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Wie auslaugend es ist, als übermäßig behaarte Frau Männer zu daten

Artwork: Anna Jay
Als Gott damals Haare verteilt hat, muss ich ziemlich laut „Hier!“ gerufen haben. Leider meine ich damit nicht volles, üppiges, glänzendes Haar auf meinem Kopf. Wäre zwar schön, ist mir aber leider nicht gegeben. Dafür habe ich überall sonst Haare: an den Koteletten, unterm Bauchnabel, über der Oberlippe, auf dem Kinn, überall auf meinen Armen, meinem Rücken und auch im Nacken. Herzlichen Dank.
Ich bin in einer weit verzweigten, griechisch-zypriotischen Familie aufgewachsen und habe meine Haarigkeit immer auf meine Wurzeln geschoben. Wir sahen alle gleich aus und darauf war ich sogar ein bisschen stolz. Doch sobald ich in die Grundschule kam, wurde mir bewusst, dass meine Körperhaare offenbar ein Problem darstellten.
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„Wir wollen dich nicht in unserer Gruppe. Du hast einen Bart. Mädchen haben keine Bärte.“ Als ich meiner Mutter im Alter von acht Jahren von diesem Erlebnis mit meinen Mitschülerinnen erzählte, nickte sie mir verständnisvoll zu und schickte mich mit einer Tube Bleichcreme ins Bad. Innerhalb von fünf Minuten waren die schwarzen Haare über meiner Oberlippe in einen hellen, zarten Flaum verwandelt worden, den auch alle anderen achtjährigen Mädchen in meiner Kleinstadt hatten. Seit diesem Tag trage ich alle zwei Wochen Bleichcreme auf und das wird mich wahrscheinlich bis zum Ende meiner Tage begleiten.
Eine Woche, bevor ich mit der Uni anfing, wurde bei mir ein Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCOS) diagnostiziert. Hierbei handelt es sich um eine überraschend weit verbreitete Hormonstörung, von der weltweit acht bis 20 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter betroffen sind. Die Symptome sind Gewichtszunahme, Akne, eine unregelmäßige Periode und Hirsutismus, auch als übermäßiger Haarwuchs bekannt. Mein Haar wurde dicker und dunkler und begann an Stellen zu sprießen, an denen ich zuvor noch nie Haare hatte, zum Beispiel auf meinen Wangen und meiner Stirn.

Mit der POS-Diagnose begann ich, meinen Körper ein bisschen besser zu verstehen. Das bedeutete aber nicht, dass es für mich einfacher wurde, mit meinen Haaren umzugehen.

Mit dieser Diagnose in der Tasche begann ich, meinen Körper ein bisschen besser zu verstehen. Das bedeutete aber nicht, dass es für mich einfacher wurde, mit der Behaarung umzugehen. Ich stellte mir vor, wie man schon bald von mir erwarten würde, in einem Hauch von Nichts auf Partys aufzutauchen oder wie ich mir mit sieben anderen Leuten ein winziges Badezimmer teilen müsste, sodass ich keine Zeit mehr hätte, mir stundenlang meine Körperhaare zu entfernen. Was mir aber die mit Abstand größte Angst einjagte, waren Dates mit Männern.
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Als ich noch bei meinen Eltern zu Hause wohnte, habe ich mir immer Sorgen gemacht, was Dating – abgesehen von den endlosen Kreuzverhören durch meine Eltern – so nach sich ziehen würde. Ich hätte niemals einen Freund mit nach Hause bringen dürfen, deswegen bedeutete dieser neue Lebensabschnitt an der Uni auch eine neue Freiheit für mich. Nur leider fehlte mir das Selbstbewusstsein. Wieso würde irgendein Mann eine Frau daten wollen, die mehr Haare hatte als er selbst?
Anstelle mir Shots an der Bar zu kaufen, ging ein Großteil meines Studienkredits für Haarentfernungscreme, Rasierer und Waxing-Studios drauf. Als ich zum Ende meines vierten Semesters endlich jemanden kennenlernte, wurde mir bewusst, dass es kein leichtes Unterfangen werden würde, mein übermäßiges Körperhaar vor ihm zu verstecken. Wenn wir uns spontan trafen, rasierte ich mich im Schnelldurchlauf, was zu entzündeten Ausschlägen, eingewachsenen Haaren und Eiterbeulen führte. Ich mischte meine Bodylotion mit stark deckendem Concealer und Foundation, um die Rötungen abzudecken, und traute mich nur mit ihm zu schlafen, wenn das Licht aus war.
Manchmal tauchte er unangemeldet bei mir auf, mit Blumen, einer DVD und Pizza. Was für andere ein Traum gewesen wäre, lies mich teilweise in eine Schockstarre verfallen. Wenn ich zuvor beim Waxing gewesen war und meine Haut noch rot und wund war, ließ ich ihn vor der Türe stehen und tat so, als sei ich nicht zu Hause. Heute bin ich mir sicher, dass mein absoluter Hass, meinen nackten Körper zu zeigen, schlussendlich einen großen Teil zum Scheitern unserer Beziehung beigesteuert hat. Er hat es nicht verstanden, aber ich habe mich konstant geschämt. Als es dann vorbei war, tat ich, was jede andere junge Frau, die sich von einer gescheiterten Beziehung ablenken möchte, tut: Auf jede Party gehen, auf die ich eingeladen wurde, und jede Dating-App herunterladen, die es gab. Diesmal wollte ich unbedingt, dass alles anders wird. Doch mein Haar, insbesondere das in meinem Gesicht, war alles, woran ich denken konnte, und so gelang es mir nicht, mich wie meine anderen Singlefreund*innen einfach mal gehen zu lassen.
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Und schon wieder sabotierte ich mich selbst, indem ich Dates und sogar Sex ablehnte, obwohl ich eigentlich Lust darauf gehabt hätte. So sehr schämte ich mich, Männern mein Körperhaar zeigen zu müssen. Einmal, bevor ich das erste Mal mit einem neuen Mann schlafen wollte, schlich ich abends heimlich in sein Badezimmer, um mir mein Gesicht zu rasieren, damit ich am nächsten Morgen nicht verdächtig haarig aussehen würde. So schnell wächst mein Haar nämlich dank PCOS. Unglücklicherweise schnitt ich mich dabei und so deckte ich die kleine Wunde so gut es ging ab und verließ dann fluchtartig die Wohnung, bevor er sehen konnte, was los war. Ich habe nie wieder von ihm gehört.
Um den leichten Bartschatten auf meiner Oberlippe und meinem Kinn abzudecken, habe ich mal vier Schichten Foundation aufgetragen, nur um diese dann einige Stunden später einmal komplett über das blütenweiße Hemd meines Dates zu schmieren. Darüber hinaus habe ich nach einem anderen Date mal jede Ripped Jeans, die ich zu diesem Zeitpunkt besessen habe, weggeschmissen, weil der Typ einen Kommentar zu meinen stoppeligen Knien gebracht hatte. Ich konnte nicht fassen, dass ich die Knie vergessen hatte.

Was wenn ich ein Haar vergessen habe, das ihn dann piekt, wenn wir uns küssen? Habe ich meine Finger rasiert? Er könnte ja meine Hand nehmen…

Wenn ich so drüber nachdenke, kann ich mich nicht daran erinnern, mich je auf ein Date tagsüber eingelassen zu haben. Mein schlimmster Albtraum ist, einen Typen dabei zu erwischen, wie er mein Gesicht im kalten, unbarmherzigen Tageslicht analysiert. Die Steigerung dieses Albtraums ist, dass er nach Beendigung seiner Analyse einen Kommentar zu den drei Haaren auf meinem Kinn macht, die ich aus Versehen nicht rasiert habe. Deswegen fühle ich mich auf Dates in schummrigen Kellerbars am wohlsten. Aber selbst hier trage ich mein langes Haar offen, um mich etwas beschützt zu fühlen.
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Obwohl ich mit der Zeit gelernt habe, etwas besser mit meiner Gesichts- und Körperbehaarung umzugehen, sind spontane Dates immer noch undenkbar für mich. Ich brauche mindestens 24 Stunden, um jedes einzelne Haar ordnungsgemäß zu entfernen. Manche davon wachsen übrigens innerhalb der 24 Stunden auch schon wieder nach. Wenn ich zum Waxing gehe, braucht es mindestens zwei Tage, bis die Rötungen verschwinden. Über die schmerzhaften Stoppeln und eingewachsenen Haare, die einige Zeit später auftauchen, möchte ich erst gar nicht reden.
Wenn ich dann auf dem Date bin, kann ich an nichts anderes denken als an meine Haare, da hilft auch das dritte Glas Rosé nicht. Was wenn ich ein Haar vergessen habe, das ihn dann piekt, wenn wir uns küssen? Habe ich meine Finger rasiert? Er könnte ja meine Hand nehmen… Ich weiß, dass das alles absurd klingt. Aber die Vorstellung, mit jemandem intim zu werden, ist für mich mit einer solchen Angst besetzt, dass ich mich unterbewusst zurückziehe und mir heute ziemlich sicher bin, dass viele Männer von vornherein gedacht haben müssen, ich sei nicht an ihnen interessiert. Anstatt auf den Klassiker „Es liegt nicht an dir, es liegt an mir“ zurückzugreifen, ist es um einiges leichter, einfach ohne Erklärung vom Radar zu verschwinden. Wenn ich meine Haare schon abturnend finde, will ich mir gar nicht ausmalen, wie Männer sie finden könnten.
Dass Ehrlichkeit nicht immer am längsten währt, musste ich auf meinem sechsten Date mit einem Polizisten, den ich ziemlich toll fand, feststellen. Als er mich fragte, wieso meine Arme so rot und fleckig seien, erklärte ich ihm, dass ich sie mir am Morgen epiliert hatte. Er schreckte zurück und antwortete: „Du hast so viele Haare an den Armen? Das ist ziemlich ekelhaft.“
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Ich weiß, ich bin komplett besessen von meinen Haaren, aber in meinem Hass und dem Wunsch, jedes einzelne Haar an meinem Körper zu entfernen, bin ich nicht allein. Egal, wie oft wir darüber sprechen, dass Körperhaare bei Frauen etwas absolut Natürliches sind, für viele ist es nach wie vor etwas Unerwünschtes und sogar ein Tabu. Mittlerweile kennen wir alle die Stars und Models, die mit Flaum unter den Achseln oder Beinhaaren in Kampagnen auftauchen und so ein Statement setzen wollen. Aber eine normale Frau, die stolz ihre Bauchhaare oder eingewachsenen Stoppeln in der Bikinizone präsentiert, sind immer noch so gut wie nicht präsent.

Egal, wie oft wir darüber sprechen, dass Körperhaare bei Frauen etwas absolut Natürliches sind, für viele sind sie nach wie vor etwas Unerwünschtes.

Als meine Großmutter schon über 80 war, hatte sie immer noch überall Vergrößerungsspiegel stehen, um ihre Gesichtshaare zu entfernen, sobald sie irgendwo auftauchten. Eine Freundin erzählte mir neulich, dass sie vor wichtigen Meetings mit männlichen Chefs in der Bürotoilette verschwindet, um sich die Haare auf ihrem Kinn mit einer Pinzette zu zupfen. Eine andere Freundin von mir ist Kosmetikerin und berichtet neuerdings von Kund*innen, die sich vor ihrem Waxing bei ihr für ihre Haare entschuldigen. Wenn sie sich schon bei einer fremden Person entschuldigen, deren Job es ist, tagtäglich alle möglichen Haare zu sehen, wie müssen sie sich dann erst vor ihrem Partner fühlen?
Es gibt einen großen Anstieg der Nachfrage für dauerhafte Haarentfernungen per Laser oder IPL (Intense Pulsed Light). Es scheint, als wollten immer mehr Menschen von Kopf bis Fuß haarlos sein. Und ich bin eine von ihnen. Anstatt mein Geld für Urlaub, Kleidung oder großartige Nächte mit Freunden auszugeben, spare ich seit Jahren, um Körperregion für Körperregion dauerhaft von Haaren zu befreien.
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Nachdem eine Reihe von Laserbehandlungen nicht gut gelaufen ist, buchte ich eine IPL. Der Unterschied ist, dass Laser eine sehr gezielte Wellenlänge benutzt, während IPL ein weiteres Spektrum abdeckt und ein sehr helles Licht nutzt, das mit dem Melanin in der Haarwurzel reagiert und diese dadurch zerstören soll.
Nach zwölf Sitzungen muss ich mich immer noch mit einem Flaum über meiner Oberlippe, auf dem Kinn und den Wangen herumschlagen. Die Haare sind zwar viel feiner und heller als vorher, aber sie sind immer noch da und ich bin mir ihrer auch immer noch bewusst. Insbesondere wenn ich kein Make-up trage. Aber indem ich sie trocken rasiere, kann ich nun auf ein Date gehen, ohne aus Panik vorher abzusagen oder zwischendrin aufs Klo zu schleichen, um meine Foundation nachzubessern. Dass die Haare nach einer Trockenrasur stärker nachwachsen, ist übrigens ein Märchen.
Ich habe kein Problem damit, eine Kosmetikerin die IPL-Behandlung in meinem Gesicht durchführen zu lassen, aber jemanden auf meinen Intimbereich loszulassen, ist etwas Anderes. Deswegen besorgte ich mir ein IPL-Haarentfernungsgerät für zu Hause. Das war eine ziemlich kostspielige Anschaffung, aber nach einem Monat merkte ich, wie die dicken, dunklen Haare auf meinem Bauch und in der Bikinizone weniger wurden. Ich muss zwar immer noch rasieren, aber nicht mehr täglich. Allein dafür hat sich die Investition schon gelohnt.

Man sollte sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass die meisten Menschen unser Aussehen ganz anders wahrnehmen als wir selbst.

Mit polyzystischem Ovar-Syndrom kann es sich so anfühlen, als sei man in einem ewigen Kampf mit einer unablässig sprießenden Behaarung. Damit man den nicht allein austragen muss, lohnt es sich, einen Termin beim Hausarzt oder der -ärztin zu vereinbaren. Er oder sie kann einem Tabletten verschreiben, die die männlichen Hormone blockieren, die für den übermäßigen Haarwuchs verantwortlich sind. Aber ich würde darüber hinaus auch dazu raten, einen Dermatologen aufzusuchen.
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Ich habe wirklich versucht, meinem Körperhaar nicht ganz so viel Bedeutung zuzumessen, aber das ist, wie so vieles, leichter gesagt als getan. Aber mit der Zeit ist mir bewusst geworden, dass ich mehr bin als nur meine Haare. Es wäre Unsinn, mich durch sie von irgendetwas abhalten zu lassen. Nicht nur von Dates, auch von Jobs, Urlauben, Partys und dem Leben an sich.
Einen Großteil der Zeit ist mir eh niemand nah genug, um meine Stoppeln zu sehen. Abgesehen davon sollte man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass die meisten Menschen unser Aussehen ganz anders wahrnehmen als wir selbst. Und wenn doch mal ein dummer Kommentar fällt? Auch wenn es immer noch kurz schmerzt, weiß ich jetzt, dass Leute, die meinen, solche Sachen von sich geben zu müssen, es einfach nicht wert sind.
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