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Ein anregender Dialog über Feminismus damals & heute

Am 21. Januar 2017 fand der bislang größte eintägige Protest in der Geschichte der USA statt. Über 500 Tausend Menschen gingen in der Hauptstadt Washington D.C. auf die Straße. Etwa 4.Millionen in den gesamten USA, weltweit waren es sogar mehr als 5 Millionen. Heute ist Internationaler Weltfrauentag und wieder werden Menschen, Frauen wie Männer, auf der ganzen Welt für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung protestieren gehen. Zwei unserer Redakteurinnen haben dies zum Anlass genommen, um sowohl über ihre eigenen Erfahrungen mit Feminismus, die Geschichte des Frauentages als auch den aktuellen Stand der Dinge zu sprechen.
Insa: Ich freue mich schon wahnsinnig, dass wir später alle zusammen demonstrieren gehen. Es ist enorm wichtig, dass wir uns heute mit Frauen weltweit solidarisieren.
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Martyna: Absolut. Das letzte Mal habe ich auch beim Women's March 2017 protestiert. Damals, einen Tag nach der Amtseinführung von Präsident Trump versammelten sich weltweit über 5 Millionen Menschen auf der Straße. Wie feministisch wurdest du erzogen?
Insa: Ehrlich gesagt, bin ich die ersten Lebensjahre in einem eher klassisch organisierten Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater hat das Geld verdient, während meine Mutter sich um mich, meinen jüngeren Bruder und den Haushalt gekümmert hat. Zunächst gab es da also ziemlich klassische Rollenverteilungen.
Martyna: Zunächst? Das heißt, es hat sich irgendwann etwas verändert?
Insa: Ja, als ich fünf Jahre alt war, haben sich meine Eltern scheiden lassen. Obwohl meine Mutter nun die meiste Zeit alleinerziehend war, hat sie noch mal eine Umschulung begonnen. Sie war in dieser Zeit viel weg, musste tagsüber arbeiten und abends pauken. Heute weiß ich, dass das eine krasse Herausforderung für sie gewesen sein muss, den Spagat zwischen Muttersein und „Karrieremachen“ allein zu bewältigen.
Martyna: Das waren ja auch noch andere Zeiten.
Insa: Aber hallo. Ich erinnere mich noch gut daran, dass meine Mutter in unserem 500-Seelen-Dorf den Ruf einer Rabenmutter weg hatte. Weil sie sich scheiden lassen hat und weil sie nur wenig bei uns, ihren Kindern, war. Dabei hat sie eigentlich nur alles in ihrer Macht stehende getan, um unabhängig zu werden und uns in Zukunft aus eigener Kraft ernähren zu können. Mein Vater hat sich damals, auch weil er verletzt war, über sie lustig gemacht und sie des Öfteren als „eine von diesen Emanzen“ bezeichnet. Er hat sich über Feministinnen im Allgemeinen amüsiert. Schrecklich, wenn ich mir das heute vorstelle.
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Martyna: Was zeigt dir das?
Insa: Es zeigt mir, dass damals auch in meiner Familie noch ziemlich starre Rollenklischees vorherrschten, aus denen meine Mutter ausbrechen wollte. Sie war schon als junges Mädchen sehr rebellisch, ist Motorrad gefahren und hat mit 16 einen klassischen Männerberuf gelernt. Das gab viel Ärger. Mich als ihre Tochter wollte sie deshalb immer zu einer selbstbewussten und starken Frau erziehen, die sich nichts gefallen lässt, die an sich glaubt und alles schaffen kann – zur Not eben auch allein, ohne Ehemann. Das ist ihr in weiten Teilen auch gelungen, denke ich. Wie war das bei dir zu Hause?
Martyna: Ich muss zugeben, dass ich recht spät verstanden habe, was Feminismus wirklich bedeutet. Meine Familie kommt aus Polen und auch ich bin dort geboren. Dort, in meinem kleinen Heimatdorf in der Nähe von Krakau, herrscht bis heute eine sehr klassische Rollenteilung: Die Frauen kümmern sich neben ihren Berufen zusätzlich um Haus, Hof und Kinder. Die Männer gehen arbeiten und setzen sich nach Feierabend an einen gedeckten Tisch. Was ich jedoch schon als Kind verstand, war, was für starke Rollen meine Tante, Oma und Mutter für die Organisation des Familienlebens spielten. Ohne sie lief nichts, sie waren die Stützen der Familie. Meine Mutter ist nach meiner Geburt vorerst alleine nach Deutschland gezogen, hat dort die Sprache gelernt, sich mit Aushilfsjobs über Wasser gehalten und mich erst dann dazu geholt, als die Basis stand. Ich habe ihre Stärke und ihr Durchhaltevermögen, mich ohne meinen Vater in einem ihr fremden Land großzuziehen, immer extrem bewundert. Auch sie bekam für ihre Entscheidung viel Kritik von Bekannten.
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Insa: Interessant, wie unterschiedlich und doch ähnlich unsere Erziehung und unsere Erfahrungen waren.
Martyna: Absolut. Ich konnte meine Bewunderung meiner Mutter gegenüber erst in den richtigen Kontext einbetten, als ich älter wurde. Denn Feminismus im Sinne von bedingungsloser Gleichstellung zwischen Mann und Frau adaptierte ich erst in meinen 20ern in der Uni. Ein Kurs, den ich im Rahmen meines Amerikanistik-Studiums belegte, beschäftigte sich mit Texten von Frauen – von 1800 bis heute. Den Reader dazu habe ich verschlungen und schaue bis heute manchmal hinein, um mich von den Visionen von Schriftstellerinnen wie Margaret Fuller oder Gloria Steinem inspirieren zu lassen.
Insa: Ich bin auch ein großer Fan von Biographien toller Frauen. Ihnen haben wir Tage wie diesen zu verdanken. Den Internationalen Frauentag gibt es ja jetzt schon seit mehr als 100 Jahren. Meines Wissens nach haben sich damals vor allem sozialistische Frauenorganisationen für die Gleichberechtigung engagiert. Es ging noch um so grundlegende Dinge wie Bildungszugang, freie Berufswahl oder das Wahlrecht für Frauen. Das muss man sich mal vorstellen: Vor hundert Jahren waren Frauen quasi noch absolut rechtlos. Sie durften erst ab 1900 studieren und es mussten noch einmal fast 20 Jahre vergehen, bis sie 1918 (zumindest in Deutschland) wählen gehen durften.
Martyna: Da hat sich im Vergleich zu damals heute definitiv einiges verbessert.
Insa: Ja, das stimmt. Allerdings nur langsam. Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein wurde ja an traditionellen Institutionen wie der Ehe und dem Konzept Mutterschaft festgehalten, weil das angeblich als „natürliche Bestimmung der Frau“ vorgesehen war. Auch die NS-Diktatur war nicht gerade eine Glanzstunde des deutschen Feminismus. Erst mit der zweiten Welle der Frauenbewegung, die in den 60er Jahren einsetzte, hat der Kampf gegen feste Frauenbilder so richtig begonnen. Frauen forderten endlich mehr Selbstbestimmung und Gleichberechtigung ein, zum Beispiel auch ihr Recht auf Abtreibung. In den 90er Jahren standen andere Themen im Fokus. Das Bild von Weiblichkeit und sexueller Ausrichtung wurde aufgebrochen und viel facettenreicher. Und die Rolle des Mannes verändert sich seitdem auch viel stärker als in den Jahrzehnten davor.
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Martyna: Und wie siehst du die Frauenbewegung heute?
Insa: Während Frauen in den 1960er und 70er Jahren demonstrieren gegangen sind, solidarisieren wir uns heute eher online, über unsere Social-Media-Kanäle und über Hashtags. Feminismus findet zuerst im Netz statt. Von daher ist es toll zu sehen, dass sich seit dem vergangenen Jahr offenbar auch wieder eine verstärkte Protestkultur offline, auf der Straße ausbildet. So wie es der Women's March im vergangenen Jahr gezeigt hat.

Das muss man sich mal vorstellen: Vor hundert Jahren waren Frauen quasi noch absolut rechtlos

Insa
Martyna: Ja, aber ich frage mich, wieso der Woman’s March eigentlich erst einen Tag nach Trumps Amtseinführung stattgefunden hat? Den Grund des Marsches habe ich nie hinterfragt, für mich war nur der gewählte Tag immer ein Rätsel. Warum protestieren, wenn es schon zu spät ist? Wieso nicht am 19. Januar oder noch besser vor der Wahl im November 2016?
Insa: Das frage ich mich auch, wieso gab es keine Proteste vor der Wahl? Trumps sexistische und frauenfeindliche Sichtweisen haben sich ja bereits im Wahlkampf herauskristallisiert. Da muss man doch eigentlich auf die Straße gehen bevor so ein Mann überhaupt die Chance bekommt, ins Amt gewählt zu werden.
Martyna: Vielleicht ist das ein generelles Problem. Dass wir unsere Missgunst und unseren Protest zu spät kundtun. Trotzdem hat der March meiner Meinung nach eine sehr wichtige Änderung gebracht: Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt haben gesehen, was für eine treibende Kraft aus dem Gemeinschaftsgefühl entsteht. Ich war selbst in Hamburg anwesend. Wir waren zwar „nur“ 250 Protestanten, aber es fühlte sich nach so viel mehr an, weil wir die Power der weltweiten Märsche spüren konnten.
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Insa: Das ging mir in Berlin ähnlich. Hat das bei dir nachhaltig etwas ausgelöst?
Martyna: Dieser Tag mit all den inspirierenden Reden hat mich darin bestärkt, nie wieder meinen Mund zu halten, wenn ich mich als Frau angegriffen oder stigmatisiert fühle – nicht nur für mich sondern für alle meine Schwestern. Es wäre schön, wenn heute am Women’s Day 2018, über ein Jahr nach Trumps erstem Tag im Amt, nachdem so viel passiert ist im Rest der Welt, erneut Frauen, Mädchen, Männer und Jungs zu einer Einheit für ausnahmslose Gleichstellung zusammenfinden würden. Schön wäre, wenn der Weltfrauentag jährlich genauso viele Menschen bewegt, wie der Women’s March 2017.
Insa: Ja, wir müssen dran bleiben. Es gibt einfach noch viel zu tun. Schau' dir einfach mal die jüngsten Wahlergebnisse in Europa an.

Natürlich müssen Frauen weniger als Männer verdienen. Weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind, müssen sie weniger verdienen.

Janusz Korwin-Mikke, der Gründer der Korwin-Patrei in Polen
Martyna: Genau, nicht nur in Amerika sind rückläufige Entwicklungen, was etwa die Gender Equality angeht, zu beobachten. Auch bei uns in Deutschland ist die Dringlichkeit seit der Bundestagswahl und dem damit einhergehenden, erschreckenden Wahlergebnis der AfD gestiegen. Und auch der knappe Sieg Emmanuel Macrons in Frankreich und die katastrophalen Wahlergebnisse in Österreich, der Slowakei oder Italien und das stets angeheizte politische Klima in Polen bereiten mir Sorgen. Janusz Korwin-Mikke, der Gründer der Korwin-Patrei, sagte erst kürzlich im EU-Parlament einen Satz, der mich immer wieder in Wut zusammenzucken lässt: „Natürlich müssen Frauen weniger als Männer verdienen. Weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind, müssen sie weniger verdienen.”
Insa: Absurd.
Martyna: Zustände wie diese beweisen nur noch einmal mehr, dass wir dranbleiben müssen, um das, was die Generationen vor uns an Fortschritten erreicht haben, nicht wieder zu verlieren. Denn es steht so viel auf dem Spiel.
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Insa: Eben, man bemerkt momentan auf der Welt die Bedrohung unserer bereits erkämpften Rechte. Frauen wie du und ich bringen die besten Voraussetzungen mit, uns dagegen zu wehren. Meine Mutter hat mich, wie so viele andere Mütter ihre Töchter unserer Generation auch, ganz selbstverständlich zu einer Feministin erzogen, im Gegensatz zu ihr, die noch als „Emanze“ beleidigt wurde. Ich weiß natürlich, dass ich mich in Berlin in einem verhältnismäßig fortschrittlichen Kontext bewege. Hier ist es ja quasi hipp eine Feministin zu sein. Das sehe ich übrigens durchaus auch manchmal kritisch. Nur weil ich ein T-Shirt mit der Aufschrift „feminism“ trage, bin ich noch kein*e Feminist*in. Da gehört schon ein bisschen mehr dazu. Oder wie siehst du das?

Was wir tun können, um jeden Tag zum Frauentag zu machen: miteinander in den Dialog treten, über Gefühle, Wünsche und auch Ängste sprechen.

Martyna: Da gehört so viel mehr dazu und ich bin mir sicher, dass ich immer noch viel an Hintergrundwissen nachzuholen habe, da das Thema Feminismus für mich erst seit ein paar Jahren omnipräsent ist. Klar, ich arbeite bei Refinery29, da ist bei uns jeden Tag Thema und ich habe jetzt tatsächlich das Gefühl die generellen Grundsätze soweit verinnerlicht zu haben, dass es sich in meinen Gedanken und meinem Privatleben verankert haben. Die politischen Entwicklungen weltweit rufen danach, dass jeder sich mit dem Thema Feminismus und Geschlechtergleichberechtigung auseinandersetzt.
Insa: Das finde ich auch. Das wird sicherlich ein Grund dafür sein, warum Protestmärsche und der Weltfrauentag in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewinnen. Wichtig ist, dass wir unsere Ziele auch im Alltag im Blick behalten.
Martyna: Was wir tun können, um jeden Tag zum Frauentag zu machen: miteinander in den Dialog treten, über Gefühle, Wünsche und auch Ängste sprechen. Denn Themen wie Gender Pay Equality und Kinderbetreuung werden besonders für geburtenstarke Jahrgänge wie die Generationen Y und Z zu großen Themen, für die wir kämpfen müssen. Außerdem sind Twitter und Instagram die Plattformen, zu denen man sie macht. Man kann dort feministischen Seiten und aufklärenden Pages folgen, mit anderen Usern in einen positiven Dialog treten und seine Stimme nutzen, die heute jeder dank der sozialen Medien hat. Dir fällt eine Werbung auf, die sexistische Inhalte zeigt, melde sie; einen Artikel, der dich inspiriert, kannst du mit deinen Followern teilen, im Alltag Zivilcourage zeigen, wenn dir Ungerechtigkeiten auffallen, protestieren gehen, in Gehaltsfragen auf Equal Pay bestehen und an deine Stärke als Frau glauben.
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Den Dialog könnt ihr übrigens unter diesem Text in den Kommentaren beginnen. Tauscht euch aus, erzählt uns eure Erfahrungen zum Thema Feminismus.
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