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Ein sexistisches Dating-Ritual, an dem Frauen nicht ganz unschuldig sind

Foto: Eva K. Salvi.
Es gibt da diesen einen Moment, den die meisten Frauen kennen, die jemals mit einem Mann ausgegangen sind: Am Ende der ersten Verabredung in einer Bar oder einem Restaurant kommt die Rechnung – und dann. Dann sitzt man da, behält das Stück Papier im Auge und wartet ab, was sein Gegenüber tut. Spielt er den Gentleman der alten Schule, verdeckt die Zahlen mit einer Hand und zückt mit der anderen die Kreditkarte? Wird er einfach nichts tun und abwarten, bis wir aufstehen? Oder wird er mich ansehen und direkt fragen, ob wir 50/50 zahlen? Lange Zeit gehörte ich zu den Frauen, die für jeden dieser drei Typen ein Urteil parat hatte. Der erste war „der Richtige“. Er kümmerte sich um mich, wusste mich und meine Zeit wertzuschätzen. Er hatte Klasse und war belesen, hatte die Welt bereist und genug Geld auf dem Konto – alles also ein gutes Zeichen dafür, dass er sein Leben im Griff hatte. Der zweite war „der Feige“. Er würde definitiv nie anbieten, die Rechnung komplett selbst zu zahlen… weil er mich nicht genug mochte? Weil er pleite war? Allerdings würde er sich auch nie zu irgendeiner dieser Wahrheiten bekennen. Er würde da sitzen und darauf warten, dass ich einen Vorschlag machte. Und der dritte war „der Arsch“, der mich weder respektierte, noch Interesse dafür aufbrachte, was ich von ihm denken würde. Er war geizig und legte offenbar keinen Wert darauf, mich zu beeindrucken. Weg mit ihm! Irgendwann kam jedoch der Tag, an dem ich dieses Urteilsprinzip, das mir von wohlwollenden Frauen in meinem Familien- und Freundeskreis vermittelt wurde, loslassen musste. Wollte. Denn nach jahrelangen Beziehungen, lockeren Affären und zahllosen ersten Dates bemerkte ich, dass es sich bei diesem festgefahrenen Regelwerk um eine veraltete Version von „positivem Sexismus“ handelte und ich keinerlei Recht dazu hatte, Männer anhand dessen zu be- oder gar verurteilen, ob sie nun mein Dinner bezahlten oder nicht. Ein kultureller Habitus, mit dem ich nichts zu tun haben wollte.
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Romantik als Transaktion: Für Geld und Stabilität gibt's Sex und Kinder.

Wir sind uns wahrscheinlich alle der traditionellen Erwartungen bewusst, die bei einem Hetero-Date aufkommen: Männer stellen die Fragen, Männer zahlen die Rechnung, Männer erkundigen sich nach einem nächsten Treffen, für gewöhnlich innerhalb von drei Tagen. Männer, die diesen Genderrollen nicht gerecht werden, haben keinen Anstand. Frauen, die Männer umwerben, sind verzweifelt. Aber warum genau wird von Männern erwartet mein Abendessen und meinen Gin Tonic zu bezahlen? Warum verurteilen so viele Frauen sie, wenn sie es nicht tun? Das Ritual stammt aus einer Zeit, in der Feminismus und Geschlechtergleichstellung noch nicht Teil der Diskussion waren. Einer Zeit, in der Männer meist noch Alleinunterhalter der Familie waren, während Frauen sich um die Kinder und das Heim kümmerten. Ein Mann, der sich also sofort um das Bezahlen der Rechnung bemühte, zeigte, dass er seine Familie versorgen konnte, was wiederum das Verständnis von Romantik als Transaktion in Stein meißelte: der Austausch von Geld und Stabilität gegen Sex und Nachwuchs. Ist dieses Gedankengerüst noch immer aktuell? Suchen wir unsere Dates auch heute nach diesen Kriterien aus? Frauen sind längst nicht mehr aus der Arbeitswelt ausgeschlossen, und das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen wird jedes Jahr ein bisschen kleiner. Mit vielen Frauen in Chefetagen, starken weiblichen Stimmen im öffentlichen Diskurs und selbstbestimmten Hausfrauen sollten wir doch soweit sein, antiquierte Dating-Gesetze hinter uns zu lassen. Wir Frauen sind keine Besitztümer, Männer keine Dummköpfe. Und doch besagt eine Studie der CSU Los Angeles aus dem Jahr 2015, bei der 17.000 Menschen befragt wurden, dass 57% der befragten Frauen, allesamt heterosexuell und unverheiratet, zwar anbieten, sich an der Rechnung zu beteiligen, jedoch 39% empört darüber wären, wenn der Mann ihr Angebot annimmt. 82% der befragten Männer, für die dieselben Kriterien galten, sagten, dass sie den Großteil der Dating-Ausgaben übernehmen. Und auch bei jüngeren Frauen halten sich diese Vorurteile. Refinery29 US führte unter hetero- und bisexuellen Millennial-Frauen eine Umfrage durch, bei der herauskam, dass sich zwar 46% unter ihnen schuldig fühlten, wenn der Mann die Rechnung vollständig zahlte, jedoch 59% weiterhin das Gefühl hätten, es wäre eigentlich seine Pflicht. 48% sagten außerdem, dass sie ein mögliches Angebot annehmen würden.
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Traditionelle Geschlechterrollen waren mir immer suspekt, doch die finanzielle Verlässlichkeit ist durchaus verführerisch.

Der Clue: Sogar selbsternannten Feministinnen geht es so. Eine Bekannte von mir, auf die Beschreibungen wie cool, stark und engagiert zutreffen, die alleinerziehend ist, während sie gleichzeitig die Karriere ihres Lebens hinlegt und dabei auch noch verdammt gut aussieht, empfahl mir einst ein Buch mit dem Titel The Rules, oder, wie ich es nenne: Das Alte Buch der Anti-Feministischen Dating-Regeln. Sie war der Meinung, dass mir die Ratschläge in diesem Buch, die Geschlechterrollen und alle nur denkbaren Klischees ausreizen, mir dabei helfen würden, einen Mann zu finden, der mich endlich wirklich gut behandeln würde. Eine dieser Regeln lautete: „Eine Frau hat niemals den Kontakt zu einem Mann zu initiieren.“ Es ging hierbei um die Jagd! Wenn man als Frau einen Mann umwirbt, ihn anspricht und gar anbietet, das Essen zu zahlen, ist man verzweifelt – und der Mann, so er es denn annimmt und sich darauf einlässt, ist ein Weichei. Frau sollte sich stattdessen in ihrer Geheimnistuerei üben und niemals klare Aussagen darüber treffen, ob sie denn tatsächlich am Mann interessiert sei oder nicht. Kokettieren und ihn im Dunklen stehen lassen. Bitte schön? Genau das. Traditionelle Geschlechterrollen waren mir nie koscher, selbst, wenn ich davon profitierte. Eineinhalb Jahre ging ich mit einem Typen aus, der alle Rechnungen übernahm – nennen wir ihn Billy. Billy scheute keine Ausgaben, wenn es darum ging, mich materiell zu verwöhnen. Vor ihm hatte ich eine ganze Weile nur Affären mit Kreativen und Künstlern, die geldtechnisch konstant am Existenzlimit lebten. Diese Art der finanziellen Verlässlichkeit war also komplett neu für mich, und durchaus verführerisch. Doch irgendwann merkte ich, dass Billy versuchte, damit etwas zu kompensieren. Er fühlte sich nicht männlich genug und hatte ein Mittel gefunden, mit dem er sich nun vermeintlich stark machen konnte. Irgendwann wurde es zu einem Druckmittel: er bezahlte alles, dafür sprach er mir jegliches Recht ab, Kritik an unserer Beziehung zu üben. Es fühlte sich an, als wäre ich sein Eigentum und er müsste mich in Stand halten. Weiter zu Urteilstyp 2: „der Feige“ war meist ein wohlwollender Mann, der aus misslungenen Erfahrungen mit anderen Feministinnen, die ihm die Tür vor der Nase zuknallten, wenn er sie ihnen aufhalten wollte, so traumatisiert hervorging, dass er es einfach sein ließ. Aus Sicherheit. Nur für den Fall, dass ich darauf bestand, selbst zu bezahlen. Und weil wir das Kind beim Namen nennen wollen: sein Verhalten war ja kein bisschen anders als das, was ich da die ganze Zeit über tat: abwarten und gucken, was mein Gegenüber tut. Ironie von vorne bis hinten!

Der Arsch in dem Szenario war ich, nicht der Mann.

Und der dritte? Der miese Typ? Er war der einzige, der ehrlich und fair war, der einzige, der es nicht einsah, meinen Verbrauch zu finanzieren, nur weil er einen Penis hatte und ich keinen. Weil Emanzipation. Der Arsch in dem Szenario? War ich. Frauen, die auf Männer stehen und noch immer mit diesen Kriterien an Dates rangehen, sollten ihre Strategie überdenken. Wir sind der Gleichstellung von Männern und Frauen wirklich so nah wie nie zuvor. Sich an Bräuchen und Ritualen festzuhalten, die nicht mehr zeitgemäß sind, verstärkt bestehende – und längst überholte – Stereotypen nur noch mehr und hält uns als Gesellschaft davon ab, Fortschritt zu erreichen. Und wer hat eigentlich jemals behauptet, dass eine geteilte Rechnung unsexy ist? Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude – da haben wir’s. Mittlerweile packe ich, wenn die Rechnung kommt, mein Portemonnaie aus, lege mein Geld auf den Tisch, schaue ihm dabei tief in die Augen und setze ein sexy Lächeln auf – damit ist eigentlich alles klar. Wenn er darauf besteht, zu bezahlen, verspreche ich, dass ich die nächste Runde übernehme. Ich bin kein Preis, mit dem man sich krönt. Ich entscheide ja, dass ich am Date teilhaben will. Ich kann für mein Essen und meinen Wein bezahlen, und wenn ich will, zahl ich seinen sogar mit.

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