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Wie es sich anfühlt, einen kiffenden Vater zu haben

Wir schreiben das Jahr 1999. Ich sitze mit meiner besten Freundin Pilli in meinem viel zu kleinen Kinderzimmer zwischen Bob-Marley-Postern, Pressholzmöbeln und einem qualmenden Joint, den wir uns kichernd hin- und herreichen, als meine Mutter die Zimmertür aufreißt und mich wutentbrannt anherrscht. Ich solle sofort die Musik leiser drehen und ihr gefälligst zuhören. Sofort drehe ich Busta Rhymes den Ton ab. Ich könne so viel kiffen, wie ich wolle, keift Mutter mit hochrotem Kopf, es wäre ja mein eigenes, blödes Leben, aber wenn sie noch ein einziges Mal mitkriegen würde, wie ich Haschischklumpen in meinem Portemonnaie aufbewahre, würde sie mir für den Rest des Lebens Hausarrest geben. Ich schweige, Pilli guckt mich fragend an.
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Das Problem sei nicht das Kiffen selbst, erklärt Mutter mit forschem Ton, sondern die Möglichkeit, dass ich meine Geldbörse verlieren könne und die dann jemand fände. Mit dem Hasch und meinem Namen drin. Ich hätte sie ja wohl nicht mehr alle!
Ich starre auf den Boden. Falls die Polizei komme, um sich hier umzugucken (sie zeigt in Richtung Wohnzimmer), hätte Vater (sie zeigt Richtung Tür) ein Problem. Aha, denke ich, es geht wieder einmal nur um ihn. Der blöde Penner mit seinen unangemessenen Kifferprivilegien. Kein Wunder, dass er Mutter vorschickt. Er selbst steht verstohlen hinter der Tür und lauscht. Weil er sich selbst den Stress nicht geben will. Abgefuckter Kiffer!

Das Problem sei nicht das Kiffen selbst, erklärt Mutter immer noch mit forschem Ton, sondern die Möglichkeit, dass ich meine Geldbörse verlieren könne und die dann jemand fände. Mit dem Hasch und meinem Namen drin.

Pia Kernig
Rückblickend war dies der einzige Moment, an dem ich Vater den Konsum übel genommen habe. Und eigentlich auch nur, weil ich an diesem Tag selbst stoned war und in den Fokus von Mutters Wut geriet, die sich von seiner bekifften Ängstlichkeit hatte aufstacheln lassen. Cannabis induzierte Paranoia halt. Pilli verabschiedete sich und ich schlich mich an den Kühlschrank, um nach diesem Schock den Kreislauf mit einer Portion Schokopudding wieder in Schwung zu bringen.
Keine Ahnung, ob meine Geschichte im Vergleich zu denen anderer Familien etwas Besonderes darstellt, oder ob sie total beliebig ist, weil die meisten Eltern in Wirklichkeit irgendeine Sucht pflegen und sich nur die jeweiligen Mittel unterscheiden. Schließlich waren die Eltern meiner Freunde ebenfalls keine Heiligen, sondern stellten sich abends regelmäßig ein paar Gläser Wein rein, zwitscherten gerne mal die ein oder andere Schlaftablette, absolvierten zwanghaft ihre Aerobic-Stunden oder zogen sich ebenfalls einen Joint rein, um dann in Ruhe einen Tierfilm zu schauen oder ein offenes Ohr für das Gequake von uns Kindern zu haben.
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Für mich war das Aufwachsen mit einem kiffenden Vater jedenfalls absolute Normalität, ohne dass der Konsum jemals auch nur zur Diskussion gestanden hätte. Kinder sind da ja sehr tolerant, besonders Kinder mit kiffenden Eltern. Uns war stets bewusst, wie lieb und fürsorglich sich unsere druffen Eltern “dennoch” um uns kümmerten. Oder vielleicht auch gerade "deswegen". Mein Papa war eben Kiffer, und er ist es bis heute. Ich sehe überhaupt keinen Grund zur Beschwerde.

Für mich war das Aufwachsen mit einem kiffenden Vater absolute Normalität, ohne dass die Tatsache des Konsums jemals auch nur zur Diskussion gestanden hätte

Pia Kernig
Die Eltern meiner damaligen Freunde waren hingegen alle “normal”, wie sie mir gegenüber immer wieder betonten. Mein Vater galt in meinem Freundeskreis als irgendwie “anders”, was aber stets positiv konnotiert war. Als Musiker hatte man die Bewunderung der Kids sowieso sicher. Lehrer und andere Erwachsene behandelten ihn immer wie einen bunten Paradiesvogel. Sie betrachteten ihn mit liebevoller Neugier und suchten das Gespräch. Ich war stolz auf ihn. Dennoch gehörte er nie richtig dazu. Ob sie damals wussten, dass er Kiffer war? Keine Ahnung. Ob sie selber auch manchmal kifften und einfach nur angepasster wirkten? Vielleicht konnten sie es besser verheimlichen, ich habe wirklich keinen Schimmer. Es gibt dazu bis heute keine validen Zahlen. Zum einen, weil Eltern große Angst haben, ihren Konsum öffentlich zu machen, und sich dadurch auszugrenzen. Und zum anderen, weil sie sich nicht dem Vorurteil aussetzen wollen, verantwortungslos zu sein. In den USA gibt es jetzt zum Glück erste Konsumenten von Medical Cannabis, die über ihre Doppelrolle als Eltern und Konsumenten sprechen und dabei mit einigen Vorurteilen aufräumen.
So hat der Guardian für eine Studie 200 Elternteile zu ihrer Nutzung von Medical Cannabis interviewt. Die Fragestellung lautete dabei, wie sie den Konsum mit ihrer Verantwortung vereinbaren. In ihren Antworten deutete dabei nichts auf eine verminderte Bereitschaft hin, sich um die Kinder zu kümmern. Im Grunde waren sich alle einig: Sie rauchen niemals vor ihren Kindern, konsumiert wird deswegen immer nur in den letzten Stunden des Tages, also genau dann, wenn andere Eltern Alkohol trinken.
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“Ich rauche Marihuana unregelmäßig aber häufig. Ich konsumiere immer erst, nachdem ich meinen Sohn ins Bett gebracht habe. Mein Mann öffnet sich dann ein oder zwei Bier, aber ich bevorzuge zum Abschalten Marihuana. Es hat mir geholfen, mit meiner Angst klarzukommen, und mich in Bezug aufs Leben optimistischer gemacht. Meine Gedanken sind positiver und auf die Zukunft gerichtet, wenn ich Cannabis rauche.” (Anonym, 31, Maine, US)
Mein Papa war ebenfalls kein Junkie, sondern vor allem ein guter Papa. Ruhig und immer entspannt. Er war nach dem Kiffen auch nie lustig oder abgedreht, sondern angenehm ausgeglichen und weniger reizbar. Nach seinem Abendjoint überkam ihn eine tiefe Milde. Heute weiß ich, dass er sich gut mit Strains und Dosierung ausgekannt haben muss, denn im Alltag war sein Naturell eher introvertiert und angespannt. Jemand, der leicht reizbar war und emotional wenig stabil. Bekifft lag ihm die Vaterrolle einfach mehr, weil ihm der Stress dann weniger anhaben konnte.

Die Vaterrolle lag ihm bekifft einfach mehr, weil ihm Stress dann weniger anhaben konnte

Pia Kernig
Seine ungezählten Trips in die Niederlande begann ich erst mit 13 Jahren zu verstehen, als Marihuana in meinem Freundeskreis ein Thema wurde. Erst damals fing ich an zu kapieren, warum er jeden Abend auf die Terrasse verschwand. Ich kann mich erinnern, dass ich mir bis dahin nie bewusst Gedanken gemacht hatte, warum mein Papa so war, wie er war, und was er da eigentlich in seinem Nachttisch aufhob. Für mich war viel wichtiger, dass immer jemand da war. Ich war nie alleine und mir mangelte nie an Fürsorge. Es gab also keinen Grund, über seine Gewohnheiten nachzudenken und ihn irgendwie zu beurteilen. Dazu komme ich erst heute.
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Als ich mit 14 meinen ersten Joint rauchte und den charakteristischen Geruch wahrnahm, hatte ich einen Aha-Moment. Aber es änderte sich gar nichts an der Beziehung zu meinem Vater, außer der Tatsache, dass bestimmte Kleinigkeiten und Momente aus der Vergangenheit plötzlich Sinn ergaben. Die schön getrockneten Kräuter, die er in seinen privaten Schubladen aufbewahrte, waren also keine pflanzlichen Andenken an letzte Reisen, sondern einfach nur Weed, welches über den Monat betrachtet immer weniger wurde, um dann, oh Wunder!, plötzlich wieder mehr zu werden.
“Weed mildert die Reizbarkeit, die bei mir immer eintritt, wenn ich müde bin. Es hilft mir dabei, nicht so sehr über Dinge nachzudenken. Warte! Das klingt nicht gut. Ich meine etwas anderes: Es hilft mir, nicht über die kleinen, unwichtigen Dinge nachzudenken. Ich habe nämlich die Gewohnheit, mich obsessiv mit Kleinigkeiten zu beschäftigen, die mich total stressen. Blöde Kleinigkeiten einfach, wenn mein Lebenspartner zum Beispiel nicht den Knoblauch presst, sondern ihn schneidet.” (Anonym)
Heute ist mein Papa siebzig Jahre alt. Mit seiner Musikerkarriere ist er nicht weitergekommen, aber so geht es in seiner Branche vielen. Ich habe bis heute keine pauschale Meinung zu Elternschaft und Konsum und möchte auf keinen Fall Ratschläge geben. In meinen Augen gibt es aber Menschen, die auch trotz Konsum Verantwortung übernehmen können und Menschen, die es auch nüchtern nicht schaffen. Ich glaube, mein Papa hat immer einen guten Job gemacht, und dafür bin ich dankbar. Heute kiffe ich auch fast täglich. Kinder habe ich jedoch keine.

Die schön getrockneten Kräuter, die er in seinen privaten Schubladen aufbewahrte, waren also keine pflanzlichen Andenken an letzte Reisen, sondern einfach nur Weed, welches über den Monat betrachtet immer weniger wurde, um dann, oh Wunder!, plötzlich wieder mehr zu werden

Pia Kernig
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