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Liebe analysiert: Was sie einmal war, was sie heute ist, und was sie werden könnte

All you need is love, love is a battlefield, love will tear us apart – what is love? Kaum ein Thema ist gleichzeitig so allgegenwärtig und so mit Mythen und Missverständnissen verwoben wie die Liebe. Grund genug, sich diesem irrationalsten aller Themen einmal auf analytischer Ebene zu nähern. Denn so mächtig und schön sie auch ist: Auch die Liebe ist nicht frei von kulturellem Wandel. Was die Liebe einmal war, wie sie wurde, was sie heute ist, und was sie in Zukunft werden könnte: Diese Fragen werden in dieser Reihe geklärt – zumindest im Ansatz. Denn ein bisschen mystisch muss die Liebe trotzdem bleiben dürfen.
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Ach, die Liebe! Ist sie nicht wunderschön? Hättet ihr das eure Uroma gefragt – sie hätte vermutlich ungläubig mit dem Kopf geschüttelt. „Das braucht kein Mensch!“, hätte sie gesagt. Klar: Liebe hat es schon immer gegeben, in jeder Gesellschaft der Weltgeschichte. Die Liebe ist eine zeitlose, psychosoziale Möglichkeit und Erfahrung. Sie ist ein menschliches Grundbedürfnis. Das bedeutet aber nicht, dass sie immun ist gegen kulturellen Wandel. Tatsächlich ist die Art und Weise, wie wir Liebe und Romantik heute deuten, ein durch und durch modernes Phänomen. Nur widersprüchlich und komplex: Das war sie schon immer. Dabei haben sich vor allem zwei Aspekte fundamental gewandelt: Die Frage, wer der oder die „Richtige“ ist und die Art und Weise, wie wir ihn oder sie suchen.

Vor einer, zwei, drei Generationen vor uns sah die Welt noch anders aus.

Heute ist es nahezu indiskutabel: Eine romantische Beziehung möchte man nur mit einer Person eingehen, die man über alles liebt. Man muss sich verbunden fühlen, miteinander über Wünsche und Bedürfnisse kommunizieren und als Team agieren. Der perfekte Partner muss meinem Beuteschema entsprechen, selbstverständlich norwegischen Black-Metal genauso lieben wie ich und ein gemeinsames Interesse für Meerschweinchenzucht steht auch ganz oben auf der Liste. Die funktionierende Liebesbeziehung, basierend auf gegenseitigem Respekt, ist das erklärte Lebensziel von beinahe allen. Wer sich dagegen auflehnt, gilt als progressiv – oder unromantisch. Liebe ist Selbstzweck. Sie muss frei sein von Interessen wie sozialem Status oder der Weiterführung eines Stammbaumes – sonst gilt sie nicht als echt. All das sind neue Ideen, denn vor einer, zwei, drei Generationen vor uns sah die Welt noch anders aus. Und ich meine nicht ein bisschen anders – ich meine wie-von-einem-anderen-Planeten-anders.
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Vor ungefähr achtzig Jahren – als unsere Urgroßeltern heirateten – gab es noch kein Konzept von Romantik, wie wir es heute kennen. Liebe war keine Voraussetzung für das, was man als erfolgreiche Ehe verstand. Allem voran war die Hochzeit die schwerwiegendste ökonomische Entscheidung des Lebens – und einen guten Ehepartner machte seine Ausstattung mit Kapital aus, nicht etwa seine Einfühlsamkeit oder gemeinsame Interessen. Es ging darum, Sicherheit zu garantieren – vor allem für Frauen, denn die hatten in der Regel weder Zugang zu Bildung noch zu einem ausreichenden Einkommen. Echte, leidenschaftliche Gefühle konnten dabei kontraproduktiv sein: Wenn man sich zum Beispiel in Rudolf, den Bauernsohn verliebte – statt in Heinrich, den Postangestellten. Der Typ hat einen akzeptablen Job und einen stabilen Schnauzer? Was willst du denn mehr?! Ran da, Hildegard!
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Zwar wurde verlangt, die Gefühle der Zuneigung öffentlich zur Schau stellen zu können – wirklich empfinden musste man sie jedoch nicht, um eine erfolgreiche Ehe zu führen. Die „richtige“ Person fand man meist in der unmittelbaren Umgebung: Nach einer Erhebung von 1932 beispielsweise lebten ein Drittel aller großstädtischen Ehepaare vorher nur maximal fünf Straßenblocks voneinander entfernt – sogar knapp 13 Prozent lebten im selben Gebäude. „Dating“ existierte noch nicht. Man lernte sich beim Dorffest oder in der Kirche kennen und heiratete, so schnell es ging: Durchschnittlich innerhalb von sechs Monaten. Zusammenfassend kann man sagen: Wäre es heute noch genauso – ihr wärt seit sieben Jahren mit eurem Kindergartenfreund Tobi verheiratet und hättet drei Kinder. Und würdet euch vermutlich damit zufrieden geben: Denn die Situation wäre alternativlos.
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Der Game-Changer kam in den Sechzigern und Siebzigern

Eine Generation, einen wirtschaftlichen Aufschwung und ein paar technische Innovationen später hatte sich daran immer noch nicht viel geändert: Anfang der Sechziger – ungefähr, als Oma und Opa sich kennengelernt haben – gaben immer noch stolze 76 Prozent der Frauen an, dass sie durchaus einen Mann heiraten würden, den sie nicht lieben. Der Game-Changer kam dann kurze Zeit später: Er bestand aus einer explosiven Mischung aus sexueller Befreiung, dem Kampf für Frauenrechte, der Erfindung der Pille und allem voran der Entstehung einer Massenkultur.
In den Sechzigern und Siebzigern ging es dann ganz schnell: Dating – damals noch Rendez-Vous genannt – wurde zur meist verbreiteten kulturellen Kennenlernpraxis. Übrigens aus der Not heraus, denn ursprünglich handelte es sich um eine Technik der großstädtischen Unterschicht. Man traf sich außerhalb des Hauses, weil dort Eltern, Großeltern und massenhaft Geschwister auf engstem Raum zusammen lebten – offensichtlich nicht das ideale Szenario für ein romantisches Treffen. So verbreitete sich das Treffen zu Zweit in Restaurants, Kinos und Tanzlokalen auf die gesamte westliche Gesellschaft, und: Es war jetzt anerkannt, nicht mehr die erstbeste Person vom Fleck weg zu heiraten. Die serielle Monogamie, die wir heute alle kennen – also das „Ausprobieren“ verschiedener Beziehungen, bevor man im Idealfall bei einer bleibt – wurde zum Standard.

Und ihr dachtet, wir würden heute in stürmischen Zeiten leben!

Dass Frauen nun Zugriff auf Bildung und die Arbeitswelt hatten, selbstständig verhüten konnten und ihnen ein paar fundamentale Menschenrechte zugestanden wurden, ließ Scheidungsraten in die Höhe schnellen und sorgte dafür, dass es ihnen nicht mehr reichte, Tobi von nebenan zu heiraten. Die neu entstandenen Kulturindustrien – Werbung, Fernsehen, Film, Magazine – entdeckten schnell, wie gut sich mithilfe von romantischen Codes Kram verkaufen ließ. Und die Leute hatten nun Geld für Dinge wie Parfüm, schicke Autos, Strumpfhosen und die wichtigste Innovation des 20. Jahrhunderts: Tupperware. Nahezu jedes Produkt wurde mithilfe romantischer oder erotischer (und meistens sexistischer) Bildsprache verkauft – sex sells, egal bei welchem Produkt. Die Bilder hielten Einzug alle kulturellen Sphären – von Hollywood bis in dubiose Groschenromane. In Folge dessen entstand der Bildkomplex, den wir bis heute als romantisch empfinden: Gemeinsam vorm Kamin sitzen, Strandspaziergänge – und die winzige Ecke, die die Frau unterm Sternenhimmel von der Ristorante-Fertigpizza abschneidet. Et voilá: Klischee-Romantik, wie wir sie heute kennen, war geboren. Das hatte Folgen: Nur zwanzig Jahre später – als unsere Eltern ins heiratsfähige Alter kamen – gaben ganze 91 Prozent der Frauen an, nur noch aus Liebe heiraten zu wollen. Und ihr dachtet, wir würden heute in stürmischen Zeiten leben!
Wir Millennials sind mit diesen kulturellen Codes groß geworden – und es ist schwierig, sich vorzustellen, dass es jemals anders war. Aber: Die Liebe ist nicht zeitlos. Auch dieses mystische, unergründliche Etwas unterliegt einem kulturellen Wandel. Und der ist unaufhaltbar: Das erleben wir gerade wieder live mit. Aber das ist eine andere Geschichte.
Alle Statistiken stammen aus „Modern Romance“ von Aziz Ansari.

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