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Ich habe meine Plazenta gegessen & rate allen davon ab

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Foto: David Brandon Geeting.
Die menschliche Plazenta ist ein wundersames Organ. Sie wächst, wenn ein Kind in uns wächst, und verschwindet, wenn das Kleine zur Welt kommt. Ein Organ, das den wachsenden Organismus im eigenen Organismus mit allen Nährstoffen versorgt, die er benötigt, und zur Hälfte Mutter, zur Hälfte Kind ist. Weshalb der wachsende Trend, die Plazenta nach der Geburt auf unterschiedlichste Arten zu verarbeiten und zu verspeisen, doch etwas merkwürdig erscheint.
Dr. Mark Kristal von der Universität in Buffalo studiert das Phänomen der „Plazentophagie“, also den Akt des Verspeisens der Plazenta, und ist im nordamerikanischen Raum der Experte für Fragen rund um das Thema geworden. Während die meisten Säugetiere nach der Geburt einen Urinstinkt verspüren, die Plazenta zu essen, ist dieser Trieb beim Menschen nicht vorhanden. Ganz im Gegenteil: Die meisten Frauen stößt der Gedanke ab, „und das wird schon seinen Grund haben“, so Kristal.
Und doch ist der Trend da.
Es stimmt zwar, dass minimale Mengen menschlicher Plazenta in der alten chinesischen Medizin Anwendung fanden, bis auf einige wenige Anhänger der Hippie-Bewegung der späten 60er Jahre gibt es jedoch keine sonstigen Hinweise darauf, dass dieses Ritual sich in der menschlichen Zivilisation weiter durchgesetzt habe.
Heutige Befürworter, die gegen Anfang der 2000er laut wurden, behaupten, dass sich das Essen der Plazenta positiv auf postnatale Depressionen auswirkt, die Milchproduktion der Mutter ankurbelt, beim Hormonausgleich nach der Schwangerschaft hilft und schlaflosen Nächten mit der nötigen Energie für frisch gebackene Mütter entgegenwirkt. Sie argumentieren außerdem oft mit der Tatsache, dass es andere Säugetiere auch tun und die Aktion somit nur „natürlich“ (und deshalb auch gesund) sei. Ärzte und Wissenschaftler widersprechen dem.
Bis auf eine viel kritisierte Forschungsarbeit von 1954 gibt es keine weiteren Studien, die besagen, dass das Essen der Plazenta die Muttermilchproduktion anregen würde. Auch das Argument der vermeintlichen Natürlichkeit ist von Anbeginn nicht ganz durchdacht, so Dr. Kristal. „Frauen verspüren nicht von sich aus das Verlangen, ihre Plazenta zu essen, nachdem sie gebären – im Gegensatz zu anderen Säugetieren, die einen unmittelbaren Drang dazu aufweisen. Menschen finden das erst einmal abstoßend, also ist es per se eine andere Ausgangslage.“
Und trotzdem hört man in den vergangenen Jahren immer wieder von unterschiedlichen Praktiken, die Plazenta nach der Entbindung in den Speiseplan der Mutter zu integrieren. Die Ideen reichen vom Untermischen in Lasagne oder Spaghettisoßen über Smoothies bis hin zur populärsten Variation der Kapsel, wobei die Plazenta schockgefroren, gemahlen und in Kapselform verarbeitet wird, wie es beispielsweise zuletzt auch Kim Kardashian tat.
Dr. Kristal weist einen großen Teil des Hypes um den Mutterkuchen der medialen Vermarktung zu. „Menschen legen heutzutage sehr großen Wert auf populärwissenschaftliche, anekdotenhafte Daten, die sich in ihrem Kern nicht wesentlich von urbanen Mythen unterscheiden. Und Menschen, egal wie gebildet oder ungebildet, tendieren dazu, etwas zu glauben, wenn sie es immer und immer wieder im Internet lesen.“
Interessanterweise reicht das aber oftmals aus. „Das ist der Placeboeffekt, und er ist sehr stark“, argumentiert Dr. Kristal, der weiterhin ausführt, dass Menschen mit Stimmungsschwankungen oder Depressionen besonders empfänglich sind für Placebos. Auf die Frage, ob er findet, der bloße Placeboeffekt würde als Argument für die Praktik ausreichen, erwidert er: „Das ist eine der großen ethischen Fragen aller Placebos: Ob sie nun tatsächlich etwas bewirken oder nicht, ist das wirklich relevant, wenn es der Person guttut, ohne ihr oder dem Umfeld zu schaden?“
Das eigentliche Problem liege doch eher darin, dass man genau das nicht weiß. Denn beim Verarbeiten der Plazenta herrscht weiterhin ein großes Risiko der Kontamination vor, die durch Infektionen oder falsche Handhabung zu jedem Zeitpunkt passieren kann. Die Plazenta setzt sich aus Hunderten Verbindungen zusammen und es gibt keine Analysen darüber, was die einzelnen Stoffe bei Einnahme im menschlichen Körper verursachen. Es kann zum Beispiel zu langfristigen Folgen kommen, die sich erst Jahre später oder bei der nächsten Schwangerschaft bemerkbar machen.
Bisher gibt es allerdings auch keine Geschichten von Frauen, die nach der Einnahme Schlimmes erleben mussten. Und trotzdem betont Dr. Kristal: „Ich habe es schon mehrmals erlebt, dass Menschen nach Vorlesungen zu mir kamen und sich negativ äußerten. ‚Ich habe es versucht und mir ist davon schlecht geworden‘ und ‚Ich habe es gemacht und es hat nichts gebracht‘ – das sind Antworten, die ich zwar bekommen habe, die jedoch nie in den Medien erwähnt werden.“
Also haben wir uns genau das zur Aufgabe gemacht und sind, siehe da, inmitten unserer Redaktion auf eine Kollegin gestoßen, die aus eigener Erfahrung sprechen kann. Sie hat ihre Plazenta zu Kapseln verarbeiten lassen, hat diese auch jeden Tag fleißig genommen – und ist fest entschlossen, diese Prozedur bei möglichen weiteren Schwangerschaften nicht zu wiederholen. Glücklich, dass sie es ausprobiert hat, ist sie trotzdem.
„Es fühlt sich fast wie ein Mutterschaftsabzeichen an“, so Ly. Wenn jede Schwangerschaft drastisch unterschiedlich verlaufen kann und jede Frau vor möglichen Depressionen oder wesentlichen, körperlichen Veränderungen steht, ist es dann nicht auch ein bisschen nachvollziehbar, dass viele Frauen alles tun würden, um diese Erfahrung kontrollierter und mehr besonders zu machen?
In den folgenden Slides erfahrt ihr im Interview mit Ly, wie es ihr genau ergangen ist.
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