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Die schreckliche Wahrheit über Hochzeitsdiäten

Foto: Winnie Au.
Die Hochzeitsindustrie ist ihre ganz eigene Blase. Nachdem ich mich letztes Jahr verlobt hatte, tauchte ich in diese Blase ein und bemerkte schnell, dass die Realität hier ein bisschen anders tickt. In dieser Blase ist Color Coordination von aller höchster Wichtigkeit und 3,000€ für ein Kleid ist ein großartiger Preis. Alles ist extremer, teurer, und trotzdem irgendwie weniger fortschrittlich. In der echten Welt ist das Wort „Diät“, zum Beispiel, passé. Natürlich tun es die Leute noch, aber wir nennen es oft anders (2010 haben wir „gecleansed“, und seit 2015 essen wir „clean“). Mittlerweile wissen wir aber, dass Diäten oft mehr Schlechtes als Gutes mit sich bringen und wenn du trotzdem versuchst abzunehmen, tust du zumindest so, als sei es nicht so. Aber in der Hochzeitsbubble ist das anders – vielleicht sehr viel ehrlicher. Dort sind Diäten Pflichtprogramm und kommen ganz ohne Euphemismen aus:
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Das ist nur eine Auswahl an Headlines, die ich innerhalb von wenigen Sekunden auf Google gefunden habe. The Knot, Brides, und alle bekannten Hochzeitsmagazine bringen Artikel über den schnellen Gewichtsverlust. Dann gibt es da noch Bücher wie Skinny Sexy Bride und The Bride Diet. „Wusstest du, dass 70% der Frauen an ihrem Hochzeitstag ZU DICK sind, um in ihr Kleid zu passen?“ ist auf dem Rücken von The Bride Diet zu lesen.„Kannst du dir vorstellen, wie beschämt und verzweifelt diese Tausende von Frauen sind, während sie hektisch umher rennen und beten, dass die Last-Minute Änderungen noch rechtzeitig fertig werden?“
Die Message ist klar: Nimm ab – so viel und so schnell du kannst. (Und wenn du nicht kannst, gibt es hier einen Guide, wie man 5 Kilo schlanker aussieht, indem man ein Korsett trägt und seine Hände in die Hüften legt, für jede Sekunde des schönsten Tags deines Lebens.) Eins soll klar sei: Eine Diät ist immer noch eine Diät, auch wenn du sie Cleanse nennst. Und eine Hochzeitsdiät ist eine Crashdiät. Und wie mit allem in der Hochzeitsblase, geht das alles noch extremer.
2008 veröffentlichte die Cornell University die wohl umfangreichste Studie zum Thema Abnehmverhalten bei Bräuten. „Die meisten Frauen, die sich auf den großen Tag zubewegen, idealisieren für ihre Hochzeit ein Gewicht, dass unter ihrem momentanen liegt,“ sagt Lori Neighbors, Co-Autorin der Studie. 70% der für die Studie befragten Frauen sagte, dass sie abnehmen wollten (durchschnittlich idealerweise rund 10kg), während 21% sagten, sie wollten verhindern zuzunehmen. Vergleicht man diese Daten mit nationalen Zahlen, so sind angehende Bräute mehr mit Gewichtsverlust beschäftigt, als die durchschnittlichen Amerikanerinnen (53% von ihnen wollten Gewicht reduzieren). Und das ist nicht überraschend. „Shedding for the wedding“ (zu Deutsch also: für die Hochzeit abnehmen) ist zwar ein relativ neuer Ausspruch, aber das Konzept ist so traditionell, wie der Brautstraußwurf.
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Wasser trinken, war die am häufigsten genannte Methode unter angehenden Bräuten in der Studie, um Gewicht zu verlieren. Es ist schade, dass die Studie nicht erfasst, wie viel mehr Wasser die Probandinnen tranken und was ihr Grundgedanke dahinter war. Co-Autor Jeffery Sobal sagte nur, dass „es nicht klar ist, ob die Frauen diese spezielle Methode benutzten, um das Völlegefühl zu steigern, andere Nahrungsmittel damit zu ersetzen, oder kalorienreiche Getränke gegen Wasser austauschten.“ Es muss aber angemerkt werden, dass der exzessive Konsum von Wasser (oder „fluid loading“) ein verbreitetes Symptom von Essstörungen ist. Die Befragten der Cornell Studie nannten Fitnesstraining und weniger essen als zweit- und dritthäufigste Abnehmtechniken – allerdings ist wieder unklar, wie viel Training und wie wenig essen. Es wird auch erwähnt, dass 40% der Frauen zumindest ein „extremes Verhalten zur Gewichtskontrolle“ nutzen, während 25% zwei oder mehr aufzählten.
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Foto: Megan Madden.
Crashdiäten sind natürlich bekannt dafür, ungesund, ineffektiv, und out zu sein. Aber in der Hochzeitswelt gewinnen sie wieder an Beliebtheit. Sobal selbst fügt hinzu, dass als sie Brautzeitschriften aus den 1990ern unter die Lupe nahmen, er und Neighbors nur eine Anzeige für Diäten fanden. Heute sind Diäten omnipräsent. Er sagte Time: „Es gibt mehr Druck von profitorientierten Gruppen und eine Art Betonung auf dünn-sein in der Brautwelt.“ Es ist zu einem Grundpfeiler geworden – ein Pflichtpunkt auf deiner Hochzeits-To-Do Liste. Das Braut-Portal The Knot allein zählt hunderte von Diätservices und Produkten auf (unter anderem Diätpillen, dubiose Diätkliniken, und sogar das Mittelchen von Herbalife, einem bekannten Anbieter mit Schneeballprinzip), alle unter der Kategorie „Fitness“.
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Es ist sicherlich ärgerlich, das alles auf einer der meistbesuchten und derart beliebten Hochzeitsplattformen im Internet zu sehen. Dann wiederum, geht es hier um die Hochzeitsblase, wo die Alltagsrealität zur Seite geschoben wird für den „schönsten Moment in deinem Leben“. Manchmal rutscht aber dieser „Fokus auf Dünnsein in der Brautwelt“ in den Mainstream und die Reaktionen sind gleichermaßen entsetzt und Null überraschend.
Ein Beispiel dafür ereignete sich 2012, als kein anderer als die New York Times über den heißen, neuen Hochzeits-Abnehm-Plan berichtete: Die K-E Diät – auch bekannt als Magensonde. Die Story folgte der angehenden Braut Jessica Schnaider, die acht (der empfohlenen zehn) Tage mit einer nasalen Sonde zubrachte und sich nur von kohlenhydratfreiem, 800-Kalorie-reichem K-E Diätpulver, gemixt mit Wasser, ernährte, welches ihr mit Hilfe des Röhrchens durch die Speiseröhre, in ihren Magen verabreicht wurde. Es war eine ambulante Prozedur, die von Dr. Oliver Di Pietro, dem ersten Arzt, der die K-E Diät in den USA anbot, begleitet wurde. Mit Hilfe dieser Methode, so Dr. Di Pietro, können Patienten bis zu 20 Pfund in zehn Tagen verlieren. „Ich habe viele Bräute,“ sagte er der Times.
Die Reaktion war immens, und vielsagend. Die Times brachte die Woche darauf einen follow-up Artikel, der die aufgebrachten Reaktionen vieler Leser, die nicht nur über den Trend an sich schockiert waren, sondern auch über den Fakt, dass die Zeitung darüber ohne jegliche Kritik berichtete, aufgriff. Zum Beispiel erwähnte die Times an keiner Stelle, dass Magensonden konzipiert waren Leben zu retten, und nicht als Diätmittel. Außerdem werden Sonden normalerweise nur unter dauerhafter, medizinischer Beobachtung angewandt, weil sie mit ernsthaften Risiken verbunden sind: Infektionen, Erbrechen, Geschwüre, und Aspiraton von Mageninhalten, die wiederum zu Lungenentzündungen führen können. Last but not least hat die Times das offensichtlichste und zentrale Problem mit diesem Trend nicht erwähnt. „Hätten sie die Sonde nicht und würden einfach aufhören zu essen, würden wir sie als anorektisch bezeichnen,“ merkte eine Leserin an. „Aber mit einem Arzt an der Seite und einem Schlauch in der Nase nenne wir es Crashdiät.“ Die Academy of Nutritionand Dietetics stimmte zu und fügte an, dass die K-E Diät danach sicherlich zu schneller Gewichtszunahme führte und Patientinnen dem Risiko einer Essstörung und Fressexzessen ausgesetzt würden. Außerdem, so sagte ein Doktor der Academy, „weiß niemand, was eigentlich in der [K-E Diät] Formel drin steckt.“
Man würde meinen, das wäre die natürliche Reaktion auf einen solch bizarren Trend und so besorgniserregende Berichterstattung. Aber während viele Sender die Story aufgriffen, kritisierten nur sehr wenige. Mache stellten sie sogar als Erfolgsgeschichte dar. ABC World News leitete ihren Bericht über Schnaider mit der Headline ein, Schnaider „sehnte sich nach einer schnellen Lösung“ und gratulierte ihr letztendlich dazu, dass sie diese auch gefunden hatte. Die K-E Diät wurde als „ein wenig kontrovers“ bezeichnet und man merkten an, dass so schnell abzunehmen „vielleicht nicht sehr gesund“ sei. Der Beitrag endete aber gut gelaunt. „Ich freue mich, weil ich die zehn Pfund schnell runter bekommen habe,“ sagte Schnaider. Der Moderator George Stephanopoulos schloss mit den Worten: „Wir freuen uns auch!”
Es sind Geschichten und Reaktionen wie diese, die das allgemeine Problem mit Hochzeitsdiäten deutlich machen – und noch wichtiger, mit der Einstellung unserer Gesellschaft zu ihnen. Crashdiäten sind im Großen und Ganzen verpönt. Aber für den großen Tag ist alles gerechtfertigt. Sollte eine Braut nicht eben so gut wie möglich aussehen - also eben so dünn wie möglich? Wenn sie nach der Hochzeit nur noch Wasser trinkt oder sich freiwillig über eine Magensonde ernährt, sind wir besorgt. Aber was ist schon so schlimm an ein bisschen “brideorexia?” In der Hochzeitsbubble ist ein bisschen krankhaftes Essverhalten nicht nur akzeptabel. Es wird ermutigt und schön geredet, und manchmal, manchmal sogar verschrieben.

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