. „Nicht nur [für] Araber — sondern für uns alle. Einige arabische Länder werden zwar offiziell nicht als Königreich betitelt, jedoch trotzdem von jemandem regiert, der den Posten erbt." So auch in Syrien. Nachdem Hafez al-Assad im Jahr 2000 starb, übernahm sein Sohn, Präsident Baschar al-Assad, die Regierung. Insgesamt wurde Syrien über 40 Jahre lang von ein und der selben Familie regiert.
Zunächst versprach der jüngere Assad Reformen und Veränderung. Doch die Knospen des Damaszener Frühlings – eine Zeit der offenen Diskussion über die Zukunft Syriens – sollten nie wirklich blühen.
Photographed by: Tarek Turkey.
Noor still fears for her safety and has chosen not to reveal her identity. She fled Syria for Turkey nearly two years ago after being arrested by the Syrian military.
Nur ein Jahr nach der Amtsübernahme wurde jegliche Hoffnung auf Demokratie im Keim erstickt. Baschar wechselte den Kurs und ließ Regimekritiker verfolgen und verhaften – ganz nach dem Vorbild seines autoritären Vaters. Erst zehn Jahre später bekam der Wille nach Demokratie einen neuen Aufschub und die unzufriedene Bevölkerung Syriens ging erneut auf die Straße.
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Gespannt verfolgte Noor die Aufstände, bis sie endlich auch in ihrer Heimatstadt Aleppo angekommen waren. Als es so weit war, ließ sie es sich nicht nehmen und schloss sich, gemeinsam mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen, im April 2011 den Protesten an.
„Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, sagen zu können, was ich wollte”, erinnert sich Noor. „Besonders wir Frauen haben uns so gut gefühlt. In unserer Kultur war es uns nicht erlaubt, unsere Stimme zu erheben. Bei dem Protest haben wir lauthals Parolen gerufen."
Wieder währte das beflügelnde Gefühl von Revolution, Fortschritt und Gerechtigkeit nicht lang. Im Mai schritt das Militär ein und unterband die Demonstrationen. Aufgeben kam für Noor und ihre Mitstreiter jedoch nicht in Frage. Als die Proteste auf der Straße zu gefährlich wurden, operierten sie vom Untergrund aus und die Freie Syrische Armee schaffte es sogar, Teile Aleppos zu übernehmen. Assad schlug sofort zurück. Um Druck auf die Bevölkerung auszuüben, entzog er städtischen Institutionen, wie zum Beispiel Schulen, sämtliche finanzielle Unterstützung.

Als sie meinen Laptop entdeckt haben, ist mir nur noch meine Familie durch den Kopf gegangen. Ich wusste, dass ich eine lange Zeit im Gefängnis verbringen werden würde.

Noor
„Da wir das Ganze in Bewegung gesetzt hatten, fühlten wir uns für die Kinder, deren Bildung und auch für die Lehrer die plötzlich keinen Job mehr hatten, verantwortlich”, erklärt Noor. Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: „Wir haben den Lehrern ihre Bezahlung organisiert, uns für die psychologische Unterstützung der Kinder eingesetzt und Aktivitäten ins Leben gerufen, um die Kinder von den Bombenanschlägen abzulenken."
Am 4. September 2013 sollte sich Noors Leben für immer verändern.
Die sanften Töne ihrer Akustikgitarre hallten durch die Wohnung, als es plötzlich sehr heftig an der Tür klopfte. Nichts Ungewöhnliches: Eine unangemeldete Hausdurchsuchung, syrische Soldaten die nach Waffen und Männern schauen, die sie einziehen können.
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Noor und ihre Mutter waren an diesem Tag alleine zuhause und sie erinnert sich, dass die Soldaten zunächst recht freundlich waren und das Apartment eher halbherzig durchforsteten. Dann fragten sie sie nach ihrem Laptop-Passwort.
„Als sie meinen Laptop entdeckt haben, ist mir nur noch meine Familie durch den Kopf gegangen. Ich wusste, dass ich eine lange Zeit im Gefängnis verbringen würde, denn das ist anderen vor mir auch schon passiert", sagt Noor. „Als der Befehlshaber die Fotos gesehen hat, ließ er mich vom Fleck weg verhaften."
Es handelte sich um Fotos von Bildern, die die traumatisierten Kinder Aleppos unter Noors Aufsicht gemalt hatten. Sie zeigten Tauben mit der Friedensflagge auf dem Rücken, Krieg, Blut und Zerstörung und wurden somit als aufhetzerisch eingestuft.
Photographed by: Tarek Turkey.
Now living in Turkey, Noor is able to do things she wasn't able to in Syria, from riding her bicycle to playing her guitar in public.
„Meine Mutter sagte, sie würde sich umbringen, wenn sie mich mitnehmen und sie hat es wirklich versucht. Sie ist in die Küche gegangen und hat sich ein Messer geschnappt. Die Soldaten haben versucht, sie zu beruhigen”, erzählt Noor. "Also habe ich ihr ein Versprechen gegeben, ohne sicher zu ein, es jemals einhalten zu können. Ich habe ihr gesagt 'Hab keine Angst, Mama. Ich komme zurück.'"
Die Soldaten warteten auf ihren Vater und verhafteten ihn ebenfalls. Sie sagten, sie würden den beiden ein paar Fragen stellen und dann könnten sie wieder gehen. Für Noor war das der Beginn einer fast zweimonatigen Tortur und der wohl schlimmsten Zeit ihres jungen Lebens.
„Frauen und Männer wurden gleichermaßen gefoltert. Sie hatten keinerlei Gnade, vor allem wenn es hieß, man sei ein Mitglied der Freien Syrischen Armee. Sie hängten Leute, folterten sie mit Elektroschocks, ließen sie verhungern und vergewaltigten sie."
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Noor wurde jeden Tag verhört. Sie wurde gezwungen, falsche Aussagen zu unterschreiben, die sie terroristischer Handlungen bezichtigten. In den 50 Tagen Haft durfte sie nur zweimal baden.
Dann, eines Abends und ohne jegliche Erklärung, wurden Noor und ein paar andere Insassen in einen Bus verfrachtet. Sie wurden für einen Gefangenen-Austausch zur libanesischen Grenze gebracht. Die Gefangenen, die nicht ausgetauscht wurden – unter anderem Noor – wurden nach Damaskus gefahren und mitten in der Nacht auf einer einsamen Straße ausgesetzt.

Meine Mutter sagte, sie würde sich umbringen, wenn sie mich mitnehmen und sie hat es wirklich versucht. Sie ist in die Küche gegangen und hat sich ein Messer geschnappt.

Noor
Noor schaffte es nach Hause, wusste jedoch, dass sie ihr Heimatland verlassen werden müsse, wahrscheinlich für immer.
Als Palästinenserin hätte Noor ein Visum gebraucht, um in die Türkei einzureisen, doch dafür war keine Zeit. Sie nutzte den Reisepass einer Freundin, um die Grenze zu passieren. Ihr Bruder musste den harten Weg über Stacheldrahtzäune und Schmuggler gehen. Nachdem die Geschwister sich in Gaziantep eingelebt hatten, sind auch ihre Eltern nachgekommen. Heute arbeitet Noor für eine gemeinnützige Organisation, die Wasser, Essen und Medizin sammelt und an Menschen verschickt, die noch in Syrien leben. Auch wenn sie weit weg ist, will sie den Kampf für ein freies Syrien weiterhin unterstützen.
Mittlerweile ist Noor 27. Sie hat sich an das Leben und die Freiheit, die sie in der Türkei genießt, gewöhnt und denkt weniger und weniger darüber nach, in ihr Heimatland Syrien zurückzukehren. Wenn sie auf ihrem pinken Fahrrad durch die Stadt fährt, fühlt sie sich frei. Sie sitzt im Sattel, tritt in die Pedale und lenkt ihr Leben in die Richtung, die ihr gefällt. Sie braucht keine Stützen, niemanden, der sie anschubst – Noor ist eine starke und selbstständige Frau. In Syrien wird Frauen bis heute von der Gesellschaft untersagt, Fahrrad zu fahren.
Filmemacher Tarek Turkey hat aus Gaziantep berichtet. Diese Geschichte basiert auf Interviews, die er vor Ort und in Person, sowie am Telefon von New York aus, gemacht hat.

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