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Meine Schmerzen lassen mich nicht schlafen & es ruiniert mein Leben

Foto: Annie Spratt.
Es ist drei Uhr nachts an einem Dienstag, und mein Freund schläft tief und fest neben mir, während ich überlege, aufzustehen und meinen Tag zu beginnen. Seit Mitternacht habe ich mich im Bett hin- und hergewälzt, mit eine Folge Gilmore Girls angeguckt und mir Meditationsübungen angehört. Ich habe Melatonin und CBD genommen. Ich habe es mit Kühlpacks und Wärmedecken versucht – und trotzdem bin ich hellwach. Und habe Schmerzen.
Ich öffne Twitter und stolpere wie immer über andere Mitleidende, die ebenfalls online sind, als ich nach „painsomnia“ („Schmerzsomnie“, also schmerzbedingte Schlaflosigkeit) suche. Unter diesem Suchbegriff finde ich immer eine Gruppe voller Nachteulen, die ihre individuellen Beschwerden oder spätnächtliche Snacks bequatschen. Es ist ein beruhigendes Gefühl, mit meinen mitternächtlichen Schmerzen nicht allein zu sein, und aktuelle Studien bestätigen, was die meisten von uns Betroffenen ohnehin schon wussten: Eine ergab, dass Frauen mit der Schmerzstörung Fibromyalgie nachts zweimal so häufig wach werden wie gesunde Frauen; eine andere zeigte, dass 70 Prozent der an rheumatischer Arthritis Erkrankten Schmerzen als Hauptgrund ihrer Schlafstörungen angeben. Es gibt zahlreiche chronisch kranke Menschen da draußen, die nachts kein Auge zubekommen – und das wirkt sich zwangsläufig auch auf ihre Fähigkeit aus, tagsüber ein erfülltes Leben zu führen.
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So viel mehr als „schlecht geschlafen“

Ich habe jeden Tag Schmerzen – wie viele andere, die mit einer chronischen Krankheit und damit verbundenen chronischen Schmerzen leben –, aber nachts werden die Beschwerden irgendwie schlimmer. Vielleicht liegt es an der fehlenden Ablenkung (oder der Tatsache, dass ich die Maximalmenge meiner Schmerzmittel schon gegen 18 Uhr erreiche), aber spätnachts oder frühmorgens sind die Schmerzen so überwältigend, dass ich nichts anderes tun kann, nicht einmal schlafen. Die 22-jährige Olivia hat Fibromyalgie und weiß genau, wovon ich rede. „Wenn ich versuche einzuschlafen, weigert sich mein Kopf dagegen, weil ich solche Schmerzen habe.“ Manchmal zögere ich die Schlafenszeit deswegen hinaus, vertrödele die Zeit mit Scrollen auf dem Sofa oder putze meine Wohnung – einfach, um mich davor zu drücken, mich ohne weitere Ablenkungen ins Bett legen zu müssen. Weil ich weiß, dass mir die Mühe letztlich kaum Erholung einbringt. Ich habe Angst vor dem Schlafen, weil ich weiß, dass ich dazu ohnehin nur ein kleines Zeitfenster bekomme, bevor mich mein Körper wachrüttelt und daran erinnert, dass es mir nicht gut geht.

Es ist eine brutale Ironie, morgens so aufzuwachen, als hättest du die Nacht durchgetanzt, obwohl du so krank bist, dass du nicht mal deine eigene Party durchhalten würdest.

Bevor ich krank wurde, dachte ich, chronische Schmerzen seien nur ein Problem älterer Leute: Meine Oma beklagte sich sonntags beim Mittagessen gerne über ihre diversen Leiden, und meine Mutter jammerte ab und zu mal über ihr Knie, das nach einem Skiunfall während ihrer Jugend nie mehr dasselbe war. Inzwischen bin ich aber 25 Jahre alt, habe seit fünf Jahren chronische Schmerzen und weiß heute, dass es für eine Krankheit keine Altersgrenze gibt. Olivia sieht das genauso. „Ich hasse es, dass meine Nächte schon mit Anfang 20 voller Schmerz sind und ich verglichen mit Gleichaltrigen viel weniger Schlaf bekomme. Und obwohl die Schmerzen zwar nachts schlimmer sind, fühle ich mich morgens manchmal so, als sei ich heftig verkatert.“ Es ist eine brutale Ironie, morgens so aufzuwachen, als hättest du die Nacht durchgetanzt, obwohl du so krank bist, dass du nicht mal deine eigene Party durchhalten würdest.
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Zwar werden die Schlafstörungen chronisch kranker Patient:innen ärztlich anerkannt – doch gilt „painsomnia“, die Schmerzsomnie, nicht als offizielle Diagnose. Den Begriff hat sich die betroffene Community selbst ausgedacht, um einen oft übersehenen Aspekt unseres Alltags gegenüber anderen erklären zu können. Der (gute) Schlaf gilt oft als Grundpfeiler der Gesundheit, und es gibt ganze Bücher rund um den gesunden Schlaf und die Wissenschaft dahinter. Matratzenhersteller:innen machen Werbung mit der Tatsache, dass wir guten Schlaf brauchen. Wieso also scheint das für chronisch kranke Menschen nicht zu gelten – zumindest in der Medizin?

Die ignorierte Schlaflosigkeit

Megan Rose ist 21 Jahre alt und lebt mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom, einer Ganzkörpererkrankung, die die Verdauungsfunktion, die Gelenke und Muskeln beeinträchtigt und mit diversen Begleiterkrankungen einhergeht. Sie erzählt, ihr Ärzt:innen scheine es nicht zu besorgen, dass sie nicht schlafen kann. „Damit konnten sie mir noch nie helfen. Es scheint ihnen nicht so wichtig zu sein, dass ich teilweise tagelang kein Auge zubekomme. Es gibt immer irgendwelche anderen Dinge, die ihnen dringender erscheinen als mein Schlaf.“
Die 25-jährige Emma hat mehrere Krankheiten und Ähnliches erlebt. Nachdem sie ein Medikament gefunden hatte, das sowohl gegen die Schmerzen als auch gegen die Schlaflosigkeit half, bekam sie von ihren Ärzt:innen gesagt, sie sei „zu jung, um das dauerhaft einzunehmen“. Sie weigerten sich, ihr das Mittel erneut zu verschreiben. Diese medizinische Altersdiskriminierung erleben wir Betroffenen immer wieder. Viele Ärzt:innen glauben, wir würden uns unsere Krankheiten und Beschwerden nur einbilden, oder dass sich unsere Schmerzen durch Sport und eine positive Einstellung beseitigen ließen. 
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Die dauernden Schmerzen, die Betroffene einer chronischen Krankheit oft erleben, werden durch die regelmäßige Schlaflosigkeit oft noch verschlimmert. Häufig sprechen die nächtlichen Schmerzen nicht auf unsere verschreibungspflichtigen Medikamente an, die wir vielleicht tagsüber eingenommen haben, um unseren Alltag zu bewältigen. „Painsomnia“ unterscheidet sich insofern von „normaler“ Schlaflosigkeit, der Insomnie (die ich schon vor meiner Krankheit erlebte), als dass dich die überwältigenden körperlichen Schmerzen nachts aus dem Schlaf reißen. Viele Leute wissen, wie schwierig es sein kann, nach einer schlechten Nacht tagsüber zu funktionieren – geschweige denn nach mehreren ruhelosen Nächten. Wenn du dazu noch den konstanten körperlichen Schmerz addierst, ist Schmerzsomnie oft wirklich unerträglich.
Häufig fehlt uns die richtige Sprache, um unsere Schmerzen so präzise beschreiben zu können, dass andere sie auch verstehen können. Die meisten Menschen verstehen Schmerz als etwas sehr Akutes: vielleicht als blauen Fleck oder als gebrochenes Bein. Wer menstruiert, kennt die monatlich drohenden Krämpfe; die meisten von ihnen haben aber ein paar Wochen im Monat ihre Ruhe. Wenn du nicht gerade unter hormonbedingten Beschwerden wie Endometriose oder dem polyzystischen Ovarialsyndrom leidest, kannst du dich auf diese Schmerzen vorbereiten. Ich selbst beschreibe meine Schmerzen meist auf sehr drastische Art, um in meinem Gegenüber ein unangenehmes Gefühl zu provozieren, mit dem ich selbst zu leben habe. Meine Schmerzen fühlen sich an, als würde mir heißes Öl die Wirbelsäule hinabtropfen; als würde mir Maschendrahtzaun den Rücken aufreißen; als würde mir dort jemand mit Nägeln entlangkratzen.

Es gibt zu viele von uns, die jede Nacht mit unerträglichen Schmerzen wach liegen und genau wissen, dass die Schmerzen auch morgen wiederkommen werden – und manchmal gar keine Pause einlegen.

Melissa
Melissa lebt mit Trigeminusneuralgie, die oft als die „Suizidkrankheit“ bezeichnet wird, weil sie Betroffenen so unerträgliche Schmerzen zufügt. Sie hat uns ihre alltäglichen Schmerzen beschrieben: „Die rechte Seite meines Gesichts brennt unnachgiebig, als hätte mir jemand mit einem glühenden Backstein ins Gesicht gehauen. Ein Messer gräbt sich in mein Ohr, ein Gewicht zerrt an meinem Kiefer und meine Zähne werden alle gleichzeitig gezogen, ohne dass ich vorher betäubt wurde. Es ist, als würden mir Bienen in die Wange stechen.“ In diesen Beschreibungen können sich Betroffene diverser Krankheiten wiedererkennen. Wir Kranken wissen, was Melissa meint – aber gesunde Menschen, und vor allem die Ärzt:innen, die uns behandeln, tun es nicht.
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Auch Melissa empfindet es als zutiefst unfair, ihren Schlaf gegen schmerzerfüllte, wache Nächte eintauschen zu müssen. Sie sagt: „Es gibt zu viele von uns, die jede Nacht mit unerträglichen Schmerzen wach liegen und genau wissen, dass die Schmerzen auch morgen wiederkommen werden – und manchmal gar keine Pause einlegen. Konstanter körperlicher Schmerz belastet dich auch mental.“
Frischgebackene Eltern, überarbeitete Vorgesetzte und Schichtarbeiter:innen beklagen sich oft über ihren Schlafmangel. Schlafentzug wird von Regierungen und militärischen Gruppen als (ethisch verwerfliche) Foltermethode angewandt, um Gefangenen ein Geständnis zu entlocken. Wir als Gesellschaft wissen also genau, welche körperlichen und mentalen Schäden uns der Schlafmangel zufügen kann. Die meisten Ärzt:innen und Schlafforscher:innen empfehlen sieben bis neun Stunden Schlaf pro Nacht; die Frauen, mit denen ich für diesen Artikel gesprochen habe, bringen es – genau wie ich – bestenfalls auf durchschnittlich fünf Stunden. Regelmäßiger schlechter Schlaf soll auch das Risiko für Langzeiterkrankungen wie Herzleiden, Diabetes und Depressionen erhöhen. Für diejenigen von uns, die schon mit unter 30 Jahren eine Liste voller medizinischer Probleme mit uns herumschleppen, die länger ist als ein Einkaufszettel, sieht es demnach nicht gut aus.
Schmerzbedingte Schlaflosigkeit ist ein weiteres, scheinbar unsichtbares Leiden, mit dem chronisch Kranke zu leben haben. Manchmal fühlt sich dieses Begleitsymptom an wie Folter. Unsere Ärzt:innen ignorieren unsere Beschwerden, und andere verharmlosen sie einfach als „schlecht geschlafen“. Den meisten fällt unser Leiden aber gar nicht erst auf – sie erkennen es höchstens an immer dunkler werdenden Augenringen oder daran, dass wir mittags zwischen zwei Meetings einen Powernap brauchen. Wir chronisch Kranken würden uns aber wünschen, dass ihr wisst: Während ihr sonntagmorgens nach einer langen Partynacht die Sonne aufgehen seht, liegen auch wir gerade hellwach im Bett – und wünschen uns verzweifelt, einfach wieder einschlafen zu können.
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