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Wie ich mal entspannen wollte – Ein gescheiterter Selbstversuch

Dieser Artikel erschien zuerst bei MitVergnügen.
Neulich hatte ich einen freien Tag. So richtig frei-frei mit ohne Arbeit, ohne Deadlines, ohne „Kannst du mal schnell“ und „Würdest du noch“. Einfach herrlich aufgabenlos wie damals, als ich meine Zeit noch mit Wettschaukeln statt Erwerbsarbeit verbrachte.
Die Sache ist nun: Ich weiß eigentlich gar nicht genau, wie das geht, dieses Freihaben. Wie soll man denn den ganzen Tag lang nichts oder wenigstens nur schöne, erholsame Dinge tun? Ich wüsste auch gar nicht, von was ich mich erholen sollte. Mein Leben und Arbeiten finde ich prinzipiell recht komfortabel und angenehm und Work-Life-Balance machen wir Millenials doch sowieso nicht mehr, weil wir das eine vom anderen nicht mehr trennscharf auseinanderhalten wollen – oder können. Gleichzeitig bin ich aber auch eine Streberin und beschließe, diesen freien Tag zu nutzen, um die Sache mit der Entspannung zu lernen – oder wenigstens mal ein wenig zu üben.
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Work-Life-Balance machen wir Millenials doch sowieso nicht mehr

Zufälligerweise fällt mein freier Tag auf einen Donnerstag. Das ist deshalb so schön, weil sich alle anderen morgens an den Schreibtisch quälen müssen, während ich selbst ungehemmt weitersnoozen kann. Zumindest theoretisch. Denn weil mein Organismus nicht auf einen freien Tag gefasst ist, wache ich trotzdem pünktlich um 7.30 Uhr auf und beschließe nach einem erfolglosen Wiedereinschlafversuch, dass ich wohl oder übel auch aufstehen werde. Wer früher wach ist, hat länger frei und wer frei hat, kann sich noch länger erholen, schlussfolgere ich logisch – und fühle mich gleich ein bisschen falsch damit.
Foto: Peathegee Inc/Getty Images.

Der Leitfaden der Erholung: Frühstück im Bett, Yoga, leichte Lektüre, Rotwein

Richtig wäre in meiner Vorstellung eines freien Tages: schlafen bis zur Mittagszeit und dann vom Bett auf die Couch rollen, bis es wieder Zeit für die Rückkehr ins Bett ist. Aber ich habe ja nicht mal eine Couch, da fängt das ganze Problem schon an. Zu Recherchezwecken konsultiere ich die bebilderte Gegenwartsenzyklopädie Instagram und suche unter den Hashtags #dayoff, #relaxingday und #chillday Indizien dafür, wie man sich effizient innerhalb eines Tages von den Strapazen des Daseins kuriert. Folgende wiederkehrende Methoden sind dabei zu erkennen: ein Selfie im Bett machen, im Bett frühstücken, Zehen im Sand vergraben, Bücher lesen, Yoga machen, mit Freunden Wein trinken. Klingt alles recht banal und machbar eigentlich. Vielleicht ist Erholung einfacher, als ich dachte?

Gute Vorbereitung ist alles

Mit diesem Leitfaden mache ich mich also an die Erholungsarbeit. Die Sache mit dem Sand wird in Berlin etwas schwierig, es sei denn, man findet nassfeuchten Spielplatzsand einladend. Ohnehin halte ich Sand für ein Material mit viel zu hohem Stress-, Nerv- und Scheuerpotenzial, als dass ich ihn in meinen freien Erholungstag integrieren wollen würde. Stattdessen vergrabe ich die Zehen lieber in meinem Teppich und stelle mir vor, es gäbe einen Strand, an dem statt lästigem Sand ein flauschiger, wenngleich hygienisch fragwürdiger, Flokati liegt.
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Aber ich drifte ab. Also, ein Selfie im Bett machen und der Welt zeigen, dass man gerade ein Selfie im Bett macht, statt eines Selfies am Schreibtisch. Tolles Konzept. Leider hasse ich die Frontkamera und sie hasst mich, was dafür sorgt, dass ich darin meistens aussehe wie eine schlecht gephotoshoppte Version meiner selbst. Nichts, was man ins Internet stellen würde jedenfalls. Das Ergebnis ist nach einigen Versuchen immer noch so niederschmetternd, dass ich beschließe, kein Bild zu posten. Meine Augenringe sind durch keinen Filter zu mildern und das Problem an kurzen Haaren ist unter anderem, dass man morgens aussieht, als hätte man den Schopf geradewegs aus dem Multizerkleinerer gezogen. Statt #dayoff sehe ich aus wie Hasselhoff zu seinen dunkelsten Zeiten.
Besser, ich konzentriere mich auf so altmodisch einfache Dinge wie Frühstücken im Bett, das kann ja nicht so schwer sein. Normalerweise erlaube ich mir die Extravaganz eines Bettfrühstücks nur, wenn ich sehr krank oder sehr verliebt bin. An diesem freien Tag bin ich glücklicherweise keines von beidem. Das Regelwerk sieht vor, sich mit einem großen Kaffee und einer Schüssel voll Blaubeeren dekorativ in die Laken zu drapieren. Sobald ich mich mit meiner dampfenden Tasse in eine halbwegs aufrechte Sitzposition gebracht habe, überkommen mich Zweifel. Was, wenn ich wie schon so oft, alles verschütte? Ich müsste das ganze Bett abziehen, alles trocknen und am Abend in ein klammes Bett steigen. Nein, dieses Risiko ist mir zu hoch. Bettfrühstück hin oder her, ich bin vernünftig und sehr erwachsen und setze mich an den sicheren Küchentisch. Der Wellnessfaktor ist hier nicht ganz so hoch, aber wenigstens bin ich nicht mehr so nervös. Erholung ist irgendwie anstrengend, finde ich.
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Im Supermarkt sind unter der Woche vormittags nur seltsame Leute.

Weil ich leichte Haushaltstätigkeiten sehr entspannend empfinde, belade ich im Anschluss die Waschmaschine und schrubbe die Fugen in der Dusche mit Scheuermilch und der Zahnbürste meines Exfreundes. Das steht zwar so nicht bei Instagram, aber ein bisschen eigene Kreativität wird ja wohl erlaubt sein. Danach beschließe ich, gleich noch einkaufen zu gehen, denn bekanntermaßen haben besonders Bio-Supermärkte eine heilende Wirkung auf mich. Außerdem will ich heute ja noch den Punkt „mit Freunden Wein trinken“ abhaken und in meinem Kühlschrank ist leider nur noch Balsamico.
Im Supermarkt sind unter der Woche vormittags nur seltsame Leute. Solche, die keine Arbeit haben, solche die nicht mehr arbeiten müssen und solche wie ich, die aufgrund eines freien Tages aussehen wie erstgenannte und sich fühlen wie zweitgenannte. Ich wähle einen „Von den Billigen der Teuerste“-Rotwein mit einem Wildschwein auf der Flasche. Jemand, von dem ich leider vergessen habe, wer es war, hat mir die Regel beigebracht, dass Wein immer dann gut ist, wenn ein Säugetier auf dem Etikett abgebildet ist. Die Regel stimmt fast nie, aber es ist eine schöne Regel, deswegen halte ich mich gerne an sie. Beladen mit Schweinewein und Einkäufen kehre ich zurück nach Hause und möchte mich nun an den nächsten Tagespunkt machen: Gepflegte, leichte Lektüre.

Man liest den ganzen Tag irgendeinen Rotz im Internet und ist am Abend froh, wenn man keine Buchstaben mehr ertragen muss.

Bislang fühle ich mich relativ entspannt und ausgeglichen – eine besinnliche Lektürestunde ist mir da gerade recht. Dazu kommt man ja gar nicht mehr im Alltag, beziehungsweise: Man liest den ganzen Tag irgendeinen Rotz im Internet und ist am Abend froh, wenn man keine Buchstaben, Emojis und Suggestivfragen mehr ertragen muss.
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Weil mir seit frühester Kindheit die britische Königsfamilie am Herzen liegt – als Prinzessin Diana starb, war ich 8 Jahre alt und so fasziniert von ihrem perlmuttweißen Hochzeitskleid, dass ich ab da mehrere Jahre jeden auffindbaren Artikel über sie verschlang – beschließe ich, mich auf den neuesten Stand zu bringen. Leider erfahre ich auf der Seite eines britischen Klatschblattes die aufwühlende Nachricht, dass sich Prinz Charles und Camilla Parker-Bowles allem Anschein nach scheiden lassen werden. Was soll das denn? Als Royal lässt man sich nicht scheiden, man leidet still gemeinsam oder stirbt einen tragischen Tod.
Ich beende die Lesestunde vorzeitig aus Sicherheitsgründen und der Angst, über noch mehr weltbildzerstörende Nachrichten zu stolpern. Immerhin ist nun der richtige Zeitpunkt gekommen, um Yoga machen. Damit kann ich bestimmt mein „Zen“ wieder auszubalancieren oder wie das Zeug heißt.

Die Unmöglichkeit von Yoga

Die Beziehung zwischen Yoga und mir ist allerdings nicht ganz unkompliziert. Ich würde gerne regelmäßig Yoga machen und finde dieses ganze Klangschalenuniversum sehr einladend und toll. Aber ich kann leider keine Kurse besuchen. Ja, das liegt zu 90% an der tiefsitzenden Angst, im „Herabschauenden Hund“ aus Versehen laut zu pupsen. Dann müsste ich nämlich vor Scham die Stadt verlassen, was wiederum fürchterlich anstrengend und also das genaue Gegenteil von erholsam wäre. Stattdessen mache ich ein YouTube-Video an, das mich mit dem Titel „Easy Yoga for Beginners“ lockt und lege mich auf meine hellblaue Yogamatte. Die Vorturnerin ist sehr sympathisch und hat eine sanfte, süße Stimme, die mir sofort gefällt. Es folgt eine kleine Introsequenz mit Musik. Die Musik ist sehr schön und die Bilder dazu auch. Wirklich sehr schön. So schön, dass ich eventuell ein bisschen heule.
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Nach zwanzig Minuten ist das Video zu Ende, die liebe Vorturnerin bedankt sich und grüßt das göttliche Licht in mir. Ich liege seit zwanzig Minuten heulend in Embryonalstellung auf der Yogamatte und fühle alles. War das richtig so? Ich bin unsicher.

Motiviert rufe ich alle meine Freunde an, aber keiner der beiden hat Zeit.

Langsam dräut mir, dass dieser Entspannungstag wohl doch ein wenig aus dem Ruder geraten ist. Irgendwo zwischen Kaffeefleckenangst und royalem Ehe-Aus habe ich den roten Faden verloren und bin in eine emotionale Schieflage gekippt. Jetzt gilt es schnell handeln – zum Glück und passend zum Stichwort „roter Faden“ steht auch noch der Wein mit Freunden aus. Es ist früher Abend, ein guter Zeitpunkt, um arbeitende Menschen auf einen Wein einzuladen, finde ich. Motiviert rufe ich alle meine Freunde an, aber keiner der beiden hat Zeit. Sie müssen morgen früh raus oder heute Abend länger arbeiten. Natürlich, verstehe, kein Problem, dann bis bald, ciao. Trockenes Schlucken.
Zerknirscht und leise zeufzend öffne ich den Schweinewein allein und lasse mich mit meinem Glas ins Bett fallen. Jetzt wären mir selbst Rotweinflecken auf dem Laken egal. Schließlich tue ich, was jeder vernünftige Mensch tun würde und schaue ohne Pause 16 Folgen „Please Like Me“, eine Serie, in der ich mit einem Tagesablauf wie diesem hervorragend hineinpassen würde. Ich fühle mich plötzlich seltsam schwer und ausgelaugt. Außerdem vertrage ich Wein nicht so gut und bin jetzt nicht nur verwirrt und nicht ausreichend erholt, sondern sitze auch noch allein viel zu betrunken im bläulichen Bildschirmlicht meines Laptops und möchte Teil einer australischen Netflix-Serie sein. Wundervoll.
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Was ist das nur für ein seltsamer Tag geworden? Erholung sieht von außen so simpel aus, die Bilder und Rituale sind herrlich eindeutig und es wirkt bei den Schönen und Entspannten so federleicht, feinperlig und geschmeidig. Aber bis der Effekt nach innen wirkt, braucht es wohl sehr viel mehr Übung, als ich an einem Tag erreichen kann – oder sehr viel mehr Wein, als ich trinken kann. Naja, zum Glück muss ich morgen wieder arbeiten.

Zum Glück muss ich morgen wieder arbeiten.

Text: Ilona Hartmann

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