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Nach 6 Jahren mache ich eine Therapie-Pause

In diesem Artikel erzählt Grace Victory unserer Redakteurin Sadhbh O'Sullivan ihre persönlichen Erfahrungen.
Die Traumabewältigung kann für Menschen, die nicht verstehen können, was man durchgemacht hat, völlig anders aussehen. Man könnte meinen, Therapie bedeute Medikamente und einen eindeutigen Moment, in dem man sich „besser“ fühlt. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach ist. Im Dezember 2020, als ich im siebten Monat mit meinem ersten Kind schwanger war, wurde ich mit Corona ins Krankenhaus eingeliefert. Nachdem ich mein Kind an Heiligabend per Notkaiserschnitt entbunden hatte, wurde ich in ein künstliches Koma versetzt und lernte mein erstes Kind drei Monate lang nicht kennen. Davon heile ich seither.
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Ich habe mit 27, also vor fast sechs Jahren, eine Therapie begonnen, um meine Erfahrungen mit sexuellen Traumata und Essstörungen zu verarbeiten. Das war lange vor meinem Koma, also war die Arbeit an mir selbst schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich habe als YouTuberin, Influencerin und Autorin viel darüber gesprochen, weil es mir so wichtig ist.
Jetzt habe ich beschlossen, eine Pause von meiner Therapie zu machen.
Es war nicht unbedingt eine bewusste Entscheidung, sondern hatte eher finanzielle Gründe – mein Therapeut war zu teuer für mich, und mit zwei Kindern muss ich Prioritäten setzen, um sie ernähren zu können. Also beschloss ich, zu versuchen, all das umzusetzen, was ich gelernt hatte: Es hilft, sich daran zu erinnern, dass jedes Gefühl seine Berechtigung hat; den Boden unter den Füßen zu spüren, ist ein schneller und einfacher Weg, sich zu erden; Trauma wohnt im Körper; Weinen ist ein Zeichen von Stärke. Ich dachte, ich würde wirklich getriggert werden und müsste mich sehr anstrengen, aber eigentlich geht es mir ganz gut. Was ich in meinen Sitzungen gelernt habe, hat mich im Kern verändert. Mir war gar nicht bewusst, wie tiefgreifend diese Veränderungen waren, bis ich die Therapie beendete und mir die Zeit nahm, zu reflektieren und zu sehen, wie weit ich gekommen bin.
Aufgrund meiner Erfahrungen mit einer schweren Krankheit, dem Aufenthalt auf der Intensivstation und der Trennung von meinem Kind wurde bei mir eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert (eine Angststörung, die durch sehr stressige, beängstigende oder belastende Ereignisse verursacht wird). Dazu kommen Trauer, Verleugnung, Akzeptanz und Scham. Mütter geben sich im Allgemeinen die Schuld an jeder Kleinigkeit, die bei ihrem Kind, bei der Geburt oder während der Schwangerschaft schiefgehen könnte, und oft dauert es sehr lange, bis sie sich selbst vergeben und akzeptieren können. Es gibt Dinge, die man einfach nicht begreifen kann, weil sie so unfassbar sind, und das ist okay.
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Aber ein Trauma ist nicht nur psychologisch: Auch mein Körper ging durch die Hölle und zurück. Ich hatte ein Gerinnsel in der Lunge, war gelähmt, konnte nicht sprechen, nicht essen und nicht gehen. Die körperliche Genesung davon war lang und hart. Ich glaube, vieles von dem, was ich jetzt fühle, sind Überbleibsel eines Traumas, das in meinem Körper gespeichert ist – und zwar nicht nur aus den letzten paar Jahren. Ich habe einige Probleme mit meiner Hüfte nach der Geburt, die durch ein MRT und Osteopathie untersucht wurden, aber ich arbeite jetzt auch in meiner Freizeit an der somatischen Traumabewältigung (eine alternative Therapie, die darauf abzielt, Traumata durch die Verbindung von Geist und Körper zu behandeln). Es ist ja schön und gut, viele Therapien zu machen, aber es gibt auch viel körperliche Arbeit, die man leisten muss.
Oft unterdrücken wir unsere Gefühle, weil wir Angst davor haben, wie sie sich anfühlen. Es ist uns peinlich, wir sind voller Scham und wir haben Angst vor dieser Dunkelheit. Nach meinem COVID-Koma und der Intensivstation und diesem speziellen Trauma, nicht für mein Kind da zu sein, war ich völlig durcheinander. Ich weinte nicht einfach nur und lebte meinen Tag weiter. Ich stand monatelang völlig neben mir. Ich war eine Hülle, erkannte nicht, wer ich war, und konnte mir nicht eingestehen, was ich eigentlich durchgemacht hatte.
Ich habe so viele traumatische Erfahrungen gemacht, dass ich meinen Körper oft „verlassen“ habe, weil er sich nicht wie ein sicherer Ort anfühlte. Als ich im Koma lag, hatte ich diese intensiven, verrückten Koma-Träume, in denen ich die Situation verließ, in der ich mich befand. Die sexuellen Übergriffe, die ich erlebt habe, haben mich dazu gebracht, meinen Körper zu verlassen. Ebenso wie die Essstörungen. Heute weiß ich, dass es heilsam ist, sich die eigenen Gefühle voll und ganz einzugestehen und einen Ort zu erreichen, an dem man sich geerdet fühlt.
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Heilung sieht für jede:n anders aus. Es gibt eine Menge Selbsthilfe-Jargon auf Instagram und unzählige Selbsthilfe-Bücher, und es ist wirklich einfach, sie zu lesen, ein Zitat in deinen Storys zu posten oder sogar nur über bestimmte Dinge zu sprechen. Aber die wirkliche Arbeit besteht darin, die Arbeit zu tun: dich mit dir selbst und deinen tiefsten, dunkelsten Schatten auseinanderzusetzen; zu lernen, die Dinge zu lieben, die du an dir selbst nicht magst; an deinem Selbstbewusstsein zu arbeiten. Wir leben in einer Generation, in der viel über psychische Gesundheit und psychisches Wohlbefinden geredet wird, und wir brauchen mehr Beispiele dafür, wie diese Arbeit tatsächlich aussieht. Es ist wirklich chaotisch, es ist wirklich schwer und es kann ziemlich verwirrend sein. Ich höre oft, dass Leute sechs Monate lang in Therapie waren und sich unglaublich gut fühlten, und ich sage dann, naja, ich war sechs Jahre lang in Therapie, was auch ganz normal ist. Ich hoffe, dass die Leute meinen Weg sehen können – und die Tatsache, dass ich schon so lange dabei bin. Es gibt immer wieder Wendungen, und je mehr man an sich arbeitet, desto arbeitet man am eigenen Heilungsprozess.
Heilung ist auch Freude. Wir sprechen viel über Trauma, insbesondere über das Trauma Schwarzer Menschen und People of Color – lasst uns auch über ihre Freude sprechen. Ich versuche, ein wenig Freude in mein tägliches Leben und meine Arbeit mitzunehmen. Meine Social-Media-Accounts bringen mir Freude, und das gilt auch für die ganz kleinen, alltäglichen Momente in meinem Leben und die großen Dinge. Ich versuche, dafür dankbar zu sein. Egal, was ich gerade durchmache, ich versuche mich stets daran zu erinnern, dass es immer Freude gibt, die mich erwartet. Und es ist auch ratsam, ab und zu einen Schritt zurückzutreten und den eigenen Weg zu betrachten. Ich glaube, als Frauen sind wir sehr kritisch mit uns selbst und unseren Erfolgen, unserer Freude. Im Jahr 2023 bin ich in meine „Ich-feiere-mich-selbst-Ära“ eingetreten, und das bringt mir so viel Freude für meinen weiteren Heilungsprozess.
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Wenn du selbst an einer Angststörung oder Depression leidest oder aber eine Person kennst, die Hilfe brauchen könnte, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.
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