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Wo hört Selbstwertgefühl auf & wo fängt Narzissmus an?

Foto: Eylul Aslan.
Das Wort „Narzisst“ hören wir aktuell ziemlich oft – besonders im Zusammenhang mit Persönlichkeiten wie Donald Trump oder Kanye West. Vielleicht hast du es auch schon verwendet, als du jemandem von deiner oder deinem Ex erzählt hast.
Umgangssprachlich bezeichnen wir Leute als Narzissten, die denken, dass sich die Welt um sie dreht. Dabei handelt es sich bei dem Begriff „Narzissmus“ ursprünglich um eine ernstzunehmende, diagnostizierte Persönlichkeitsstörung. Die Frage ist: Woran erkennen wir, dass jemand nicht einfach nur ein sehr großes Selbstwertgefühl hat, sondern ernsthaft krank ist?
Dr. Emily Grijalva, Assistant Professor an der University at Buffalo School of Management und Expertin in Bezug auf Narzissmus, erklärt, dass narzisstische Persönlichkeitsstörungen (NPS) „eine sehr extreme Form eines narzisstischen Charakterzugs“ sind.
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Oder anders gesagt: Manche Menschen haben vielleicht narzisstische Charaktereigenschaften, sie sind zum Beispiel egozentrisch und brauchen Aufmerksamkeit oder Bewunderung, aber das heißt nicht, dass sie tatsächlich eine Persönlichkeitsstörung haben. Sind wir doch mal ehrlich: Wer von uns hat sich nicht schon mal etwas zu selbstbewusst oder wichtigtuerisch verhalten? Eine echte Persönlichkeitsstörung geht aber noch einen Schritt weiter. Sie muss klinisch diagnostiziert werden und kann bei betroffenen Personen für große Probleme in vielen verschiedenen Lebensbereichen sorgen.
„Wenn der Narzissmus dir Kummer bereitet und sich auf dein Liebesleben, deinen Job oder andere Aspekte deines Lebens auswirkt, dann könnte es sich um eine Persönlichkeitsstörung handeln“, so Dr. Grijalva.

Diagnose und Statistiken

NPS ist eine komplizierte Störung, deren Diagnose einer gründlichen psychologischen Analyse bedarf. Oftmals wird sie allerdings erst festgestellt, wenn die betroffene Person wegen einer anderen Störungen Hilfe sucht – wie einer bipolaren oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, so Dr. Grijalva. „Narzissten sind sich nicht bewusst, dass sie ein Problem haben, das diagnostiziert werden muss. Da sie überzeugt davon sind, perfekt zu sein, würden sie nie auf die Idee kommen, dass mit ihnen etwas nicht stimmen könnte“.
Laut einer deutschen Untersuchung treten narzisstische Persönlichkeitsstörungen bei bis zu 0,4 Prozent der Bevölkerung auf. Allerdings gibt es auch andere Studien, bei denen von einem Prozent die Rede ist. Allgemein kann man sagen, dass es immer noch zu wenige aussagekräftige Studien gibt und auch noch viel im Wandel ist – so auch der Diagnosekatalog – der diagnostische und statistische Leitfaden für psychische Störungen, kurz DSM).
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Bis zum DSM 4 wurde vor allem einer Ausprägung Beachtung geschenkt: der Grandiosität. Menschen die an dieser Form leiden, sind häufig arrogant und überheblich. Beim DSM 5 wird aber auch Vulnerabilität – auch bekannt als der „verdeckte pathologische Narzissmus“ –  angesprochen, die sich in Hypersensibilität und extremer Verletzlichkeit und Schüchternheit zeigen. Beide Ausprägungen zeigen eine große Ich-Fixiertheit.
Und wie erkenne ich jetzt Narzissmus?
Laut des DSM-5 gibt es neun Kriterien, von denen fünf erfüllt sein müssen, damit eine narzisstische Störung vorliegt:
1. Grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit
2. Eingenommen von Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Energie, Brillanz, Schönheit, idealer Liebe
3. Gefühl von Einzigartigkeit und der Glaube, nur von einzigartigen Menschen oder Institutionen mit hohem Status verstanden zu werden und nur mit solchen verkehren zu können.
4. Braucht übermäßige Bewunderung
5. Hohe Ansprüche/Erwartungen (etwa spezielle Behandlung)
6. Interpersonell ausbeuterisches Verhalten
7. Fehlende Empathie
8. Ist oft neidisch auf andere oder glaubt, dass andere neidisch sind auf ihn oder sie
9. Zeigt arrogantes und hochmütiges Verhalten
Zwar wird Vulnerabilität bei den Kriterien auch in dieser Ausgabe des Diagnosekatalogs nicht erwähnt, jedoch liefert ein Zusatz folgende Anhaltspunkte zur Diagnose:
• Vulnerabilität führt zu sensiblen Reaktionen auf Kritik
• Kritik demütigt zutiefst und hinterlässt ein Gefühl von Leere (zeigt sie*er aber nicht gegen Außen), reagiert mit Wut oder Gegenattacke
• Hohe Leistung, aber auch Vermeiden von Wettbewerb, depressive Stimmung
• Verbindung mit Anorexia Nervosa, Substanzmissbrauch (Kokain), histrionische, borderline, antisoziale und paranoide Persönlichkeitsstörung = Komorbidität

Auswirkung und Folgen

Es wirkt paradox, aber obwohl die Patient*innen extrem selbstbewusst wirken, haben sie tatsächlich ein brüchiges Selbstwertgefühl, welches sie durch ihr egozentrisches Verhalten versuchen zu kompensieren. Sie haben eine unrealistische Vorstellung davon, wie wichtig sie sind und überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten. Da sie nach Bewunderung, Macht und Erfolg streben, gehen sie teils schwer kalkulierbare Risiken ein, was sich negativ auf das Unternehmen auswirken kann.
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Zudem kann NPS dazu führen, dass sich Betroffene für überlegen halten und sich nur mit Leuten abgeben, die ebenso „besonders“ sind. Sie wollen immer nur das Beste von allem haben, zum Beispiel das größte, hellste Büro, und nutzen Menschen sogar oft aus, um das zu bekommen, was sie wollen.
Sowohl im Berufs- als auch im Privatleben ecken Betroffene oft an – beispielsweise durch ihr Bedürfnis nach Kontrolle und Dominanz sowie der Entwertung oder Verachtung von anderen. Das Ergebnis ist nicht selten Vereinsamung.
Dazu kommt, dass sie „Zweifel, Kritik sowie auch Zurückweisungen als überaus kränkend und tiefgreifend erleben. Dies kann sehr schmerzlich sein und sich bis hin zu einer existentiellen Bedrohung steigern“, so Dr. Christa Roth-Sackenheim vom Berufsverband Deutscher Psychiater. Dadurch können psychische Folgeerkrankungen wie Depressionen entstehen, die schlimmstenfalls zu Suizidgedanken führen. Die Suizidrate bei NPS liegt bei 14 Prozent.

Behandlung

Behandelt wird die Störung meistens mit Gesprächstherapien, die den Betroffenen dabei helfen sollen, ihre Emotionen zu verstehen und bessere Beziehungen zu den Menschen in ihrem Umfeld aufzubauen. „Wichtig ist, die zwischenmenschlichen Interaktionsprobleme zu verbessern, die in Form von Empathie-Mangel, Schüchternheit und Angst vor negativer Bewertung durch andere bestehen. Das schafft die Grundlage, um mit Kritik von anderen Menschen besser umgehen und einer realistischen Selbsteinschätzung auftreten zu können“, so Dr. Christa Roth-Sackenheim. Außerdem sollte an einer besseren Selbstachtung und -regulation gearbeitet sowie ein angemessener Umgang mit Frustrationserlebnissen thematisiert werden.
Die oben genannten Punkte stellen keinesfalls eine alleinige Diagnosemethode dar. Solltest du vermuten, dass du (oder eine Person deines Umfelds) an NPS leidet, dann sprich bitte mit einem Experten oder einer Expertin darüber. Mehr Informationen zu Narzisstischer Persönlichkeitsstörung findest du beim Deutschen Ärzteblatt, auf der Website von Neurologen und Psychiatern im Netz oder auf der Plattform ResearchGate.

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