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Erdbeben in Indonesien: 24 Stunden an der Seite einer Krisenhelferin

Vanda Lengkong ist Leiterin des Katastrophenrisikomanagements für die britische Kinderhilfsorganisation Plan International in Indonesien und arbeitet aktuell in Palu, der Hauptstadt der Provinz Zentralsulawesi. Vor fast zwei Wochen wurde dieses Gebiet von einem Erdbeben der Stärke 7,4 und einem darauf folgendem Tsunami stark verwüstet. Die aktuellen Zahlen sind erschütternd: mehr als 2.000 Tote, über 5.000 Vermisste und über 1,5 Millionen Betroffene.
Vanda Lengkongs Hauptaufgabe besteht aktuell darin, den Schutz von Frauen und Mädchen zu gewährleisten. Diese sind in Krisensituationen wie diesen häufig am schutzbedürftigsten und werden meist vergessen. Wir haben Vanda gebeten, uns zu schildern, wie ihr Tag aktuell aussieht, um uns ein besseres Bild von der Situation vor Ort machen zu können. Hier ist ihr Tagebuch.
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5.30 Uhr: Mein Wecker klingelt. Ich stehe auf und schaue kurz nach dem Team. Es gab mindestens zehn Nachbeben, seit wir hier angekommen sind. Meist starten sie frühmorgens gegen 4 Uhr. Zum Glück ist es letzte Nacht ruhig geblieben.
6 Uhr: Ich muss fünfzehn Minuten laufen, um die nächste Toilette zu erreichen. Aktuell gibt es sehr wenige Toiletten hier, was ein großes Problem darstellt. Manchmal muss ich über eine halbe Stunde anstehen, um die Toilette benutzen zu können. Diesmal habe ich Glück und die Schlange ist nicht besonders lang.
Zurück am Zelt halte ich mit dem Team ein kleines Meeting ab. Wir haben mittlerweile eine kleine Notfallküche mit einem Campingherd. Es gibt zwar nicht viel Essen, aber wir können immerhin eine Kleinigkeit frühstücken. Es gibt Nudelsuppe. Manchmal gibt es genug Wasser, um eine kurze Dusche zu nehmen. Heute ist das leider nicht der Fall und so behelfe ich mir mit feuchten Tüchern.
7 Uhr: Ich checke meine E-Mails und muss auf Anfragen von der Regierung, Agenturen und möglichen Partnerorganisationen sowie den Medien antworten. Obwohl die Verbindung langsam ist, checke ich auch meine Social-Media-Accounts und poste Bilder und Infos über den vorherigen Tag. Ich versuche auch, so viel wie möglich zu twittern, weil das ein sehr unmittelbarer, schneller und unkomplizierter Weg der Kommunikation ist. So kann ich mehr Leute wissen lassen, was hier gerade passiert.
9 Uhr: Wir kommen im Hauptcamp in Tosale an. Ich verbringe den ganzen Morgen dort und spreche mit den Familien, die durch das Erdbeben ihre Häuser verloren haben. Ich versuche herauszufinden, was sie gerade am dringendsten benötigen. Eine Frau hat ihren Mann verloren und muss sich jetzt allein um sechs Kinder und Enkelkinder kümmern. Sie haben in einem Dorf nahe der Küste gewohnt, das durch den Tsunami besonders stark betroffen war. Mit ihr zu sprechen ist mir ziemlich nah gegangen. Eine ihrer Töchter hat eine körperliche Behinderung und eine andere ist gerade hochschwanger, dabei ist sie kaum 20 Jahre alt. Sie schlafen alle zusammen in einem Zelt. Obwohl ich schon seit zwei Wochen hier bin, schockiert es mich immer noch, wie die Leute leben müssen. Die junge schwangere Frau hat totale Panik vor der Geburt. Die Krankenhäuser sind komplett überbelegt und sie hat bisher noch keine Ärzt*innen gefunden, die ihr Kind entbinden werden. Dabei stellen Komplikationen bei der Geburt ein ernsthaftes Risiko für junge Mütter dar.
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Ich treffe auch zwei Mädchen im Teenageralter. Sie stammen aus einer großen Familie mit insgesamt 31 Mitgliedern, die auf drei Zelte verteilt sind. Die Mädchen gehen noch zur Schule, aber das ist gerade nicht möglich. Sie erzählen mir, wie schlimm es ist im Zelt mit so vielen Verwandten zu schlafen. Viele von ihnen sind Männer. Die Duschen sind weit entfernt und sie müssen für sie anstehen. Da es sich um offene Duschen handelt, müssen sie mit Kleidung duschen, da sie sich sonst beobachtet fühlen.
Uns ist aufgefallen, dass das für Mädchen und junge Frauen in den Camps ein Riesenproblem ist. Deswegen arbeiten wir daran, diese Einrichtungen so gut erreichbar wie möglich zu machen. Denn wenn sie gezwungen sind, weite Strecken zu laufen, um Duschen oder Toiletten aufzusuchen, stellt der Weg insbesondere im Dunkeln ein enormes Risiko für sie dar.
12 Uhr: Nachdem ich mit noch mehr Familien gesprochen habe, steige ich ins Auto. Heute ist es wahnsinnig heiß, 35 Grad. Ich sammele noch mehr Bildmaterial und Infos aus den einzelnen Camps zusammen, um die Situation besser einschätzen zu können. Ich setze mich mit meinem Laptop in den Schatten und beginne zu schreiben.
13 Uhr: Ich treffe mich noch mal schnell mit dem Team und suche etwas zum Mittagessen. Es ist aktuell schwer, einen Ort zu finden, an dem Leute Essen verkaufen. Bevor ich wieder ins Auto steige, schickt eine Freundin mir eine Nachricht. Die Leiche eines gemeinsamen Unifreundes wurde in den Trümmern eines Hotels in Palu gefunden. Ich bin am Boden zerstört. Sie sagt mir, ich müsse jetzt stark bleiben, damit ich nicht anfange zu weinen.
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Eine Freundin schickt mir eine Nachricht. Die Leiche eines gemeinsamen Unifreundes wurde in den Trümmern eines Hotels in Palu gefunden.

14 Uhr: Es wurde ein Krisenzentrum eröffnet, in dem Agenturen das Internet nutzen können, um zu arbeiten. Ich lade meine Powerbank und meinen Laptop auf und treffe mich mit anderen humanitären Helfer*innen. Aktuell besteht unsere Hauptaufgabe darin, Hilfsgüter aus Jakarta zu organisieren und ein Lager dafür in Palu zu errichten.
In Krisensituationen vergisst man schnell, dass Frauen und Mädchen besonders gefährdet sind. Mädchen im Teenageralter sind dann leichte Beute für Menschenhändler, Kinderheirat und Prostitution, weil ihre Familien händeringend nach Wegen suchen, um zu überleben. Außerdem nehmen die Fälle von häuslicher Gewalt stark zu, weil die Frustration in den Familien wächst. Die meisten der Fälle bleiben dabei ungemeldet. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass es den Frauen und Mädchen gut geht und dass sie eine Anlaufstelle haben.
Den Rest des Nachmittags verbringe ich in Meetings, beispielsweise in Koordinationsmeetings mit anderen Hilfsorganisationen und der Regierung, um die Errichtung des Warenlagers zu besprechen. Zwischendrin muss ich mich immer wieder selbst daran erinnern, ausreichend Wasser zu trinken.
21 Uhr: Zurück am Camp müssen die Zelte für die Nacht errichtet werden. Es folgt ein dreißigminütiges Meeting mit meinem Team, um zu besprechen, was an dem Tag alles passiert ist. Mein Kollege berichtet, dass 1.000 Notunterkünfte und Hygieneausrüstungen das Camp in den nächsten Tagen erreichen sollen. Es gibt noch immer weder Elektrizität noch Wasser.
23.30 Uhr: Es gibt endlich wieder etwas Wasser, deswegen kann ich eine schnelle Dusche nehmen. Ich beantworte noch ein paar letzte Anfragen und bete.
1 Uhr: Schlafenszeit.
Wenn du den Menschen in Indonesien helfen möchtest, kannst du z. B. über die Aktion Deutschland Hilft, dem Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, spenden.

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