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Fandemonium

Was bei besessener Fan-Liebe im Gehirn passiert

Wenn du dein größtes Idol schon mal im echten Leben getroffen hast, weißt du vermutlich, dass diese Begegnung ein ganz komisches Gefühl auslösen kann – eine sofortige körperliche und emotionale Reaktion. Manche Fans schreien, zittern, schluchzen, fallen in Ohnmacht oder erleben sogar ein richtiges Blackout vor lauter Aufregung, wenn sie ihrem liebsten Promi gegenüberstehen – oder diese Person auch bloß Hunderte Meter entfernt bei einem Konzert auf einer Bühne steht.
In der Vergangenheit wurde diese Reaktion (wie ohnehin ein großer Teil der Fan-Kultur) als „Hysterie“ oder sogar „Manie“ abgestempelt. Abgesehen davon, dass das offensichtlich sexistisch ist, erwähnt dabei kaum jemand, dass diese Reaktionen auch für den jeweiligen Fan genauso überraschend sein können wie für das Umfeld.
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Das ging auch einer meiner Freundinnen letztes Jahr so. Sie war in London zum Konzert von HAIM, als Taylor Swift plötzlich auf die Bühne kam, um ein paar Songs zu singen. Das Nächste, woran sich meine Freundin erinnern kann, ist, dass sie ihrem Partner ins Gesicht schrie, mehrere Minuten, nachdem Taylor schon wieder verschwunden war. Eine andere Freundin, die auf demselben Konzert war, hat mir erzählt, dass sie noch mehrere Minuten nach der Short schockiert und tränenüberströmt dastand. 
Solche Reaktionen lassen sich nicht ausschließlich nach Überraschungsauftritten beobachten. Manche der Glücklichen, die Beyoncé auf ihrer Renaissance-Tour sahen, beschreiben das Ganze als so überwältigend, dass sie das Gefühl hatten, die Zeit sei stehen geblieben, als Beyoncé die Bühne betrat. Im britischen Guardian wurden einige von ihnen zitiert: „Ich hätte nie gedacht, dass sie mich zum Weinen bringen würde“, und: „Die Leute waren quasi wie gelähmt. Ich brauchte danach erstmal 24 Stunden, um alles zu verarbeiten.“
Die Intensität dieser Reaktion wirft die Frage auf, was eigentlich psychologisch in uns vorgeht, wenn wir als Fans in solchen Situationen komplett die Nerven verlieren. Die Antwort hat etwas mit den speziellen Hormonen zu tun, die dabei in uns ausgeschüttet werden.

Was passiert, wenn das Gehirn Dopamin und Serotonin ausschüttet?

Wenn wir etwas Freudiges erleben – wie das Konzert eines geliebten Sängers, oder ein Treffen mit einer Schauspielerin, die wir bewundern –, werden in unserem Körper zwei Neurotransmitter ausgeschüttet: Dopamin und Serotonin. Dein Gehirn bekommt das Signal, diese Stoffe in dein zentrales Nervensystem einfließen zu lassen, wodurch wiederum diverse Körperreaktionen ausgelöst werden, wie das Erweitern der Pupillen, schnelleres Atmen und Veränderungen der Aktivität in den sympathischen, parasympathischen und enterischen Komponenten des Viszeralnervensystems, die die glatten Muskeln und Herzmuskeln sowie diverse Drüsen steuern. Das wiederum kann zu Schwindel, weit aufgerissenen Augen und einem Appetitverlust führen.
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Es gibt keine standardisierte körperliche Reaktion auf solche Situationen – vor allem, wenn ein Gefühl besonders stark empfunden wird. Eine Person hüpft vielleicht vor Aufregung auf und ab, während eine andere in Tränen ausbricht und wieder eine andere so laut schreit, wie sie kann. Vieles davon hängt von der Persönlichkeit ab, aber es spielen auch psychologische Faktoren eine Rolle.
Die Psychologin Dr. Lynn Zubernis erklärt, der erste und vermutlich offensichtlichste dieser Faktoren bei einer solchen Fan-Reaktion ist die sogenannte Parasozialität: eine einseitige oder unerwiderte Beziehung zwischen Fan und Promi, die sich oft sehr intensiv anfühlt.

Was ist eine parasoziale Beziehung?

Parasoziale Beziehungen, erklärt Lynn, „basieren auf der Bindungstheorie, dem evolutionären Phänomen, aufgrund dessen wir uns bekannten Gesichtern instinktiv nah fühlen und eine Zuneigung für sie entwickeln“. In anderen Worten: Wenn du ein Fan von jemandem bist und diese Person jeden Tag siehst – selbst über Social Media –, kann dein Gehirn die vertrauten Gesichter auf einem Bildschirm und im echten Leben nicht mehr auseinanderhalten. Wie Lynn erklärt: „Wir sind so gebaut, dass wir uns diesen Menschen so oder so verbunden fühlen.“
Sobald diese Bindung erstmal besteht, sehnen wir uns nach körperlicher Nähe: Es fühlt sich dann für uns sehr gut sein, dem Bindungsobjekt möglichst nah zu sein. In einer Menschenmenge werden diese Gefühle zusätzlich versteckt, wie eine Art emotionale „Ansteckung“.
„Früher war das ein evolutionärer Vorteil“, erklärt Lynn. „Wenn du in einer Menschenmenge bist, dort jemand etwas Gefährliches sieht und ängstlich reagiert, ergibt es Sinn, dass sich dieses Gefühl schnell ausbreitet, unbewusst und instinktiv. Dann können alle vor der Bedrohung flüchten.“ Obwohl sich diese „Ansteckung“ oft auf negative Emotionen wie Panik und Wut bezieht, kann sie auch mit positiven Gefühlen wie Freude auftreten. Unbewusst ahmen wir unser emotionales Umfeld nach – und wenn du bei einem Konzert eine besondere Freude empfindest, wird das Gefühl von den Menschen um dich herum nur noch intensiviert.
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Ein Publikum bei einem Konzert verfügt aber über einen ganz eigenen sozialen Kontext, der diese überwältigenden Gefühle hervorbringen kann. In den meisten anderen gesellschaftlichen Szenarien hingegen wären diese Gefühlsausbrüche wohl unangebracht – selbst in 1-zu-1-Interaktionen mit genau diesem Star.
Bei einem Meet-and-Greet zum Beispiel kann es sein, dass du als Fan total von deiner eigenen Reaktion überrascht bist, dich aber doch an deine soziale „Verpflichtung“ hältst und diese extremen Gefühle unterdrückst – zumindest solange, bis du nicht mehr in der unmittelbaren Nähe dieses Stars bist. Lynn hat dieses Verhalten selbst schon zahlreiche Male beobachtet: Immer wieder begegnen Fans ihren Idolen und sind dabei ganz ruhig, nur um danach ohnmächtig zu werden oder zu weinen. „In diesem Moment wird emotional viel unterdrückt. Wenn du dann aber danach in einem sicheren Raum bist und vielleicht eine befreundete Person an deiner Seite hast, können diese unterdrückten Gefühle quasi überlaufen.“

Aber was passiert in der Fan-Kultur in einem Publikum?

In einer Menschenmenge ist das aber etwas ganz anderes. Diese geteilte Euphorie nennt sich „collective effervescence“, auf Deutsch so viel wie „kollektives Übersprudeln“, das ganz gut beschreibt, wie es ist, Teil einer großen Gruppe mit gemeinsamem Fokus zu sein. Alle um dich herum teilen deine Leidenschaft und Begeisterung – also „darfst“ du hüpfen, kreischen und weinen.
Dieses Phänomen beschränkt sich auf Menschenmengen und spiegelt sich nicht im digitalen Raum wider. Trotzdem beeinflussen Social Media die Intensität der emotionalen Reaktionen von Fans. Michael Bond, Autor von Fans: A Journey Into The Psychology Of Belonging, erklärt: „Die sozialen Medien haben uns offensichtlich den Zugang zu unseren Stars erleichtert – oder ermöglichen uns zumindest Einblicke in ihr alltägliches Leben. Und natürlich nutzen viele Promis das auch aus, indem sie banales Zeug aus ihrem Alltag posten, nicht nur Berufliches. Das gibt Fans das Gefühl, etwas über das Leben dieser Menschen zu wissen, und das stärkt die parasoziale Bindung.“ Natürlich ist diese Form von Beziehung kein Ersatz für eine echte Bindung, doch kann sie die emotionale Reaktion in einer Menschenmenge verstärken.
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Von außen betrachtet mag dieses Verhalten bizarr und besessen wirken. Trotzdem ist es (größtenteils) ein normaler Bestandteil des menschlichen Verhaltens. Dazu müssen wir einfach den Kontext dessen bedenken, was dieser Star einem Fan bedeutet – denn meist ist diese berühmte Person für ihre Fans nicht „nur“ ein:e Künstler:in, sondern auch ein Vorbild.
Wie Michael erklärt: „Wenn du jemanden siehst, der oder die für dich ein Vorbild ist und deinem Leben viel gegeben hast, kann das alle möglichen Begeisterungsgefühle und unerwarteten Reaktionen auslösen. Die Bedeutung, die diese Person für dich hat, zeigt sich dann ganz plötzlich und greifbar. Wenn du das Ganze aus diesem Blickwinkel betrachtest, ist die Reaktion dann gar nicht mehr so seltsam – sondern einfach Teil des realen Lebens.“ Soll heißen: Mit Hysterie hat das nichts zu tun, sondern damit, dass unsere Körper und Gehirne in dieser Situation plötzliche, überwältigende Glücksgefühle verarbeiten müssen. Und gibt es etwas Schöneres?
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