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Warum es okay ist, als Erste „Ich liebe dich“ zu sagen

Illustrated by Anna Sudit.
Es war letztes Jahr an einem kalten Dezembertag. Ich war etwa vier Monate mit meinem Freund zusammen, als ich eines Morgens aufwachte und auf einmal wusste, dass ich ihn liebe. Was mich dazu brachte, diese simple Wahrheit an exakt jenem Tag zu spüren, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr so genau sagen. Wahrscheinlich war es einfach die Kombination aus mehreren kleinen Sachen. Wie er mal losgegangen war, um uns frische Bagels und warmen Kaffee zum Frühstück zu besorgen, obwohl es draußen schneite, damit ich im Bett frühstücken konnte. Oder wie er mich so zum Lachen bringt, dass ich weinen muss. Oder wie er mich respektiert und mich selbst in den Interessen unterstützt, die für andere einfach nur seltsam sind. (Ich erinnere mich beispielsweise an ein dreiwöchiges Experiment, während dem ich weder meine Beine, Arme, Achseln noch sonst was rasiert habe.)
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Ich weiß noch, wie nervös ich auf einmal war. Ich war mir sicher, dass ich ihn liebte, aber der Gedanke, ihm das zu sagen, jagte mir eine Heidenangst ein. Deswegen tat ich das, was jeder vernünftige, erwachsene Mensch in meiner Situation tun würde. Anstatt meinem Partner zu sagen, was ich für ihn fühlte, rannte ich zu meinen 10, 15 engsten Freunden und erzählte es lieber ihnen. „Ich glaube ich werde ihm sagen, dass ich ihn liebe.“ Enttäuschenderweise hatten sie alle die gleiche Antwort für mich: „Warte lieber noch ab. Warte, bis er es zuerst sagt.“
Klar hat keiner meiner Freunde es in dieser Deutlichkeit gesagt, aber unterschwellig war genau das die Nachricht, die bei mir ankommen sollte. Was sie auch tat, denn genau diese Nachricht hatte ich eh schon mein ganzes Leben lang verinnerlicht. In heterosexuellen Partnerschaften gilt ein Mann, der als erstes „Ich liebe dich“ sagt, als romantisch und heftig verliebt. Halb Hollywood lebt von Filmen, in denen es genau um diesen einen Moment geht. Wohingegen eine Frau, die sich zuerst ihrer Gefühl bekennt, offensichtlich nicht mehr ganz bei Trost ist. Sie gilt als anhänglich und will wohl zu allem Überfluss auch noch jetzt sofort ein Kind. Obendrein ist sie höchstwahrscheinlich sterbenslangweilig. Man sollte also zusehen, dass man sie möglichst schnell wieder loswird und sich von ihr trennen. So oder so ähnlich haben wir alle gelernt, sind die Verhältnisse.
Nichtsdestotrotz war ich erstaunt, als meine Freundinnen mir unisono dazu rieten, darauf zu warten, bis mein Freund mir die magischen drei Worte zuerst sagt. Dabei handelt es sich bei ihnen allen um schlaue Frauen, deren Meinung ich respektiere. Wahrscheinlich wollten sie mich nur davor beschützen, „Ich liebe dich“ zu sagen und dann den Schmerz zu fühlen, wenn mein Partner es nicht erwidert. Egal, wie emanzipiert meine Freundinnen in anderen Bereichen ihres Lebens sein mögen, die Vorstellungen, den Mann das Tempo in Liebesdingen vorgeben zu lassen, scheint extrem tief in unserer Vorstellung verankert zu sein.
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Ich entschloss mich, darauf zu pfeifen. Und zwar aus ziemlich egoistischen Gründen. Irgendwann wurde es für mich einfach schwieriger, es nicht zu sagen, als es einfach rauszulassen. Nur wie ich es anstellen sollte, wusste ich noch nicht. Vielleicht ganz beiläufig, wenn wir das nächste Mal zusammen auf der Couch saßen? „Also, keine Ahnung welche Partei ich bei der nächsten Wahl wählen soll. Ach so, und ich liebe dich.“ Am Ende ist es natürlich nicht so abgelaufen. Die wenigsten Situationen, über die wir uns in unseren Tagträumen verlieren, laufen am Ende so ab, wie erhofft. Stattdessen war ich konstant angespannt und gestresst, weil die Worte „Ich liebe dich“ mir die ganze Zeit auf der Zunge lagen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kätzchen, das gerade überlegte, das erste Mal von ihrem Körbchen in einen fremden Raum zu tapsen.
Irgendwann wurde mir alles zu viel, und ich sagte sie einfach. Wir hingen eines Abends faul zusammen rum, ich holte tief Luft und sagte: „Wir müssen da jetzt gar nicht drüber reden, aber ich liebe dich.“ Daraufhin machte er ein Geräusch, dass wohl ein „Aw“ sein sollte, aber sich mehr so anhörte, als habe man ihm gerade in die Magengrube geschlagen. Er nahm mich fest in den Arm und sagte extrem lange gar nichts. Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit, obwohl es wahrscheinlich nur eine Minute war. Schlussendlich sagte er dann: „Ich will nicht, dass du glaubst, dass es mir anders geht.“
Ich ließ mir nichts anmerken, aber es tat mir sehr weh, es nicht zurück zu hören. Die nächsten Tage verbrachte ich in Panik darüber, dass ich ihn jetzt verschreckt hatte, wie meine Freunde es mir prophezeit hatten. Ich erinnere mich noch daran, wie ich dachte: Da hast du es, darum sollten Frauen es nicht zuerst sagen. Ich fühlte mich wie eine Verrückte. Es war eine Mischung aus Traurigkeit und einer komischen Art von Schuld, so als hätte ich etwas gemacht, das ich nicht hätte machen dürfen. Einige Tage nachdem ich es gesagt hatte, fragte ich ihn sogar, ob sich jetzt irgendwas zwischen uns verändert hätte. Er versicherte mir, dass alles so sei wie vorher, aber egal was er sagte, nichts konnte meine Scham auflösen. Nach etwa einer Woche blieb mir dann nichts Anderes übrig, als einfach so zu tun als sei nichts passiert. Ich versuchte mich so normal wie möglich zu geben, aber innerlich konnte ich mir nicht verzeihen, dass ich nicht einfach die Klappe gehalten hatte.
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Illustrated by Anna Sudit.
Etwa einen Monat später stand ich gerade in der Küche und wärmte einige Stücke übrig gebliebene Pizza auf. Das komische Gefühl wegen der ganzen „Ich liebe dich“-Sache war mittlerweile so gut wie verflogen. Er war im Schlafzimmer und las etwas, als er auf einmal meinen Namen rief. Es klang dringend: „Vanessa, komm mal bitte!“ Ich dachte, Okay, jetzt ist es soweit. Jetzt habe ich also Kakerlaken in der Wohnung. Ich habe Kakerlaken und sie haben in meinem Schlafzimmer eine Siedlung errichtet. Ich werde mein ganzes Hab und Gut verbrennen und mir eine neue Wohnung suchen müssen. Als ich dann im Schlafzimmer ankam, gab es aber gar keine Kakerlakenplage. Mein Freund lag auf meinem Bett, zog mich zu sich heran und sagte: „Ich liebe dich.“
Was danach passierte, hatte so gar nichts von einer romantischen Komödie. Weder war ich geduscht, noch ertönte eine romantische Musik im Hintergrund. Keine filmreife Szene. Nichts. Wir waren mehr wie das Kätzchen, das gerade ein paar erste ungeschickte Tapser in eine unbekannte Richtung unternahm. Es fühlte sich neu an. Gut, aber ungewohnt.
Es ist folgendermaßen: Ich habe nicht „Ich liebe dich“ gesagt, weil ich es unbedingt zurück hören musste. Ja, ich habe mir einige Wochen lang den Kopf darüber zermartert, wieso er es nicht sofort zurück gesagt hat. Aber ich habe es ihm vor allem deswegen gesagt, weil ich es gefühlt habe, und weil ich es nicht ertragen konnte, es nicht zu tun. Ich weiß, das hätte verdammt schiefgehen können. Er hätte so reagieren können, wie es in unserer Kultur fast erwartet wird, und am nächsten Tag unter Angabe fadenscheiniger Ausreden mit mir Schluss machen können. Darauf war ich vorbereitet gewesen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mir gedacht habe: Gut, also falls er mich nicht zurückliebt, dann können wir es auch eigentlich direkt lassen.
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Heute ist „Ich liebe dich“ ein Satz, den wir beide sparsam einsetzen. Wir wollen ihn nicht abnutzen, indem wir ihn jedes Mal sagen, wenn wir uns am Telefon verabschieden oder ihn immer ans Ende einer Textnachricht hängen. Wir sagen ihn in Momenten, in denen wir uns tief miteinander verbunden fühlen, oder wenn ich in ein Flugzeug steige. Wir schreiben ihn uns gegenseitig in Geburtstagskarten. Aber immerhin sind die Worte jetzt einmal draußen, und wir müssen nicht die ganze Zeit um sie herumschleichen wie um einen rosa Elefanten im Raum. Nicht noch ein Jahr oder der Himmel weiß wie lange darauf warten zu müssen, dass er endlich als erstes „Ich liebe dich“ sagt, ist einfach befreiend. Unsere Liebe gleicht immer noch dem kleinen Kätzchen, das langsam lernt, sich bei uns beiden zu Hause zu fühlen. Mittlerweile ist es nicht mehr ganz so unbeholfen, und von Zeit zu Zeit läuft es sogar schon neugierig durch die ganze Wohnung, um herauszufinden, was es wohl noch so alles zu entdecken gibt.
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