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Meine unvernünftigste Entscheidung war die beste meines Lebens

Foto: Alexandra Gavillet
Vernunft ist ein guter Ratgeber. Stimmt das auch heute noch? Oder leben wir freier, wenn wir das Privileg haben, unvernünftige Entscheidungen treffen zu dürfen? In dieser Reihe erzählen Mütter, Selbstständige und Studentinnen, welche Rolle Vernunft in ihrem Leben spielt.
In Vorstellungsgesprächen habe ich mich immer am meisten vor der Frage gefürchtet, wo ich mich selbst in fünf oder zehn Jahre sähe. Ich weiß nicht einmal, was nächste Woche passiert. Und ich habe mich überall gesehen – als Co-Moderatorin von Barbara Schöneberger beim deutschen Fernsehpreis, als erfolgreiche Bestseller-Autorin mit Wohnsitz in der Toskana oder als Weltenbummlerin mit zwei Kindern im Schlepptau. Aber niemals, wirklich niemals, in irgendeinem Büro. Schon gar nicht in der Firma, in der ich gerade mit zusammengeknoteten Haaren und leichten Bügelfalten in der Bluse saß und diese Frage beantworten sollte. Ich saß dort nur, weil ich lange Zeit dachte, das müsste so sein. So läuft das im Leben.
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Einen sicheren Arbeitsplatz mit allen Vorzügen gegen das absolute Risiko zu tauschen – ist das nicht komplett unvernünftig? Ja, das ist es.

Bei der Berufsberatung in der neunten Klasse hatte ich noch sehr viel Idealismus. Als die nette Dame der Arbeitsagentur sagte, Schauspielerin oder Schriftstellerin, das sei doch Blödsinn, ich solle lieber was Vernünftiges machen, nämlich Wirtschaftsinformatik, stand ich kommentarlos auf und verließ den Raum. Was fiel der Dame ein, meine Pläne zu durchkreuzen?
Fünfzehn Jahre später sitze ich in einem hell erleuchteten Großraumbüro und schiebe lustlos Budgets für eine Social-Media-Kampagne hin und her. Immerhin: Um 15 Uhr mache ich Feierabend, springe in einen Zug, trete irgendwo in Deutschland auf, schlafe ein paar Stunden, stehe zu früh wieder auf und fahre mit dem ersten Zug nach Hause, um pünktlich im Büro zu sitzen. Das macht Spaß. Und einsam. Mein Freund sieht mich nur am Wochenende, meine Freunde via Skype, und Familienfeiern müssen ein Jahr im Voraus angekündigt werden.

Was, wenn mich in 10 Jahren jemand anruft und sagt: „Guten Tag, Sie haben vor zehn Jahren ein Kreuzchen falsch gesetzt, bitte zahlen Sie den Zuschuss zurück.“

2015 reicht es mir. Ich habe nur ein Problem: Ich bin der größte Sicherheitsmensch, den ich kenne. Einen sicheren Arbeitsplatz mit allen Vorzügen gegen das absolute Risiko zu tauschen – ist das nicht komplett unvernünftig? Ja, das ist es. Aber der sichere Arbeitsplatz für die nächsten Jahre ist mir zu langweilig – und das wiegt schwerer. Ich mache also das, was ich in solchen Fällen immer mache: eine To-Do-Liste. Zwei Wochen später bitte ich um die Kündigung. Jetzt ist es offiziell. Mein Herz rast, als ich das Büro meiner Chefin verlasse.
Für den Business- und Finanzplan, den ich für den Antrag zum Gründerzuschuss schreiben muss, soll ich drei Jahre im Voraus berechnen, was ich verdienen und ausgeben werde. Während ich verzweifelt vor den Unterlagen sitze, trinke ich sehr viel Wein und schreibe dann fröhlich irgendwelche Zahlen auf. Auch, wenn der Finanzplan am Ende eher einem Produkt meiner Fantasie als der Realität entspricht, hat mir das Niederschreiben meines Plans geholfen, überhaupt einen Begriff davon zu bekommen, was ich machen will und was ich dazu brauche. Als ich die gesammelten Unterlagen in der Arbeitsagentur abgebe, bin ich so aufgeregt wie noch nie in meinem Leben.
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Als ich dann ein Jahr später den positiven Schwangerschaftstest in der Hand halte, habe ich diese Angst nicht nur dreimal am Tag, sondern quasi durchgehend.

Tatsächlich bekomme ich kurze Zeit später die Bestätigung für den Gründerzuschuss. Was für ein Gefühl. Ich habe mir selbst einen Job geschaffen. Abends im Bett denke ich darüber nach, was ich mache, wenn mich in zehn Jahren jemand anruft und sagt: „Guten Tag, Sie haben vor zehn Jahren ein Kreuzchen falsch gesetzt, bitte zahlen Sie den Zuschuss zurück.“ Solche Dinge gehen mir ab sofort öfter durch den Kopf. Ich erzähle einem ebenfalls selbstständigen Freund davon und er antwortet trocken: „Willkommen im Club. In ein paar Jahren hast du diese Angst nur noch einmal die Woche und nicht mehr dreimal am Tag.“
Als ich dann ein Jahr später den positiven Schwangerschaftstest in der Hand halte, habe ich diese Angst nicht nur dreimal am Tag, sondern quasi durchgehend. Selbstständig mit Kind, geht das? Wie lange kann ich aussetzen, ohne dass ich bei meinen Kunden von der Bildfläche verschwinde? Wie lange will ich aussetzen?

Ich habe absolute Sicherheit gegen die Selbstständigkeit getauscht – und es war das Bekloppteste und Beste, was ich jemals getan habe.

Was mir schließlich am meisten hilft: Ich spreche mit Frauen, die auch selbstständig und Mütter sind. Die mir versichern, dass das klappt. Dass es anstrengend ist, aber auch sehr flexibel. Ich las einen tollen Artikel von Teresa Bücker, die in ihren „10 Ideen für eine entspannte Schwangerschaft“ dazu riet, einen Finanzplan aufzustellen. Und ich hielt mir vor Augen, dass ich nicht alleine war. Irgendwann im letzten Drittel der Schwangerschaft waren die Sorgen plötzlich weg. Alles, was ich tat, war Kuchen essen und Podcasts hören. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich den Arbeitseifer Arbeitseifer sein lassen und dachte nur: „Es wird. Es wurde immer alles.“
Ich habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag, feste Arbeitszeiten, freie Wochenenden und alle Absicherungen in Sachen Krankenkasse und Rentenvorsorge gegen die Selbstständigkeit getauscht. Das war gleichzeitig das Bekloppteste und Beste, was ich in meinem Leben getan habe. Ich bin ins kalte Wasser gesprungen. Auch, wenn ich das unschätzbare Privileg hatte, mir im Vorfeld nebenbei schon eine Grundlage aufbauen zu können. Ich bin mir immer noch jeden Monat unsicher, ob ich in drei Monaten noch die Miete bezahlen kann und wie viel Steuern ich wohl nächstes Jahr zurückzahlen muss. Ich hasse Buchhaltung und Steuerkram so sehr, wie man nur hassen kann. Und trotzdem möchte ich das niemals wieder eintauschen. Ich bin stolz, dass ich mich das getraut habe. Und dass es funktioniert. Es wird. Es wurde immer alles.

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