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Mama hat gesagt, ich wäre nicht “normal“: Spätfolgen des Vagina-Shamings in der Kindheit

Foto: Daantje Bons
Im Englischen gibt es einen Satz, den viele Kinder sehr häufig hören. Er lautet: „Sticks and stones may break my bones, but words will never hurt me“ – was grob übersetzt bedeutet, Stöcke und Steine können dich verletzen, Wörter dagegen nicht. Aber das ist natürlich eine Lüge. Jeder Mensch, der schon mal gemobbt wurde wird dir bestätigen, dass es die unüberlegten “harmlosen“ Kommentare und herablassenden Beleidigungen sind, die uns auf ewig verfolgen. Besonders schädlich und nachhaltig können die Kommentare sein, die über unseren Körper gemacht werden – ganz gleich, ob sie nun eigentlich gutgemeint waren oder absichtlich verletzend. Eine nebenbei gemachte Bemerkung über das Gewicht könnte beispielsweise zu einer lebenslangen Unsicherheit oder sogar zu einer psychischen Krankheit führen.
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Die Auswirkungen leichtsinniger Äußerungen über den Intimbereich einer Frau kann ähnliche Narben hinterlassen und verschiedene Bereiche ihres Lebens beeinflussen – wie ihr Selbstbewusstsein, ihre Beziehungen und ihr Sexualleben, wie eine 2019 von Refinery29 durchgeführte Studie zeigt, bei der wir 3670 Frauen zu ihren Vaginas befragten. Wir haben die Teilnehmerinnen gefragt, ob sie glücklich mit ihren Vaginas sind und ob sie sie als “normal“ bezeichnen würden (wobei allein das Wort “normal“ natürlich schon schwierig ist). Die Antworten waren entmutigend. 36 Prozent gaben an, nicht happy zu sein und 32 Prozent sagten, ihnen wurde das Gefühl vermittelt, ihre Vagina wäre nicht normal. Auf die Frage warum sie das glaubten, antworteten 63 Frauen (5 Prozent der Befragten), man hätte sie bloßgestellt oder sich über sie lustig gemacht als sie noch jünger waren. Die verletzenden Worte kamen aus den Mündern von Teenie-Jungen, aber auch von ihren Müttern und Freund*innen. Vagina-Shaming scheint also bereits im Kindesalter ein Thema zu sein.
Tatsächlich fanden wir heraus, dass einige der härtesten, krassesten Kommentare von den Müttern der befragten Frauen stammten. „Ich habe größere Schamlippen, die meine Mutter als „beef curtains“ (Fleischgardinen) bezeichnete als ich jünger war. Seitdem bin ich sehr unsicher. Ich hasse es, wenn der Kopf meines Verlobten nach unten wandert, es sei denn es ist dunkel im Zimmer“, erzählte uns eine Teilnehmerin der Umfrage. „Als wir noch Teenager waren hat meine Mutter mir und meiner Schwester gesagt, wir wären nicht ‘normal‘“, berichtete eine andere Befragte. „Sie brachte uns zu einer Gynäkologin, die bestätigte, dass alles in Ordnung mit uns ist. Trotzdem hat das für dauerhafte Komplexe gesorgt.“ Eine dritte Frau erzählte uns, ihre Mutter, Pornos und die Medien hatten dazu beigetragen, dass sie sich schlecht wegen ihrer großen inneren Schamlippen fühlte.
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Andere Studienteilnehmerinnen offenbarten, ihre Unsicherheiten würden von den Kommentaren ihrer Schulfreund*innen herrühren. Eine Frau berichtete von einem Vorfall in der Schule: „Ein paar Mädchen taten sich zusammen und fragten mich, was da in meiner Hose war. Ich war 11 und sie fragten, ob ich dehnbar oder verkrustet wäre“.
Laut der Psychotherapeutin Beverley Hills ist es keine Seltenheit, dass sich Menschen in ihrer Kindheit negative Kommentare zu ihren Geschlechtsteilen anhören müssten. „Verspottet zu werden oder gesagt zu bekommen, “das da unten“ wäre schmutzig oder unnormal kann zu großen Unsicherheiten bei Kindern führen. Sie schämen sich dann oder sind verwirrt oder ratlos“, erklärt Hills. „Kinder glauben alles, was ihnen Erwachsene erzählen, das müssen sie, um zu überleben. Und der Schaden der dadurch unterbewusst angerichtet wird, kann uns ein ganzes Leben lang begleiten, wenn wir unsere Gefühle nicht aufarbeiten.“ Die Expertin glaubt, die meisten Eltern haben den gleichen Erziehungsstil wie ihre Eltern: „Wir tendieren dazu, die gleichen Fehler zu machen, es sei denn wir sind reflektiert genug, unsere Verhaltensmuster zu erkennen und verändern zu wollen“. Und für Letzteres braucht es oft eine professionelle Beratung oder sogar eine Therapie.
Die Langzeitwirkung auf Frauen, die schlechte Erfahrungen in der Kindheit und Jugend gemacht haben kann laut Hills unter anderem ein unbefriedigendes Sexualleben sein, welches Aufgrund von Ängsten oder Zurückweisungen entsteht. „Manche Frauen haben zum Beispiel Angst davor, mit jemandem intim zu werden, wenn das Licht an ist. Sie befürchten, ihr*e Partner*in könnte angewidert sein, wenn sie ihm oder ihr ihre Genitalien zeigen.“
Und es geht sogar noch weiter: Das Ganze kann sich nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf den Körper auswirken. Laut Janice Hiller, einer klinischen Psychologin, können die Ängste den Blutstrom in den Beckenbereich negativ beeinträchtigen und wenn die betroffene Frau dann Sex haben will, ist sie vielleicht nicht richtig erregt. Das kann dann wiederum zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr führen – oder sogar dazu, dass eine Penetration gar nicht erst möglich ist.
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Frauen, die Vagina-Shaming erfahren haben, machen sich aber oft nicht nur Gedanken um das Thema Sex, sondern beispielsweise auch ums Schwimmen und andere Sportarten, sagt die Gynäkologin Dr. Leila Frodsham. Manche fühlen sich unwohl, wenn sie bestimmten Freizeitaktivitäten nachgehen, andere vermeiden sie sogar komplett und verlieren damit vielleicht ein Stück Lebensfreude. Noch beunruhigender ist es, wenn Frauen sich aufgrund früherer Erfahrungen nicht trauen, Vorsorgeuntersuchungen beim Gynäkologen oder einer Gynäkologin durchführen zu lassen. Schließlich werden diese Tests ja gemacht, um Erkrankungen ausschließen oder wenigstens so früh wie möglich erkennen zu können. Und in manchen Fällen führen die Kommentare aus Kindertagen dazu, dass Frauen im Erwachsenenalter Schönheitsoperationen durchführen lassen.
„Es gibt sogar Mütter, die mit ihrer Teenie-Tochter zu mir kommen und nach einer Schamlippenkorrektur für sie fragen, weil sie denken, ihre Tochter würde nicht “normal“ aussehen“, sagt Dr. Frodsham. „Das kommt oft in Familien vor, in denen die Mädchen schon sehr zeitig sich die Schamhaare entfernen. Oft deutet es darauf hin, dass die Mutter mit ihrem eigenen Genitalbereich nicht zufrieden ist und das auf ihre Tochter projiziert.“ Aber auch die Pornoindustrie hat laut Dr. Frodsham einen großen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung der Frauen.
Wenn du eine der vielen Frauen mit tief verwurzelten Unsicherheiten über ihre Vagina bist, solltest du laut Dr. Frodsham und Beverley Hills als erstes verschiedene natürliche Vaginas anschauen. „Jamie McCartneys Great Wall of Vagina kann beispielsweise sehr hilfreich sein“, rät Dr. Frodsham. Eine weitere tolle Website ist die Labia Library. Ansonsten kann auch eine Beratung hilfreich sein.
„Wenn dich deine Erfahrungen aus der Kindheit davon abhalten, eine Beziehung zu führen oder Sex zu haben, wenn deine Seele eine Wunde hat, die einfach nicht verheilen will und selbst, wenn du vom Kopf her weißt, dass du okay so bist, wie du bist, kann professionelle Hilfe von einer Therapeutin oder einem Therapeuten eine gute Idee sein“, empfiehlt die Psychotherapeutin und Psychologin Leonor de Escoriaza. Sie sagt, sie hat bereits Fälle von Bulimie, Depression, Anorexie und suizidalen Gedanken erlebt – und alle entstanden aufgrund von Bodyshaming.

Was die Eltern angeht: Es sollte eigentlich logischsein, aber die Psycholog*innen und Therapeut*innen, mit denen wir gesprochenhaben, empfehlen, abwertende Bemerkungen zu vermeiden. „Eltern sollten immerpositive, liebevolle Kommentare über die Körper ihrer Kinder machen“, sagtHiller. „Es gibt keinen Grund dafür, abfällig oder abwertend zu werden. Undwenn sie wirklich denken, etwas könne mit ihrem Kind nicht stimmen, dannsollten sie mit ihm zum Arzt oder zur Ärztin gehen und das checken lassen –aber ohne darauf ein großes Drama zu machen.“

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