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Ich habe Angst, dass meine Asexualität meine Beziehung zerstört

Willkommen bei Can We Talk?, der Sex- und Beziehungskolumne, die deine brennendsten Fragen rund um Sex, DatingBeziehungen und Trennungen beantwortet, die du deinen Partner:innen ungern stellen möchtest – oder auch deinen Freund:innen. Diesmal hilft die Beziehungstherapeutin Moraya Seeger DeGeare einer Person, die sich Sorgen macht, ihre Asexualität könnte etwas mit ihren Ängsten beim Sex zu tun haben.
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Liebe Moraya,
ich bin jetzt seit fast einem Jahr mit meinem Partner zusammen und bin der Meinung, dass wir eine sehr gesunde Beziehung führen. Wir fühlen uns miteinander wohl, verbringen viel Zeit zusammen und sprechen ganz offen darüber, was innerhalb unserer Beziehung funktioniert und was nicht. Ich habe mich einem anderen Menschen noch nie so verbunden gefühlt, und er sagt mir auch immer wieder, wie glücklich er darüber sei, mir begegnet zu sein. Ich bin mehr als zufrieden mit unserer Beziehung und glaube, meinem Partner geht das auch so. Das einzige Problem, das wir haben, ist unsere Kommunikation über unser Sexleben.
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Ich glaube, dass ich mich auf dem Asexualitätsspektrum befinde. Ich habe mich nie groß sexuell zu jemandem hingezogen gefühlt und Sex war in meinem Leben bisher auch nie eine Priorität. Ich bin absolut zufrieden damit, es nicht allzu oft zu tun. Ich habe meinen Partner schon oral verwöhnt, ihn gefingert und auch mit einem Vibrator nachgeholfen, aber wir haben es bisher nie geschafft, den Umschnalldildo auszuprobieren, den wir vor Monaten gekauft haben. Mein Partner und ich sind beide FtM trans (female to male, also „weiblich zu männlich“), und von uns habe ich die größten Schwierigkeiten mit meinem Körper und meinem Intimbereich. Ich fühle mich nicht wohl damit und mache daher meist einen weiten Bogen darum. Typischerweise beschränke ich mich auf ganz schlichte Selbstbefriedigung; deswegen habe ich aber fast gar keine Erfahrungen mit Sex mit Partner:innen. Ich gebe mir Mühe, mich da allein ranzuwagen, um zu sehen, ob es auch uns beiden helfen könnte – aber mein Fortschritt ist sehr, sehr langsam, und ich glaube, dass mein Partner inzwischen denkt, ich würde es nicht genug versuchen.
Weil ich meine eigene Anatomie kaum kenne, ist es für mich sehr schwer, auch seine zu verstehen und zu wissen, was sich für ihn gut und schlecht anfühlt. Das hat leider schon zu peinlichen Situationen geführt. Mein Partner ist nicht wie ich; er fühlt sich ein bisschen unwohl in seinem Körper, aber nicht ansatzweise so unwohl wie ich. Ich habe schon ganz offen mit ihm darüber gesprochen, dass ich glaube, asexuell zu sein und deswegen nie den Sex einzuleiten – es kommt mir einfach nie in den Sinn. Ich habe ihm auch klargemacht, was ich für ihn empfinde, dass ich ihn liebe und dass ich absolut mit ihm Sex haben würde, wenn er es für wichtig hält oder auch einfach nur Lust darauf hat. Meine mangelnde Erfahrung macht mich extrem nervös, weil ich nie wirklich etwas Sexuelles erlebt habe – geschweige denn mit einer anderen Person. Ich habe Angst, dass eine sexuelle Situation zwischen und zu peinlich werden oder ich meinem Partner damit wehtun könnte, dass ich nicht weiß, was ich tue – vor allem, wenn wir sowas benutzen wie Strap-on-Dildos, die ihm echten Schaden zufügen könnten. Ich will ja Sex mit ihm haben, weil es uns beiden Spaß macht und ich es mit ihm auch nie wirklich bereut habe – aber meine fehlende Erfahrung und meine Gefühle rund um Sex machen mich einfach so nervös, dass ich Angst davor habe, ihm körperlich wehzutun oder beim Sex gleichgültig zu wirken.
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Ich weiß, dass (fehlender) Sex für uns beide kein K.O.-Kriterium ist. Ich will ihn aber glücklich machen und ihm zeigen, dass ich mir für ihn Mühe geben würde. Das Thema war für mich in unserer Beziehung immer ein Problem, und ich will besser darin werden, damit wir beide beim Sex eine schöne Zeit haben. Wie überwinde ich meine Angst rund um den Sex? Hast du irgendwelche Tipps für mich, die mir dabei helfen könnten, mich in meinem trans Körper wohler zu fühlen? Und wie kann ich es langsam angehen, ohne dabei Dinge zu tun, zu denen ich mich noch nicht traue, und ihn trotzdem dabei befriedigen?
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Moraya Seeger DeGeare: Dich in deinem Körper wirklich sicher und wohl zu fühlen, wird dich dein ganzes Leben lang beschäftigen. Das geht den meisten Menschen so, weil wir mit jedem neuen Kapitel unseres Lebens aufs Neue lernen müssen, wer wir eigentlich sind. Du und dein Partner habt während eurer Transition bereits weitere Kapitel dieser Suche nach Sicherheit im eigenen Körper bewältigt und ein tieferes Verständnis für euer Gender und eure sexuelle Identität entwickelt. Du klingst wie ein unheimlich liebevoller Partner: Du willst sichergehen, dass dein Freund weiß, dass du dich bemühst – darum, dass er glücklich und erfüllt ist, dass dein Fortschritt sichtbar ist, dass du Sex zu einem größeren Teil in deiner Beziehung machen willst.
Ich frage mich, ob die Wurzel deiner Angst nicht mit deiner asexuellen Identität zusammenhängt. Wenn du angetörnt bist und die Energie spürst, die durch deinen Körper strömt, löst dann schon allein dieses Gefühl eine Unruhe in dir aus? Verbindest du dieses Gefühl mit einer männlicheren oder weiblicheren Seite von dir? Es kann ein Trauma-Trigger sein – oder vielleicht hast du dabei den Eindruck, diesen Teil von dir selbst gar nicht zu kennen. Diese Facette von dir kennenzulernen – dieser sexuelle, manchmal auch romantische Teil deiner Persönlichkeit – kann furchteinflößend, die Mühe aber absolut wert sein. Ich frage mich auch, ob deine Angst vielleicht eher einem Druck entspringt, den du dir selbst machst, als Druck, den dein Partner direkt auf dich ausübt.
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Leider gibt es viele Orte dieser Welt, die dich, deinen Partner, eure Körper und eure Beziehung nicht akzeptieren. Da kann es sich schnell so anfühlen, als würdest du regelmäßig dafür attackiert, dass du einfach existierst. Dieses Trauma kann sich auch auf deine sex- und lustbezogenen Ängste auswirken – vor allem, wenn beim Sex auch noch Probleme wie Gender-Dysphorie eine Rolle spielen, wegen der du beim Sex vielleicht geistig „auscheckst“.
Dein Ziel sollte nicht sein, deinem Partner deinen Fortschritt zu beweisen, sondern erstmal dich selbst und deinen Körper zu lieben. Asexualität ist ein Spektrum; manche Menschen empfinden gar keine Lust auf Sex, während andere ab und an doch an Sex, Masturbation oder Orgasmen interessiert sind. So, wie du über deine Sexualität sprichst, frage ich mich, welche Aspekte deiner persönlichen Beziehung zu Sex und Lust mit einer asexuellen Identität zusammenhängen, und welche sich auf dein Unwohlsein in deinem Körper zurückführen lassen. Obwohl sich das so anhört, als sei beides dasselbe, glaube ich, dass es in Wahrheit zwei Teilbereiche sein könnten, die hier miteinander vermischt werden.
Manchmal ist das Heißeste, was unsere Partner:innen tun können, Selbstliebe. Denk mal drüber nach: Dein Partner liebt dich – wenn du dich selbst liebst, liebst du damit auch etwas, das er zutiefst liebt. Wir leben zu einer Zeit, zu der auf TikTok mit therapeutischen Begriffen wie „toxisch“ und „narzisstisch“ um sich geworfen wird, obwohl die meisten unserer Beziehungen in Wahrheit vor allem von ein bisschen Selbstliebe profitieren würden, und davon, wenn wir unsere Partner:innen ein bisschen tiefer in uns hineinschauen ließen. Über diesen Aspekt der Intimität wird viel zu selten gesprochen: Es geht nicht nur darum, unseren Partner:innen das Chaos in uns zu zeigen, sondern auch die Heilung alter Wunden.
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Weil ich natürlich nur Teile deiner persönlichen Geschichte kenne, möchte ich dich dazu ermutigen, in einer Einzeltherapie darüber zu sprechen. Es würde dir unheimlich guttun, mit einem Therapeuten bzw. einer Therapeutin zusammenzuarbeiten, der oder die deine persönliche Geschichte kennt und dich unterstützt, während du den Umgang mit deinem Gender, deiner Sexualität und deinen Ängsten zu bewältigen lernst. Es kann sich auch lohnen, über solche Themen mit Therapeut:innen zu sprechen, die sich mit Sexualität und den Herausforderungen auskennen, mit denen viele trans Menschen zu kämpfen haben.
Aber lass uns mal über deine Ängste und Nervosität sprechen, die der belastendste Teil deines Sexlebens zu sein scheinen. Könnte es sein, dass du dir Sorgen machst, deine Bedürfnisse und Verlangen seien nicht „okay“ oder „normal“, oder dass du deinen Partner dadurch abtörnen könntest, wenn du beim Sex einfach mal ausprobierst, worauf du Lust hast? Manchmal fühlen wir uns am einsamsten und am stärksten von unserem Umfeld distanziert, wenn wir ganz strikte Grenzen um uns herum gezogen haben – aus Angst davor, verlassen zu werden, oder vor anderen negativen Konsequenzen. Wenn wir dann aber die Menschen finden, bei denen wir uns wirklich sicher fühlen – und selbst, wenn es nur eine oder zwei Personen sind –, kann es ein unfassbar befreiendes, heilendes Gefühl sein, diese Grenzen niederzureißen und andere an dich heranzulassen. Selbst wenn du sagst, dass du es beim Masturbieren eher schlicht magst, kannst du deinen Körper natürlich auch ohne Sexspielzeuge erkunden – oder offen darüber sprechen, dass du es nicht magst, bei der Selbstbefriedigung etwas zu verwenden, das nicht zu deinem Körper gehört. All das ist völlig in Ordnung! Bloß, weil du etwas nicht magst, heißt das ja nicht, dass du beim Sex etwas „falsch“ machst – das ist einfach eine Geschmacksfrage.
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Angst kann die größte Hürde auf dem Weg der Neugier und Selbsterkundung sein. Angst kann sich in Form von Trauma, Nervosität, und manchmal auch in der Sorge vor Ablehnung oder Trennungen äußern. Diese Angst kann sich selbst in den sichersten und gesündesten Beziehungen zeigen. Obwohl sie sich dann manchmal deplatziert anfühlt – immerhin ist diese Person doch eigentlich dein sicherer Rückzugsort –, kann die Angst vor dem Verlust dieses Menschen, der dich völlig akzeptiert, dazu bringen, dass du deine tiefsten Bedürfnisse und Wünsche verbirgst. Als kleiner Anstoß für die Arbeit, die sich in einer Therapie fortsetzen ließe, versuch’s doch mit ein bisschen Neugier und stelle dir selbst die folgenden Fragen:
1. Werde dir deiner körperlichen Lust stärker bewusst, indem du fragst: Wohin wandern meine Gedanken, wenn ich mich selbst berühre oder befriedige? Scheine ich dabei meinen Körper geistig quasi zu verlassen? Spüre ich die Empfindungen überhaupt noch? Oder dissoziiere ich beim Sex komplett und bin ganz woanders? Stürze ich so schnell in die Lust, dass mich die Angst dabei überrumpelt? Bemerke ich, dass sich manche dieser sexuellen Energien eher maskulin oder eher feminin anfühlen, und fühle ich mich damit unwohl?
2. Hol dich aus möglichen Schamgefühlen zurück, indem du dich fragst: Worauf habe ich beim Sex Lust, was ich mit meinem Partner bisher nicht geteilt habe?
3. Kommuniziert eure Gedanken und Gefühle, indem ihr euch als Paar fragt: Welche Rolle spielt Sex langfristig in unserer Beziehung?
Beziehungsängste haben oft mit dem Unbekannten zu tun. Indem ihr Gespräche anstoßt und einander die Freiheit lasst, auch verschiedene Meinungen zu haben, erschafft ihr euch damit die Basis für eine feste, vertrauensvolle Beziehung. Das Beste, was du tun kannst, ist, deine Wünsche und Bedürfnisse zu teilen – aber auch die dunkleren Gedanken, die dir vielleicht durch den Kopf gehen. Erzähle deinem Partner, dass du Angst davor hast, er könnte bei fehlendem sichtbaren Fortschritt hinsichtlich deiner Lust auf Sex enttäuscht oder unzufrieden reagieren. Indem du diese Angst offen zugibst, hat er die Möglichkeit, dich zu trösten und zu beruhigen und dir zu erklären, was er wirklich denkt und ob das Thema für ihn überhaupt so wichtig ist, wie du glaubst. Vielleicht fühlt ihr euch einander danach sogar näher, weil er dann weiß, dass dich das alles so beschäftigt. Und selbst, wenn du mir geschrieben hast, weil du den Eindruck hast, deinen Partner zu oft darauf anzusprechen, signalisierst du ihm dadurch, dass das Thema tatsächlich Stoff für eine Paartherapie sein könnte.
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Wenn wir uns davor drücken, Dinge mit unseren Partner:innen zu besprechen, bauen wir dadurch nicht bloß eine Distanz zwischen uns auf – sondern verwehren uns selbst den tiefsten, schönsten Teil der Intimität: jemanden in dein Innenleben schauen zu lassen und gemeinsam zu wachsen. Bei diesen Gesprächen mit dir selbst und deinem Partner geht es nicht um einen Orgasmus oder darum, öfter Sex zu haben. Es geht um den schönsten Teil einer Beziehung: einen anderen Menschen wirklich zu kennen.
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Moraya Seeger DeGeare ist eine Ehe- und Familientherapeutin, die sich auf Intimität, LGBTQIA+-Paare, Beziehungen zwischen Personen verschiedener Kulturen und die Entwicklung einer ethnischen Identität spezialisiert hat. Die Ratschläge in dieser Kolumne sollen dir eine Richtung aufzeigen, die dich zur Heilung führen und dir ein Gefühl von Sicherheit in dieser Welt vermitteln kann. Sie ersetzen keine Beziehung zu einem Therapeutin oder einer Therapeutin, der oder die deine persönliche Geschichte kennt.  

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