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Wie diese Mädchen Armut & Gewalt in ihren Townships entkommen wollen

Vergewaltigungen und Bandenkriminalität gehören in manchen Townships Südafrikas zum Alltag. India Baird zeigt jungen Frauen Alternativen auf.

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Südafrika ist ein Land der Unterschiede und der Ungleichheiten. In Kapstadt gibt es auf der einen Seite riesige, von weißen Mauern eingeschlossene Villen, die sich an den Klippen des begehrten Camps Bay oder in Clifton befinden, auf der anderen Seite massenhaft notbedürftig aufgestellte Wellblechhütten, die sich in den Townships über Kilometer entlang der Autobahnen erstrecken. Wenn man vom Flughafen nach Kapstadt fährt, führt kein Weg an ihnen vorbei. Die gesellschaftlichen Folgen der Jahrzehnte lang andauernden Apartheid* zu überwinden ist keine Kleinigkeit. Vielerorts fühlt es sich so an, als hätte die Arbeit daran gerade erst begonnen. Vor allem die soziale Ungleichheit führt in Südafrika zu einer großen Frustration, mit der viele Menschen täglich konfrontiert werden. Sei es, weil sie zwei oder drei Stunden brauchen, um mit (unzuverlässigen) Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren oder aber mit der permanenten Angst zu leben, überfallen zu werden, sobald sie das Haus verlassen. Vergewaltigungen und Bandenkriminalität gehören in den teils gefährlichen Townships zum Alltag. Sicherheit existiert für viele nur in ihren Hoffnungen oder Träumen.
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Auch wenn die Mehrheit der Menschen hier in Armut lebt und von Gewalt umgeben ist – in vielen Siedlungen der Stadt pulsiert ein positiver, ein kaum zu bändigender Geist. Und trotzdem: Begegnet man den Jugendlichen und ihren vielen Problemen in den Ghettos, will man nur eins: Helfen. Der Fokus im Kampf um Menschenrechte sollte deshalb darauf liegen, denjenigen eine Stimme zu geben, die sich nicht artikulieren können oder die nicht gehört werden – weil sie zu jung sind oder nicht ausreichend Mittel besitzen. Den Schwächeren Raum und Aufmerksamkeit geben, das sollte in einer Gesellschaft, die sich verändern will, Priorität haben. Denn unsere Kinder sind unsere Zukunft. Bei der Masse an bedürftigen Menschen, die in den Townships leben, ist es manchmal jedoch schwer abzuwägen, welche Sache gerade am wichtigsten erscheint.
Foto: PATRYCIA LUKAS
Die Initiative Rock Girls (beschreibt sich selbst als Graswurzelbewegung) will gezielt junge Frauen fördern. Sie wollen die Mädchen inspirieren, ermutigen und in sie investieren. Gründerin India Baird ist der festen Überzeugung, dass Frauen die notwendigen Veränderungen herbeiführen können, die wir zukünftig brauchen. Rock Girls hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, Mädchen mit Protagonist*innen aus ganz verschiedenen Kontexten zu vernetzen – aus Politik, Wirtschaft, Medien, Sport, Mode oder Kunst. Sie sollen den Mädchen und jungen Frauen bei der Konzeption, Umsetzung und Finanzierung eigener Projekte helfen. Als Organisation setzt Rock Girls dafür insbesondere auf menschliche Beziehungen und Austausch, aber auch auf Technologien, Design und soziale Medien, die auf das Interesse der Mädchen zugeschnitten sind. Der Fokus auf das Geschlecht sei für das Projekt wichtig, argumentiert India, da „Mädchen weltweit oft die Chance auf Erfolg verwehrt wurde.“
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India Baird wusste schon in jungen Jahren, dass sie etwas bewegen will. Als Tochter einer amerikanischen Farmers-Familie, die schon in achter Generation in Tennessee lebt, war India die erste, die studieren ging. Schon während des Studiums hatte die Non-Profit-Arbeit schnell ihr Herz erobert, die kommerzielle Arbeit auf ihrem Schreibtisch hingegen reizte sie eher weniger. „Ich wusste, dass ich unbedingt helfen muss“, sagt India. Die tiefe Frustration über die Ungerechtigkeiten, die Frauen und Kinder weltweit erleiden, führte sie schließlich nach Südafrika.
Ein Besuch in einer Grundschule in Manenberg, einem benachteiligten Stadtteil in den Cape Flats, brachte India auf die Idee, eine Bank zu entwerfen, die ausschließlich für Mädchen gedacht ist – ein „sicherer Ort“, an dem sie einfach sitzen können und ihnen zugehört wird. „Frauen fühlen sich nicht sicher in den Townships. Gewalt gegen Frauen findet hier überall statt – zu Hause, in ihren Familien und sogar auf Toiletten, die sich meistens außerhalb ihrer Häuser befinden.“
Foto: PATRYCIA LUKAS
Amman, eines der „Rock Girls“, erzählt: „Dadurch, dass uns an unseren Wohn- und Arbeitsorten Gewalt angedroht wird, fühlen wir uns nicht sicher, wenn wir von der Schule oder von der Arbeit nach Hause gehen“. Die Gründerin India weiß, dass Mädchen und Frauen zwar noch immer die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft sind, aber glaubt daran, dass sie auch die stärksten sein können. Viele Frauen machen Karriere, übernehmen Führungsrollen und haben Erfolg – das ist auch ein Ziel der Rock Girls. „Wir wissen, dass das Teilen unserer Geschichten von entscheidender Bedeutung ist. Nur gemeinsam können wir die vielen Schichten aus Scham, Ignoranz und Angst durchbrechen und unser Land wieder heilen.“
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Indias Energie und ihr Enthusiasmus sind regelrecht ansteckend. Wenn man sie fragt, woher sie die Kraft für dieses Projekt nimmt, erklärt sie, dass sie ihre Vitalität aus der unglaublichen Natur, die sie am Kap umgibt, zieht. Sie verbringe zudem viel Zeit mit Gleichgesinnten und mit Menschen, die sie inspirieren.
Missbrauch ist in Südafrika weit verbreitet und von vielen Faktoren wie etwa Armut, Migration sowie sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheiten abhängig. Eine der größten Herausforderungen besteht darin „Frauen dazu zu bringen, Vorfälle zu melden. Sie sind ängstlich, fühlen sich bedroht oder haben keinen Ort, an dem ihnen zugehört wird“, erzählt India. Ein „Rock Girl“ zu sein bedeutet auch, Akteurin des Wandels zu werden, indem du selbst sichere Räume schaffst, das Bewusstsein anderer für Gewalt und für den Umgang mit Gewalt sensibilisierst.
Die Bänke sind deshalb sowohl in wörtlicher als auch in symbolischer Hinsicht wichtig. Sie sollen das Bewusstsein für das Thema Gewalt gegen Frauen schärfen. Die Bänke bestehen aus Stein – ein Sinnbild für Stärke und Ausdauer. Überall in der Stadt sind sie schon zu finden und auch in einigen Townships rund um Kapstadt. Die erste „Safe Space“-Bank mit den Namen „Speak Out“ wurde 2011 auf der Kunstmesse Design Indaba präsentiert. Entworfen wurde sie von dem Künstler Tim Lewis in Zusammenarbeit mit der Red River Schulgemeinschaft sowie Lovell Friedman, der das Mosaik anfertigte. In eben dieser Schule wurde später auch die Initiative Rock Girls gegründet.
Die Botschaften, die auf der Bank und den Kopfbedeckungen der darauf Abgebildeten zu lesen sind, stammen von einheimischen Frauen. Die Augen – ein Symbol aus der afrikanischen Kultur – repräsentieren Frauen und insbesondere ihre Verantwortung füreinander. Aus der San-Kultur entlehnt sind die heilenden Hände, die einerseits an die Notwendigkeit appellieren sollen, Gewalt in jeglicher Form zu stoppen, als auch daran, einander zu helfen. Viele Bänke sind in Rot getüncht, weil die Farbe für Blut und Gewalt, aber zugleich auch für Mut steht. Die rosafarbenen Elemente hat man hinzugefügt, damit die Bänke Weiblichkeit und etwas Mädchenhaftes suggerieren.
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„Wir haben die Bänke in städtischen Gebieten installiert, in denen es viel Verkehr gibt. Im Stadtzentrum und am Bahnhof von Kapstadt, wo Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen den Zug nehmen. Und es wurden sogenannte Schwesterbänke, die von Frauen in benachteiligten Stadtvierteln entworfen wurden, in eben diesen benachteiligten Gemeinden, wie Khayelitsha, installiert“, erklärt India.
Foto: PATRYCIA LUKAS
„Rock Girls“ sind intelligent, sie sind wortgewandt, energiegeladen und neugierig. Nach ein paar Minuten, die man mit ihnen verbringt, ist man genauso enthusiastisch wie sie. Man will sich in irgendeiner Weise einbringen und involvieren. Jedes dieser Mädchen hat eine eigene, meist bewegende Geschichte. Ihre Zuversicht und ihre Intelligenz aber lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass jede von ihnen alles erreichen kann, was sie will – und ihre Ambitionen sind wirklich hoch. India hat für sie die Funktion einer Mentorin, sie ist so etwas wie eine Wegweiserin. Die wöchentlichen Treffen mit ihr sind für die Mädchen eine unglaublich ermutigende Erfahrung. Viele sagen, dass sie dazu beigetragen haben, ihnen einen breiteren Horizont aufzuzeigen und eine positive Lebenseinstellung zu entwickeln.
Die meisten Mädchen sind zwischen 14 und 18 Jahre alt und kennen sich untereinander bereits aus der Schule. Sie haben sich gegenseitig von den Rock Girls erzählt oder India direkt in der Schule kennengelernt, wenn sie dort zu Besuch war. Fragt man die jungen Frauen, was „Rock Girls“ für sie bedeute, so rufen sie ohne zu zögern, laut und deutlich: „Sisterhood!“. „Wir passen immer aufeinander auf, wenn wir einen sicheren Ort verlassen. Wir bleiben immer zusammen.“. Und auf die Frage, warum sie sich „Rock Girls“ nennen, antworten sie: „Weil wir stark sind und uns niemand brechen kann. Niemand wird uns mehr niederschlagen“ sagt Micheala selbstbewusst. „Wir inspirieren uns gegenseitig dazu, mutig zu sein und unseren Mund aufzumachen. Wir sind alle füreinander da“, ergänzt Candice.
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Die Mädchen kommen aus sehr unterschiedlichen Haushalten, in denen das Leben meistens sehr hart ist, weil die Ressourcen knapp sind und weil es keine oder nur wenig Unterstützung gibt. Die wöchentlichen Treffen mit India sind daher ein Anker, an dem sie sich festhalten können.
Foto: PATRYCIA LUKAS
Als eines der Mädchen India einmal fragte, ob das Leben für alle Mädchen in Afrika so sei, beschloss sie, dass sie es zusammen herausfinden sollten. Die Idee Rock Girls on the Road war geboren. Sie liehen sich einen Bus aus und fuhren einfach los. Eine Reise, die India nun jedes Jahr unternimmt, um gemeinsam mit ihren Girls das Land kennenzulernen und andere Regionen zu besuchen, die dieselben Probleme haben wie sie hier – Bandengewalt und Armut. Der Bus selbst wird für die Zeit der Reise zu einem sicheren Raum für die Frauen. Oft ist es das erste Mal, dass ein Mädchen unterwegs über die Gewalt, die sie erfahren hat, sprechen kann. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie beginnen über ihre traumatischen Erfahrungen zu reden und sich von ihrer Angst befreien können, wenn wir ihnen einen sicheren Raum bieten“, so India.
Aber bei den Rock Girls passiert noch weitaus mehr. Die Mädchen werden zu Reporterinnen ausgebildet. Sie treffen sich, interviewen und fotografieren Frauen, denen sie auf ihrer Reise begegnen. Danach konzipieren sie Pop-up-Ausstellungen in ihren Gemeinden. Die Roadtrips haben zudem eine starke ökologische und umweltbewusste Ausrichtung. Ein Bewusstsein für all diese Dinge zu entwickeln empfindet India als eine der wichtigsten Voraussetzungen bei der Aufklärung der Mädchen in den Bereichen, in denen sie selbst etwas verändern können. „Ich war vor Rock Girls eine ganz andere Person“, sagt Amman. „Ich habe jetzt so viel Vertrauen in meine Fähigkeiten bekommen und weiß, dass ich reisen und die Welt sehen will und dass ich anderen helfen möchte“ erzählt sie ganz aufgeregt.
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Wenn sie von ihren Reisen zurückkommen, werden die jungen Frauen in Praktika vermittelt, damit sie weiterhin darin bestärkt werden, ihrem Leben aus eigener Kraft positiven Einfluss zu geben. Exkursionen wie diese haben das Potential, das Leben der Mädchen nachhaltig zu verändern. Die Ausflüge können ihnen dabei helfen, der Gewalt in ihren eigenen Familien zu entkommen und ihr Land zu erkunden, sie erwerben unschätzbare Kompetenzen und können am Ende sogar eigene Radiosendungen und Filme produzieren.

Wie könnt ihr Rock Girls unterstützen?

Die Organisatoren von Rock Girls sind immer auf der Suche nach Sponsoren, damit zukünftig noch mehr Mädchen an den Reisen teilnehmen können. Wer Interesse hat, sich weiter informieren oder engagieren möchte, kann sich direkt bei der Organisation melden. „Rock Girls vernetzt über 300 Organisationen, die sich gegen Gewalt an Frauen engagieren, darunter lokale Schulen und Rotary Clubs“, erklärt India. „Wir hoffen, die heldenhaften Bemühungen von NGOs und der Regierung mit unserer Arbeit zu unterstützen, aber wir heißen auch Freiwillige, ganz gleich mit welchem Hintergrund, willkommen.“
*Als Apartheid wird eine historische Periode der staatlich festgelegten und organisierten Rassentrennung in Südafrika bezeichnet. Sie war vor allem durch die autoritäre, selbsterklärte Vorherrschaft der „weißen“, europäischstämmigen Bevölkerungsgruppe über alle anderen gekennzeichnet.
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