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Pränatale Depression: das verschwiegene Schwangerschaftsleiden

Foto: Maria Del Rio.
Ich hatte angenommen, dass es wenigstens ein paar Versuche brauchen würde, bis ich schwanger würde, also hätte ich mich freuen sollen, als es beinahe sofort geklappt hat. Und das war ich. Vier Tage lang.
Noch hatte ich keinen Schwangerschaftstest gemacht, doch ich beobachte meinen Eisprung und meinen Zyklus sehr sorgfältig, und als ich meine Periode nicht bekam, wusste ich es sofort. Jedes Mal, wenn ich zur Toilette ging und meine Periode noch immer nicht hatte, schrieb ich meinem Freund per SMS „Immer noch schwanger!“. Ich schwebte, stellte mir diese kleinen Zellen vor, die ich in mir trug und fühlte, wie mein Körper auf magische Art und Weise für sie sorgte, während sie zu dem Baby heranwuchsen, das wir uns schon so sehr wünschten.
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Und dann, am vierten Tag nach dem Ausbleiben meiner Periode, weinte ich mich plötzlich in den Schlaf. „Schwanger sein“ und „ein Kind bekommen“ hingen drohend über mir wie ein schwarzes Loch. Ich wusste es noch nicht, aber ich litt unter einer pränatalen Depression, einer Erkrankung, von der ich noch nie etwas gehört hatte. Ich verbrachte 10 weitere Wochen in Unkenntnis über diesen klinischen Zustand, der, wie ich heute weiß, weltweit zwischen 10 und 20 % aller schwangeren Frauen betrifft.
Die pränatale Depression ist ein verstohlener emotionaler Taschendieb, der jedem Meilenstein sein Glücksgefühl nimmt. Als es eine Woche später an der Zeit war, offiziell einen Schwangerschaftstest zu machen, war ich schon beim Anblick der Verpackung von Grauen überwältigt. Ich pinkelte auf den Stick, verließ das Badezimmer, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging wieder ins Bett und starrte auf die Wand. Es gab drei mögliche Szenarien: das Kind austragen, abtreiben oder auf magische Weise an einen Ort reisen, an dem ich nicht schwanger war. Mir gefiel die dritte Option, und den Test anzusehen, würde sie unmöglich machen.
Ich schickte meiner Mutter eine SMS mit einem Foto des positiven Tests, ohne Nachricht, und verbrachte den restlichen Nachmittag in der Hoffnung, mein Freund würde es schaffen, mich in einen besseren Zustand zu bringen. Wir erstellten eine Liste mit all den Dingen, die ich aufgrund meiner Schwangerschaft nicht tun durfte. Zugegebenermaßen war es eine ziemlich kurze Liste. Nicht in der Lage, eine Rechtfertigung für meine Gefühle zu finden, musste ich weiter „schwanger sein“ und „ein Kind bekommen“.
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Foto: Gunnar Larson.
Ich überbrachte Familie und Freunden die Neuigkeiten mit dem gleichen Enthusiasmus, als handele es sich um Tapetenmuster, aber alle waren außer sich vor Freude für mich. Obwohl ich wusste, dass es üblich ist, bis zum Ende des ersten Trimesters damit zu warten, erzählte ich es meinen Kollegen, Taxifahrern, Verkäufern, einfach jedem — in der Hoffnung, die glücklichen Reaktionen über Osmose absorbieren zu können. Ich begegnete ihren Glückwünschen mit einer ruhigen Erinnerung daran, dass viele Schwangerschaften den kritischen Punkt von 12 Wochen nicht erreichen. Irgendwie schaffte ich es auch, mir vorzumachen, dass das alles überhaupt nicht passierte.
Ich hasste mich selbst für meine Unbeständigkeit. Es war, als hätte die Schwangerschaft einen Scheinwerfer auf Charakterfehler gerichtet, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie da waren. Wie konnte ich nur so wenig selbstkritisch, so unverantwortlich und egoistisch sein und meinen Partner und mein ungeborenes Kind in eine flüchtige Laune hineinziehen?
Mit meinem ständigen Mitteilen der Neuigkeiten wurde mein Verhalten nur noch widersprüchlicher. Ich hatte keine Lust zu essen, blieb im Bett, war weinerlich und zog mich zurück. Ich schleppte mich nur zu gesellschaftlichen Ereignissen, wenn ich absolut nicht absagen konnte, und verschwand im Allgemeinen aus dem Blickfeld. Ich fand Entschuldigungen, um nicht zum Arzt gehen und mit den Vorsorgeuntersuchungen beginnen zu müssen, weiter darauf hoffend, dass ich in der Zwischenzeit eine Fehlgeburt haben könnte. Nach zwei Jahren tränenreicher Abschiede, wann immer ich meine hinreißenden Nichten besucht hatte, und der Hoffnung, auch ich würde eines Tages Mutter sein, redete ich nun ständig davon, dass wir noch immer abbrechen könnten. Zu dem Zeitpunkt hatte mein Freund auch schon die Familie eingeweiht und war angesichts der Vorstellung, das Kind nicht zu bekommen, am Boden zerstört. Doch ich war zu weit weg, um mich darum zu scheren. Ich war nicht nicht von sentimentalen Werbungen berührt und auch nicht auf der Suche nach Streit über das Ausräumen des Geschirrspülers. Da war diese Endlosschleife in meinem Kopf, dass ich das nicht wollte. ICH WILL DAS NICHT. ICH. WILL. NICHT.
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Und dann, am Geburtstag meines Freundes, zog ich mich ins Bett zurück, weil es nur schichtweise möglich ist, sich als fröhlich auszugeben und ich eine Pause zum Weinen brauchte. Eine wahllose Internetsuche brachte mich zu einer Diagnose von Dr. Google: pränatale, vorgeburtliche oder präpartale Depression. Eine Vielzahl verschiedener Begriffe zur Beschreibung eines Zustands, über den ich noch nie jemanden reden gehört hatte. Ich lag im Bett und die Tränen liefen mir die Wangen herunter, während ich die Geschichten anderer Frauen las, die in der gleichen misslichen Lage gewesen waren wie ich. Zum ersten Mal spürte ich so etwas wie Erleichterung. Bei mir selbst eine pränatale Depression zu diagnostizieren brachte mich dem Gefühl, glücklich zu sein, so nahe wie damals nur möglich.
Weit entfernt davon, mich stigmatisiert zu fühlen, hatte ich nun eine Erklärung, die mich von den Gefühlen freisprach, für welche ich mich so geschämt hatte. Ich konnte die Stimme in meinem Kopf ignorieren und die ganze Abtreibungs-Idee unverzüglich aus der Gleichung nehmen. „Ich bin nicht bei klarem Verstand“, sagte ich mir selbst, „also muss ich auch nicht auf mich hören.“ Nun, da ich nicht mehr meinen Emotionen folgen musste, konnte ich mich auf das rationale Wissen über meinen plötzlichen Wandel von glücklich zu traurig besinnen, bestärkt durch die Erinnerung daran, ein Kind haben zu wollen. Ich fühlte mich in der Lage, offen über meine Gefühle zu sprechen und beschloss, das Ganze auszusitzen, während ich mich zu den Terminen bei meiner Hebamme schleppte und mich auf Anweisung gesund ernährte.
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Foto: Gunnar Larson.
Abtreibungsgegner könnten sich auf meine Geschichte oder die Vorstellung pränataler Depressionen stürzen und daraus ein Argument gegen Abtreibung machen, darauf verweisend, dass Frauen unter solchen Umständen ihren Emotionen nicht trauen könnten — dass sie, wenn sie ihre Schwangerschaft in einem vorübergehenden Anfall von Depression abbrächen, es später bereuen würden. Doch nicht jede Frau, die unter Depressionen leidet, wünscht sich eine Abtreibung, und nicht jede Frau, die abtreiben möchte, ist auch deprimiert. Eine ungewollte Schwangerschaft ist eine Sache — und ich unterstütze das Recht einer Frau darauf, selbst zu entscheiden, wie sie mit dieser Situation umgehen möchte. Dagegen erfordert eine sehr wohl gewollte Schwangerschaft, die zu einer plötzlichen und extremen Veränderung des Gefühlszustands und des Verhaltens führt, eine genauere Untersuchung — und dafür brauchen wir ein stärkeres Bewusstsein. Online habe ich nur sehr wenige Informationen gefunden. Den Großteil davon fand ich auf Websites über Elternschaft, welche eine Schwangere mit Depressionen vermutlich eher meiden würde.
Man hört oft von postnatalen Depressionen und medizinische Fachkräfte sind sogar darauf geschult, diese zu erkennen. Als ich jedoch meinen Arzt fragte, ob ich unter einer pränatalen Depression leiden könnte, bekam ich als Antwort quasi ein Schulterzucken. Allerdings habe ich damals in England gelebt, wo der Therapiestandard möglicherweise ein etwas anderer ist. Ich entschloss mich, nicht auf diesem Thema zu beharren oder eine zweite Meinung einzuholen, noch immer in der Hoffnung, das Problem würde sich von selbst lösen.
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Es gibt nicht eine einzige Erklärung dafür, warum es passiert, oder wem, und die Auslöser können von hormonellen Umstellungen über Stress bis hin zu anderen pränatalen Gesundheitsproblemen praktisch überall liegen, mit unterschiedlicher Ausprägung und Dauer. In einer perfekten Welt würde man routinemäßig jede Schwangere auf Depressionen und Angstzustände untersuchen. Tatsächlich geht aus einer Stellungnahme des American Congress of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) aus dem Jahr 2015 hervor, dass Klinikärzte alle schwangeren Patientinnen mindestens einmal auf Depressionen und Angstsymptome untersuchen sollten, zum Teil, weil die Auswirkungen dieses Problems todernst sein können: Selbstmord während der Schwangerschaft sei eine häufigere Todesursache bei Schwangeren als Blutungen oder Bluthochdruck, so der ACOG. Während die Einnahme von Antidepressiva während der Schwangerschaft nicht unbedingt empfehlenswert ist (Frauen sollten Nutzen und Risiken mit ihrem Arzt abwägen, insbesondere, wenn sie schon vor ihrer Schwangerschaft die Medikamenten eingenommen haben), kann eine Psychotherapie erfolgreich sein — aber natürlich nur, wenn das Problem erkannt wird.
Meine Depression dauerte 13 Wochen an — bis ich mich eines Tages ohne klaren Grund einfach besser fühlte. Leider hat mir die Depression vorher noch einen anderen Meilenstein geraubt: Ich ging zu meinem 12-Wochen-Scan und versuchte dabei, meine hormonell bedingte Hoffnung zu ignorieren, es handele sich um eine Phantomschwangerschaft oder eine, die abgebrochen werden musste. Zum Glück zeigte der Ultraschall das, was er zeigen sollte: ein sich bewegendes Ding in Schwarz-Weiß mit erkennbarem Schädel. Falls jemandem aufgefallen ist, dass ich nicht das gefühlt habe, was ich hätte fühlen sollen, hat er es zumindest nicht gesagt.
Nachdem ich begonnen hatte, mich wieder besser zu fühlen, verlief der Rest meiner Schwangerschaft gut und ich machte meine „verpassten“ Scans mit einem 3D-Ultraschall in der 29. Woche wett. Ich beobachtete, wie mein Baby seinen Mund öffnete und blinzelte, wie es in utero zu lächeln und zu winken schien, und war überwältigt vor Glück. All die Glücksgefühle, die sich während des ersten Trimesters einfach nicht hatten einstellen wollen, waren endlich da. Wenn ich heute hier sitze, neben einem perfekten, schlafenden, kleinen Jungen, und darüber schreibe, wie ich einst auf das gehofft hatte, was der schlimmste Albtraum einer werdenden Mutter ist, wird mir angesichts dieser Undankbarkeit übel. Ich musste mir immer wieder vor Augen halten: Die gleichen Hormone, die meinem Körper halfen, menschliches Leben zu erzeugen, versuchten in meinem Kopf, dieses zu zerstören. Aber ich war nicht dafür verantwortlich, denn es war eine Krankheit.

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