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Wie Diana Kinnert ausgerechnet mit der CDU die Politik verändern möchte

Foto: Benjamin Zibner
Woran sollen wir 2017 glauben, wenn immer mitschwingt, dass wir an nichts mehr glauben können? Fragen wir eine Hoffnungsträgerin. So wird Diana Kinnert zumindest häufig betitelt. Wie fühlt es sich an, schon immer für etwas zu stehen, das vielen Leute Angst macht? Diana wirkt entspannt, sie hat Zeit, später muss sie noch Wäsche waschen. Was in ihrem Leben passiert, ist überschaubar. Noch. Sie ist gerade von einer Delegationsreise aus Israel zurückgekommen und hat ihr Buch fertiggestellt: „Für die Zukunft seh' ich schwarz“ beschreibt ihr Leben als politisch engagierte Person – und wird es gleichzeitig für immer verändern. Vielleicht.
Diana ist Mitte Zwanzig, für die Ehe für alle und trotzdem in der CDU. Mit dieser Geschichte ist sie bekannt geworden. In ihrer Welt trägt sie den Titel „Ein Plädoyer für einen modernen Konservatismus“. Ein Satz wie eine Masterarbeit. Trotzdem klingt er aus ihrem Mund nicht oberlehrerhaft. Wenn man ihr gegenübersitzt, fühlt es sich an, als wäre eine Freundin vorbeigekommen: Sie zieht ihre Sweatshirtärmel beim Reden hoch, trinkt schwarzen Tee, lehnt sich entspannt zurück, lacht. Sie wirkt fast zurückhaltend. Dann beginnt sie zu reden.
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Nach fünf Minuten ertappt man sich dabei, an ihren Lippen zu hängen. Diana Kinnert ist seit beinahe einem Jahrzehnt Parteimitglied und das spürt man. Sie kann sprechen. Sie kann begeistern und vor allem das repräsentieren, was die CDU im Auge des Mainstreams nicht ist. Diese Geschichte hat sie tausendmal erzählt. Trotzdem fühlt man sich als Zuhörerin, als wäre man eine der ersten Eingeweihten. Diana wirkt nahbar, ohne sich in die Karten schauen zu lassen. Wie eine gute Bekannte, die sich sehr gut ausdrücken kann.
Zum Beispiel, wenn sie Sätze wie „Natürlich bin ich ein soziokultureller Exot“ über sich sagt. „Statistisch betrachtet gibt es nicht so viele Frauen, nicht so viele Migranten und nicht so viele urban sozialisierte, progressive Menschen in der CDU.“ Warum hat sie sich dann nicht einfach für die SPD entschieden? „Mir war damals wichtig, dass ich nicht nur im Wahlomat Übereinstimmungen finde, sondern die Motive im Grundsatzprogramm einer Partei die gleichen sind wie meine. Für mich war die CDU niemals nur eine konservative, sondern immer auch eine christlich-soziale und eine bürgerlich-liberale Partei“, erklärt sie. „Und ich war immer Fan davon, die Lebensführung von Menschen nicht zu steuern, sondern diverses Leben zu garantieren und Entfaltung zuzulassen.“
Man nimmt ihr ab, dass sie dahinter steht. Liberal und konservativ zugleich zu sein, ist für sie kein Gegensatz: „Für mich bedeutet Wertkonservatismus, Bindungen zu stärken statt Zwangsmoral durchzusetzen.“
Facebook, eine Woche vorher. Auf Messenger-Nachrichten antwortet Diana innerhalb einer Minute – wie eine Person, die ihr Leben im Griff hat: „Ich habe zwar gerade viel Arbeit, aber das Gespräch lässt sich einrichten.“ Done und weiter. Bei Facebook postet sie Artikel über sich, ihren Instagram-Account füllt sie mit politischen Aktivitäten, Kindheitsbildern und Urlaubsfotos – typisch, eigentlich.
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Foto: Diana Kinnert
Doch dann ist da wieder ein Foto, mit dem sonst höchstens ein Fußballnationalspieler auf seinem Account aufwarten kann: Das wohl berühmteste Bild von ihr mit Angela Merkel. Es wurde auf Wunsch der Bundeskanzlerin selbst geschossen. Diana neben Merkel, beide mit ihren Markenzeichen: Merkel in Merkelraute-Pose, Diana mit Kappe. Auch Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zeigte das Bild vergangenes Jahr bei 3nach9, als Diana zu Gast in der Talkrunde war. Einen Kommentar konnte er sich dazu nicht verkneifen: „Da siehst du aus wie Che Guevara.“
Das Che-Guevara-Posteralter haben wir mittlerweile hinter uns gelassen. Die Generation nach uns hängt sich gar keine mehr auf. Warum auch, wenn jede Person selbst ein Postergirl oder -boy sein und sich Gehör verschaffen kann. Bei Diana geht es aber um ein Publikum, das nicht nur diffus bei Instagram existiert. Es ist auch nicht mehr nur die christlich-soziale Arbeitnehmerschaft, ihr Parteiflügel, der ihr den Rücken stärkt, seitdem sie siebzehn ist – ganz Deutschland scheint auf sie zu warten.
Dianas Leben wirkt, als stünde sie auf einem Zehn-Meter-Turm im Freibad. Sie ist noch nicht gesprungen, aber alle blicken schon zu ihr auf. Das findet längst nicht jeder in der CDU gut. Parteifreunde werfen ihr vor, ein Emporkömmling zu sein, der nur durch Merkels Vitamin B überhaupt beachtet wird. „Trottelkappe“ ist ein Wort, das in diesem Zusammenhang fällt. „Dabei bin ich seit fast zehn Jahren aktives Parteimitglied“, erklärt Diana. Doch was bedeutet es, 2017 berühmt zu werden? Richtig berühmt, nicht 40.000-Follower-bei-Instagram-berühmt?

„Trottelkappe“ ist ein Wort, das in diesem Zusammenhang fällt. „Dabei bin ich seit fast zehn Jahren aktives Parteimitglied“, erklärt Diana.

„Es kommt jetzt ganz viel“, meint Diana nur, wenn man sie danach fragt. Eine Lesetour ist in Planung, Interviews, Talkshowauftritte. Noch ist sie nicht unbedingt nur, aber vor allem in Berlin und in ihrer Heimat Wuppertal bekannt. „Die Resonanz steigt. Unterstützer, Kritiker, aber auch Freaks.“
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Freaks, das heißt, sich im Klaren darüber zu sein, was passieren kann. Das hat Diana mittlerweile erfahren müssen – auf die harte Tour. Eines Tages erreichte ein Anruf ihre Familie. Ein unbekannter Mann gab sich als Ex-Freund aus und forderte Dianas Handynummer. Als er diese nicht erhielt, drohte er, Nacktbilder zu veröffentlichen. „Ich bin froh, dass meine Familie souverän reagiert hat und keine Informationen herausgegeben hat. Ich bin schließlich zur Polizei gefahren. Der Unbekannte hat sich nicht wieder gemeldet.“
In diese Erfahrungen reihen sich auch anonyme Nachrichten ein, in denen Vergewaltigungsszenarien beschrieben werden. „Sehr konkret sogar, jemand hatte meinen damaligen Schulweg gegoogelt und beschrieben, wo er mich hätte abfangen wollen.“ Wie geht man damit um? „Ich habe in diesen Momenten auch Angst gehabt. Vor allen Dingen bei Eingriffen und Attacken, die nicht nur mich, sondern auch meine Familie und mein nahes Umfeld betreffen.“
Wenn man so etwas erlebt hat, wirken Kommentare wie „die mit der Trottelkappe“ belanglos. Sie sind nicht neu für Diana, schließlich hat sie ihre Karriere so begonnen. Mit 18 erntete sie ihren ersten Shitstorm, was ihr vom WELT-Chefredakteur am Telefon mitgeteilt wurde. Der Artikel „Klappe halten statt Augenklappe“ war ein Appell an die Piratenpartei, einander zuzuhören statt respektlose Flashmobs abzuhalten. Die Antwort fiel nicht ganz so höflich aus.
Nach dem Anruf legte sie auf, googelte sich selbst und entdeckte, dass auf Twitter eine Flut an nicht wohlmeinenden Kommentaren auf sie einprasselte. Es wurde persönlich. Überall tauchte ihr Name auf: Diana Kinnert. „Ich bin noch so aufgewachsen, dass mein Papa immer sagte, ich solle genau nachdenken, bevor ich etwas online stelle: Bloß keinen Alkohol bei SchülerVZ – sonst stellt dich niemand ein.” Zwei Wochen lang habe sie unter dem ersten Shitstorm gelitten, auch geheult.
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Gibt es überhaupt einen Struggle im Leben einer Person, deren größtes Talent darin zu bestehen scheint, zu reflektieren und darüber zu sprechen? Der Einschnitt in ihre eigene Familienkonstellation: „Bei all den wuchtigen Veränderungen in meinem Leben, war nichts auch nur annähernd so einschneidend wie der Tod meiner Mama. Mein Papa, meine Schwester und ich müssen lernen, neu aufeinander zuzugehen und unsere Beziehungen neu zu definieren. Das beschäftigt mich viel mehr als alles Politische, Aktivistische, Mediale.“
Diana ordnet. Das kann sie gut. Ihre Fähigkeit, zu analysieren, ist aber keine Kälte. Vielmehr geht es um den Austausch. Und plötzlich kann man sich sehr gut vorstellen, wie sie damals in der Oberstufe eine kleine Revolution anzettelte, um den Rektor zu überzeugen, doch den Leistungskurs in Sozialwissenschaften anzubieten. Erst Gruppen anquatschen – „die Geeks, die Raucher“ – , sie dann für eine Mission begeistern, Mehrheiten sammeln und sie am Ende sogar davon überzeugen, mit ihr die Schule zu wechseln. „Es ist eine überspitzte Darstellung, dass ich immer Einzelkämpferin war. Ich war immer sehr selbstbestimmt, habe mir aber von Anfang an Gruppen gesucht, zu denen ich zugehörig bin.“

Es waren noch nie und sind auch heute nicht 99% der CDU gegen Diana Kinnert.

Genau das ist auch bei ihrer Positionierung für die Ehe für alle der Fall. „Es waren noch nie und sind auch heute nicht 99% der CDU gegen Diana Kinnert“, sagt sie. „Meiner Meinung nach gehört es zum konservativen Wertegerüst, Leute zu honorieren und zu fördern, die sich dafür entscheiden, mit anderen Menschen eine Verantwortungs- und Fürsorgegemeinschaft einzugehen.“ An dieser Stelle zitiert sie in Interviews gerne den ehemaligen britischen Premier David Cameron: ‚Ich bin nicht für die Öffnung der Ehe trotz dessen ich konservativ bin, sondern gerade weil ich Konservativer bin.‘“
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Mit dieser Meinung steht sie in der Partei nicht alleine da. „Für mich ist das ein verschlafener Kultursieg der CDU. Eigentlich wäre die Förderung eines konservativen Leitbildes für die Ehe etwas total Positives und es ist schade, dass es bisher mehrheitlich nicht geklappt hat.“ Da darf dann doch die Bundeskanzlerin nicht fehlen. „Dass Angela Merkel mit ihrem Bauchgefühl argumentierte, als es um die Öffnung der Ehe ging, das war einfach... schlimm. Denn gegen ein Bauchgefühl kann man nicht argumentieren.“
Man merkt, dass ihr das Thema sehr am Herzen liegt, doch, wie sie betont, „unabhängig davon, dass es mich selbst betrifft.“ Bei ihr Zuhause war ihre sexuelle Orientierung kein Thema, obwohl sie katholisch und sogar als Messdienerin aufgewachsen ist. „Ich habe mich niemals outen müssen. Meine Eltern waren meinen Beziehungen gegenüber immer aufgeschlossen und haben auch auf Neues unaufgeregt reagiert.“ Zum Beispiel, als sie zum ersten Mal ein Mädchen mitbrachte: Ein runder Geburtstag in der Verwandtschaft stand an und sie wurde gefragt, ob sie eine Begleitung mitbringt. „Wird sie dabei sein?“ – „Ja.“ Ganz pragmatisch eben.
Ebenso pragmatisch ging sie auch mit ihrem Vater um, der beim Abendessen schon mal Dinge wie „Wer ist denn das Messer und wer ist die Gabel?” fragte. Unangenehm – könnte man meinen. Sie bleibt entspannt. Diana eben: „Bei Essstäbchen gibt es kein Messer und keine Gabel.“ Sie interpretiert solche Fragen nicht als Angriff, „sondern als Unbedarftheit.“

Diana Kinnert ist kein Postergirl, keine Rebellin und auch nicht Germany’s next Bundeskanzlerin.

Diana geht es nicht um emotionale Entscheidungen, sondern um Einordnung. „Es gab Bürgerinnen und Bürger, die gesagt haben: Komm schon, Diana, du machst das jetzt‘“, erzählt sie, als es um ihre politische Zukunft geht. Sie leitete das Abgeordnetenbüro des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Peter Hintze, der im vergangenen Jahr verstarb. Für die Landtagswahl in NRW und die kommende Bundestagswahl waren 2016 mehrere Wahlkreise auf Kandidatensuche. „Da spielt man mit dem Gedanken: Mach ich’s oder mach ich’s nicht?‘ Ich habe mich letztendlich dagegen entschieden. Gerade weil ich aufgrund meiner Mittzwanziger-Lebenssituation nicht die Verantwortung übernehmen möchte, die es bedarf, um ein Mandat so auszuführen wie ich es ausführen will.“ Dazu gehört, Termine und „Wochenendbegegnungen“ wahrzunehmen, wie Diana es formuliert. Doch es gibt in ihrem Leben eben auch noch die Parties in Berlin, Wochenenden im Ausland und ja, warum nicht auch mal das Berghain.
Diana Kinnert ist kein Postergirl, keine Rebellin und auch nicht Germany’s next Bundeskanzlerin. Sie beobachtet, kommentiert und kritisiert. Ihre Bezüge sind moralisch und grundlegend. Wenn man sie mit einem Politiker oder einer Politikerin vergleichen müsste, dann eher mit Helmut Schmidt statt mit Angela Merkel. Sie ist eine Person, die nachfragt, einordnet und gerne unbequem ist. Ohne Zigarette, dafür jedoch mit Kappe und mit mindestens genauso viel Weisheit.
Bei der Verabschiedung fällt das übliche „Und was machst du heute noch so?“ Wäsche, Deadlines, Abgaben, Termine: Alltag eben. Dann guckt man in ihren Kalender und sieht nur Nicht-Alltägliches: Kulturgespräch Tanztheater, ist da zu lesen. Oder: International Women's Day der Botschaft des Staates Israel in Berlin. Und natürlich steht da der 19. Mai, Erscheinungsdatum ihres Buches im Rowohlt Verlag. Dianas Alltag ist der Zehn-Meter-Turm im Freibad: Sie ist die Leiter hochgeklettert und nun mit Erwartungen konfrontiert. Da kann man schon mal Gänsehaut bekommen. Aber das ist nicht schlimm, weil man sich sicher ist, dass sie sowieso gleich ins kalte Wasser springt.

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