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Warum sich Heterosexuelle für die Rechte der LGBTQI-Community einsetzen müssen

FOTO: Robin Hammond / Witnesschangeorg
Gemischte Gefühle machten sich in mir breit, als ich mich vergangenes Jahr auf dem Weg zur Ausstellung Where love is illegal in Berlin gemacht habe: Betroffenheit, Wut, Trauer – aber auch große Symapthie für alle mutigen Beteiligten. Es ist doch so: Ich bin eine heterosexuelle Frau. Ich musste mich nie vor meine Eltern oder Freunde stellen und ihnen beichten, dass ich auf Männer stehe. Niemand verlangte es von mir, mich zu outen. Ich kann nicht erahnen, wie es sein muss, wenn ich mich selbst nicht akzeptieren will, weil ich mich zu Männern hingezogen fühle. Ich kann nicht wissen, wie es ist, wenn ich schief angeguckt werde, weil ich einen Mann an meiner Hand halte. Ich kenne das Gefühl nicht, wenn Leute tuscheln, weil ich einen Mann auf der Straße küsse. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man mich beleidigt, sogar angreift, weil ich einen Mann liebe. Ich kann es nicht verstehen, dass es falsch sein sollte zu lieben. Und doch werden noch heute Menschen tagtäglich dafür bestraft, weil sie genau das tun. Lieben! Weil ihre Liebe jemandem gilt, der das gleiche Geschlecht hat.
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Vor kurzem habe ich mich mit einer Freundin darüber unterhalten. Sie, lesbisch, geoutet. Als sie Hand in Hand mit einem Mädchen durch die Straßen ging, wurde ihr ein „Ihhh, schwul“ hinterher gerufen. Das war im Jahr 2016. In Berlin. In der Stadt, in der angeblich jeder sein kann, wie er will. Sie erzählte mir, wie sehr es ihr Leben beeinflusst hat, dass sie früher das Gefühl hatte, nirgendwo reinzupassen. Weil sie in ihrer kleinen Heimatstadt nicht der Norm entsprach. Wie lange sie selbst gebraucht hat, um sich so zu akzeptieren, wie sie ist. Wie sehr andere Menschen Kontrolle über dein Leben haben können, wenn sie dir das Gefühl geben, dass deine Gefühle nicht richtig sind. Mir wird bewusst, dass ich einfach Glück hatte. Glück, dass ich lieben darf – ohne das Urteil anderer Leute. Aber warum darf ich und andere nicht?
Auch Robin Hammond hatte dieses Glück. Er selbst bezeichnet sich als einen privilegierten Mann. Auf dieser Situation wollte sich der gebürtige Neuseeländer aber nie ausruhen. Seit Jahren setzt sich der Fotograf aktiv für Menschenrechte ein, bereiste dafür die Welt. 2014 lernte er in Nigeria fünf Männer kennen, die eingesperrt wurden und vor Gericht mussten, weil sie schwul sind. „Im Gefängnis wurden sie gefoltert und ausgepeitscht. Als sie das Gericht verließen, warfen fremde Leute mit Steinen auf sie“, erzählt Robin im Interview mit Refinery29. „Als sie mir erzählt haben, was sie über sich ergehen lassen mussten, war ich sehr berührt. Ich dachte, das andere Leute auch davon berührt sein könnten. Diese Stimmen mussten gehört werden.“ Der Fotograf gründete das Projekt Where Love is Illegal. Er porträtierte Menschen, aus der LGBTI-Community (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexed) aus der ganzen Welt und ließ sie ihre Geschichten erzählen. Auch online kann jeder selbst mitmachen und seine ganz persönlichen Erfahrungen teilen.
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Letztes Jahr stellte er die Werke dieses Projektes in einer Galerie in Berlin aus. Auf der weißen Wand hingen die Bilder der Menschen, die Robin für das Projekt porträtiert hat. Sie alle wurden aufgrund ihrer Identität misshandelt, beschimpft, diskriminiert. Neben jedem Bild hing ein kleines Schild, auf dem sie ihre eigene Geschichte niedergeschrieben haben. Dort ist auch die von Gad, einem homosexuellen Mann aus Syrien. „Sie haben eine schwarze Tüte über meinen Kopf gestülpt. Sie haben mich weiter geschlagen und getreten. Ich wusste nie, woher es kommen würde. Sie haben das Gleiche mit anderen gemacht. Wir konnten hören, wie die anderen gequält wurden.“ Mit 28 anderen wurde er für 26 Tage in einem Badehaus eingesperrt. Sie alle warteten dort auf ihren Prozess aufgrund ihrer Homosexualität. Ihnen drohten Gefängnisstrafen.
Im Raum war es trotz den vielen Besuchern erdrückend still. Ich schaute zu einem anderen Bild. Eine Frau, bekleidet in einem kurzen Kleid und einem Kopftuch, kniet auf einem Bett. Ihre Augen starren in die Kamera. Ihr Name ist Jessie. Sie ist eine transsexuelle Frau aus dem Libanon. An ihrem Schild steht geschrieben: „Die Nachbarn schrieen ‚bring sie um und befreie die Menschheit von ihr, wir brauchen solche Menschen nicht in unserer Nachbarschaft.‘ Ich versuchte zu entkommen. Ich dachte, dass mir irgendjemand helfen würde, aber jeder war gegen mich.“ Noch heute versucht sie ihrem Bruder und ihrem Vater zu entkommen, die sie immer noch töten wollen, wie mir Robin erzählt.
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FOTO: Robin Hammond / Witnesschangeorg
„Ich finde, dass die heterosexuelle Community etwas versagt hat, wenn es darum geht, sich für LGBTI-Rechte einzusetzen“, sagt er mir. „Manchmal fragen sich Menschen, warum ich so interessiert an dieser Problematik bin. Ich verstehe es. Welches Recht habe ich schon, deren Geschichte zu erzählen? Ich selbst hatte Glück. Ich wurde in ein privilegiertes Leben geboren. Welches Recht habe ich aber, ihr Leid zu ignorieren? Ich denke, dass ich eine moralische Verpflichtung habe, wenn ich helfen kann. Ich kann ihre Stimmen auf große mediale Plattformen bringen. Ich wurde wegen meiner Identität ja nie infrage gestellt, ich wurde wegen meiner Sexualität nie beschimpft. Aber ich kann mir vorstellen, wie es sein muss. Doch sich etwas vorzustellen, ist nicht das Gleiche, wie etwas zu leben. Aber die Macht vom Geschichtenerzählen ist, dass man wenigstens nachempfinden kann, was diese Menschen erlebt haben.“
Viele von ihnen leben wahrscheinlich immer noch in Angst. Einer von ihnen ist sogar tot – nachdem er jahrelang aufgrund seiner Sexualität leiden musste, erkrankte er, starb. Er hatte nicht mehr das Glück, dass sich irgendwann alles zum Guten wendet. Und dort, auf der weißen Wand, stehen nun seine Zeilen, hängt sein Bild. Er hatte das Pech, in einem dieser Länder geboren zu werden, in denen es kriminell ist, einen gleichgeschlechtlichen Partner zu haben. Aber auch in westlichen Ländern ist das Problem Homophobie längst nicht gelöst. Robin sagt: „Wir müssen leider anerkennen, dass es in jedem Land Diskriminierung gibt. Schwule werden umgebracht, weil sie homosexuell sind. Auch in Ländern, wo ‚Gay-Marriage‘ anerkannt ist. Das Gesetz zu ändern ist der erste kleine Schritt. Aber man muss auch die Gesellschaft ändern.“ Er will genau das mit den Geschichten versuchen. Denn nur, wo die Macht des Schweigens herrscht, wird die Diskriminierung immer weiter gehen. „Geschichten können Veränderungen auslösen“, ist sich Robin sicher. „Klar, ich frage mich auch immer, ob wir überhaupt etwas verändern können. Und wie kann man überhaupt wissen, dass man erfolgreich ist, oder in die richtige Richtung geht? Aber nur, weil wir es nicht wissen, heißt das nicht, dass wir es nicht versuchen sollten.“
Als ich mich nochmal im Raum umschaute, die Eindrücke auf mich wirken ließ, war ich ergriffen, schon fast sprachlos. Es ist mir unbegreiflich, dass Liebe wirklich illegal sein kann. Liebe. Dieser eine Begriff, der keine Definition hat. Dieses eine Gefühl, dass unbeschreiblich ist. Das, was wir doch alle festhalten wollen, wenn wir es gefunden haben. Ich frage Robin, wie er Liebe für sich persönlich definiert. Er lächelt und zeigt auf das Bild eines lesbischen Pärchens aus Russland. Die beiden wurden von Männern attackiert, weil sie auf der Straße Händchen hielten. „Was ihnen an diesem Tag passiert ist, ist ein Dokument von Gewalt“, sagt er. „Aber dieses wurde zu einem Liebesbrief. D. sagte zu O., dass diese Angst, die sie gefühlt hat, die Gefühle zu ihrer Partnerin noch stärker gemacht hat. Sie sieht es nicht als selbstverständlich, wenn sie Händchen auf der Straße halten. Sie macht es aber heute mit Absicht. Wenn sie es jetzt macht, ist es ein Zeichen ihrer Liebe und ihres Mutes. Diese Menschen mussten durch so harte Zeiten gehen. Aber sie haben nie den Glauben an die Liebe aufgegeben. Und das hat mein Konzept von Liebe neu definiert."

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