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Warum mich mein Drang nach Selbstoptimierung fast in den Wahnsinn trieb

Foto: Alexandra Gavillet
Morgens lege ich eine Hand auf das Schambein, die andere auf das Herz. Das regt den Energiefluss an, damit das Chi besser durch meinen müden Körper zirkulieren kann. Gleich nach dem Aufstehen ziehe ich einen Löffel Kokosöl fünf Minuten lang durch den Mund und die Zähne. Dabei mache ich dem Töchterchen Müsli, hebe den Daumen zu jedem Bild, das sie währenddessen malt. Während sie dann ihr Müsli mampft, nippe ich später an einer Tasse heißem Wasser mit einem Schuss Zitrone. Das bringt die Entgiftung in Fahrt. Später gibt es noch einen Bürstenmassage vorm Duschen, die den Lymphfluss anregt und am Ende kaltes Wasser. Danach bin ich frisch, wach und gereinigt, aber auch gestresst.
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Schließlich gibt so viel zu tun, um Körper, Geist, Seele und das Karma in Einklang zu bringen. Das neue Schwarz heißt „Personal Growth“. Für viele hat der Wunsch nach Erleuchtung das Streben nach Geld, Geilheit und Gütern ersetzt. So stehen Meditation, Kundalini Yoga, Chanten, aber auch Spirulina, AFA Algen, vegane Kost und Smoothies mit Blattgrün, Gojibeeren, Chlorella und Kurkuma hoch im Kurs. Der Optimierungswahn greift um sich – und hat auch mich voll im Griff. Bevor ich etwas tue, denke ich darüber nach, wie ich es gesünder machen kann. Zum Mittagessen nichts trinken! Gut kauen! Gesund essen! Aber wie soll das am gesündesten gehen? Fleisch ist tödlich, Fisch voll mit Plastikpartikeln, Kartoffeln treiben den Zuckerspiegel hoch, Avocado schaden der Umwelt und Gemüse bitte nur saisonal, regional und bio. Uff!
Auch in den Zeitschriften und sozialen Netzwerken wird Selbstoptimierung zelebriert. Porn Food bei Insta, Sonnengrüße im Morgengrauen bei Facebook und Zitate von Gurus bei Twitter. Wer dazugehören will, spricht über Weihrauch-Kapseln, seine Schamanin oder schwärmt vom Fastenwandern. Alle sind so damit beschäftigt, gesünder, fitter und glücklicher zu werden, dass sie keine Zeit haben, zu telefonieren, ins Kino zu gehen oder sich auf ein Bier zu treffen.
Stattdessen besucht man Seminare zu Theta Healing, Chakren Reinigung und Reiki. Die Coaches, Healer und Gurus versprechen schließlich Glückseligkeit und Erleuchtung. Dafür wird neu programmiert und transformiert. Den Traumjob, Traumpartner, Traumurlaub ordert man direkt beim Universum. Und wenn es nicht klappt? Wir trotz größter Bemühungen weiterhin übellaunig, ängstlich und unglücklich sind? Dann müssen wir eben noch mehr an uns arbeiten.
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Wir sind der Illusion erlegen, dass wir mit viel Fleiß die beste Version von uns erschaffen können. Wir streben, geben unser Bestes, drillen uns – und sind dabei so weit von uns entfernt, wie wir nur sein können. Denn Glück erarbeitet man sich nicht, Glück stellt sich ein. Es stellt sich ein, wenn man nicht gegen sich kämpft, sondern sich akzeptiert und liebt.
Erschrocken habe ich letztes Jahr festgestellt, dass ich getrieben war, vom Verbessern meines Selbsts. Doch trotz Bluckgruppen-Paleo-CleanEating-Diät wurde der Post-Natale-Bauch nicht weniger, trotz Afa Algen und Kurkuma-Latte blieb ich müde und selbst Karma-Coching konnte mich nicht von meinen Ängsten befreien. Und jetzt? Ist Schluss mit Selbstoptimierung! Ich habe beschlossen, einfach zufrieden zu sein. Und damit das klappt, anbei ein paar von meinen Tricks.
1) Dem Glück geht die Zufriedenheit voraus. Einfach mal zufrieden sein, mit dem, was man hat. Es muss nicht ALLES IMMER mega, giga, fantastico sein. Okay ist auch in Ordnung.
2) Glück entsteht durch Dankbarkeit. Jeden morgen beim Zähneputzen überlege ich mir Dinge, für die ich dankbar bin. Das programmiert langsam das Gehirn um von Schwarzmalen in Sonnenschein.
2) Glück wächst mit Lebendigkeit. Sich immer wieder daran erinnern, im Hier und Jetzt zu sein. Schluss mit dem Grübeln über das gestrige Telefonat mit der Chefin oder das morgige Meeting. Gestern und morgen sind nicht jetzt, jetzt ist jetzt! Wenn ich ganz im Spielen vertieft mit meiner Tochter rumtobe, albern bin, Bilder male oder Stopp-Disco spiele, macht mich das einfach nur happy.
3) Glück braucht Selbstliebe. Selbst-Akzeptanz tut es aber auch schon. Ich versuche mich zu akzeptieren, wie ich nun mal eben bin. Nicht perfekt, sondern mit Bäuchlein, Pickeln, Dellen und der unerfreulichen Angewohnheit, alle möglichen Geburtstage zu vergessen. Ich ärgere mich nicht mehr, sondern nehme mich gedanklich liebevoll in den Arm und verzeihe mir, wenn ich wieder mal zu spät gratuliere.
4) Und zu guter Letzt: die schlechten Gefühle. Keine Angst vor schlechten Gefühlen, sie sind nur Gäste, die kurzfrsitig zu Besuch sind. Man kennt das von Kindern: 15 Minuten lang ein Wutzwerg, der tobt und schreit und danach wieder ein Sonnenschein. Genauso sollten wir das auch machen. Also Wut, Hass, Scham, Frust, Angst einfach spüren. Nicht unterdrücken, darüber nachdenken, sie im Kopf schön- oder schlechtreden. Sie einfach nur spüren, dann sind sie nach kurzer Zeit wieder weg und die Sonne kann wieder scheinen.

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