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Ich kann mir meine Freund:innen nicht mehr leisten

Foto: Alexandra Gavillet.
Als sich die 30-jährige Emily* in den Flieger setzte, um ihre Freundin aus Kindertagen zu besuchen, war das der Anfang vom Ende dieser Freundschaft. Emily hatte ohnehin schon Schwierigkeiten, sich ihren Alltag zu finanzieren, und hatte deswegen monatelang für diesen Trip sparen müssen. Demnach war sie ziemlich wütend, als sie dort feststellte, dass die beruflichen Verpflichtungen ihrer Freundin während Emilys Besuch viel mehr Zeit einnahmen, als Emily vorher gedacht hatte.
Das führte zu einem großen Streit, bei dem Emily klarstellte, dass sie dieser Besuch enorm viel gekostet hatte. „Weil ich für diesen Trip so viel sparen musste, wollte ich jeden Moment total auskosten und eine schöne Zeit mit ihr verbringen“, erzählt sie. „Meine Freundin verstand aber nicht, wie viel ich finanziell geopfert hatte, um sie besuchen zu können.“
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Nach dem Streit war die Freundschaft zwischen den beiden laut Emily „nie wieder dieselbe“. Ihr Besuch hatte Emily vor Augen gehalten, wie sehr sich ihre finanzielle Situation von der ihrer Freundin unterschied. „Ich war mit ihr seit unserer Kindheit sehr eng befreundet“, sagt sie. „Aber jetzt, da wir Erwachsene sind und in verschiedenen Einkommensschichten leben, haben wir ganz andere Erwartungen aneinander. Sie ging davon aus, ich würde schon kein Problem damit haben, dass sie kaum Zeit für mich hatte.“
Weil die Inflation weiterhin grassiert und Kredite immer teurer werden, ist Emily nicht die Einzige, die aus Geldgründen bereits Freundschaften verloren hat. Soziale Events werden immer mehr zum Luxus. Auch die 23-jährige Gillian erzählt, die gestiegenen Kosten würden dafür sorgen, dass sie heute weniger Zeit mit Freund:innen verbringt, die sich gerne in teuren Bars und Restaurants treffen. „Ich mache manchmal Witze darüber, dass ich mich mit manchen Leuten nicht mehr treffen kann, weil ich bei diesen Verabredungen immer mehr ausgebe, als ich eigentlich wollte“, sagt sie.
Es ist demnach wenig überraschend, dass sich viele davon Betroffene daher am liebsten mit Leuten verabreden, deren Einkommen ungefähr ihrem eigenen entspricht, um nicht zu viel Geld auszugeben. „Es fällt mir leichter, mich finanziell zurückzuhalten, wenn ich mit Menschen zusammen bin, die ebenfalls sparsamer leben“, meint Gillian. Sie erzählt, das habe sich definitiv auch auf die Auswahl ihrer Mitbewohner:innen ausgewirkt. „Meine Mitbewohner:innen sind meine engsten Freund:innen. Wir haben ähnliche finanzielle Gewohnheiten und unternehmen fast alles zusammen.“

Es kann sich sehr einsam anfühlen, wenn es deinen Freund:innen finanziell gut geht und sie deine Probleme nicht erkennen oder verstehen.

Emily, 30
Auch die 30-jährige Sade hat bemerkt, dass sich in ihrem Freundeskreis vor allem diejenigen mit ähnlichen finanziellen Situationen miteinander treffen. Diese Beobachtung hat für einige schwierige Gespräche gesorgt. „Eine Freundin verdient nicht so viel wie ich und hat mir spaßeshalber erzählt, dass sie ihrer Mutter gesagt habe, sie wisse nicht, ob sie noch mit mir befreundet sein könne“, erinnert sich Sade. Sie empfand das aber nicht als Witz, sondern als ernsthafte Sorge ihrer Freundin. „Das hat mich total erschüttert, weil sie mir so nah steht wie eine Schwester.“
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Sade war sehr traurig darüber, dass sich ihre Freundin nicht wohl genug gefühlt hatte, um mit ihr über ihre verschiedenen Geldgewohnheiten zu sprechen. „Ich war irgendwie sprachlos“, sagt sie. „Es war mir peinlich, dass sie das Gefühl hatte, mich nicht drauf ansprechen zu können.“ Dabei ist diese Angst vor Gesprächen über Geld kein Einzelfall, selbst unter engen Freund:innen. Laut einer Umfrage der britischen Regierungsorganisation Money and Pensions Service fühlen sich 55 Prozent aller Befragten nicht wohl damit, offen über ihre Geldsorgen zu sprechen, obwohl 48 Prozent zugeben, sich regelmäßig den Kopf über die eigenen Finanzen zu zerbrechen. Scham wurde als Hauptgrund dafür angeführt, wieso sich so viele von ihnen vor diesen Gesprächen drücken.
Das Gefühl, selbst mit den engsten Freund:innen nicht über Geld sprechen zu können, kennt Emily nur zu gut. „Es kann sich sehr einsam anfühlen, wenn es deinen Freund:innen finanziell gut geht und sie deine Probleme nicht erkennen oder verstehen“, erzählt sie. „Es ist wirklich schwierig, ihnen klarzumachen, wie schlecht es läuft und wie sehr dich das einschränkt.“ Wie auch die Psychotherapeutin Anna Sergent erklärt, schämen sich viele Leute dafür, über Geld zu reden. „Wenn du zugibst, dass du dir ein bestimmtes Restaurant nicht leisten kannst, gibst du damit einen Mangel zu – und das tut weh“, sagt sie.
Anna zufolge kann das auch dazu führen, dass sich Leute innerhalb ihres eigenen Freundeskreises als „anders“ oder „nicht zugehörig“ empfinden. Der Wunsch, dazuzugehören, kann dann dafür sorgen, dass du mehr Geld ausgibst, als du solltest, um den Eindruck zu erwecken, es ginge dir finanziell genauso gut wie allen anderen. Eine Umfrage ergab, dass der Hauptgrund für diesen Druck zum übermäßigen Geldausgeben der sei, dass die Befragten verhindern wollten, ihre Freund:innen und Verwandten könnten glauben, sie seien finanziell nicht genauso gut gestellt wie sie.
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Wie auch Gillian verbringt Emily deswegen mehr Zeit mit Freund:innen, die ähnlich viel Geld zur freien Verfügung haben wie sie. Laut Ellie Austin-Williams, Autorin von Money Talks: A Lifestyle Guide for Financial Wellbeing, ist das nicht zwangsläufig etwas Schlechtes. Dennoch solltest du ihr zufolge nicht automatisch davon ausgehen, dass deine wohlhabenderen Freund:innen ihr Budget nicht gern an deines anpassen würden. „Wenn du ihnen nicht sagst, dass du nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung hast, können sie eher nicht wissen, dass dich das Geldausgeben so stresst. Gib ihnen die Chance, Pläne zu schmieden, die zu eurer aller Budget passen, indem du ihnen sagst, womit du dich finanziell wohl fühlst.“

Ich achte jetzt bewusst darauf, mich mit ihr an günstigeren Orten zu treffen, weil unsere Freundschaft wichtiger ist als die jeweilige Location. Unser Gehalt sollte nicht unsere Freundschaften bestimmen können.

Sade, 30
Seit ihr ihre Freundin von ihren Geldsorgen erzählt hat, überlegt sich auch Sade zweimal, ob sie sich mit ihr in Restaurants und Bars verabredet, die außerhalb des Budgets ihrer Freundin liegen könnten. „Wenn ich in einen ganz bestimmten Laden will, frage ich sie vermutlich erst gar nicht, ob sie mitkommen mag, weil ich nicht möchte, dass sie sich dabei unwohl fühlt, absagen zu müssen“, gesteht Sade.
Genau deswegen bemüht sie sich darum, sich mit dieser Freundin zu Treffen zu verabreden, die entweder sehr wenig oder gar nichts kosten. „Ich achte jetzt bewusst darauf, mich mit ihr an günstigeren Orten zu treffen, weil unsere Freundschaft wichtiger ist als die jeweilige Location. Unser Gehalt sollte nicht unsere Freundschaften bestimmen können“, meint sie und ergänzt, dass sich diese Erfahrung positiv auf ihre eigene Beziehung zum Geld ausgewirkt habe. „Es hat mich definitiv dazu gebracht, mehr über meine Finanzen nachzudenken.“
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Wie auch Ellie betont, kann es deinen Freundschaften guttun, auch mal gemeinsame Zeit zu verbringen, die euch überhaupt nichts kostet. „Es kann schnell passieren, dass ihr euch innerhalb eurer Freundschaft von Geld und anderen Lifestyle-Faktoren blenden lasst. Kehrt doch aber auch mal zu dem zurück, was euch verbindet und worauf eure Beziehung überhaupt aufbaut. Konzentriert euch darauf, eine tolle gemeinsame Zeit zu verbringen“, erklärt sie. „Und hab keine Angst davor, dir auch selbst einzugestehen, dass Freundschaften auch enden können. Löse dich von denen, die dir nicht mehr gut tun.“
Emilys eigene finanzielle Probleme brachten sie zu der Erkenntnis, welche Freund:innen wirklich für sie da sind – unabhängig von ihrer Geldsituation. „Eine Freundin fuhr eine Stunde zu mir, um mich einzusammeln und mit mir zum Strand zu fahren. Eine andere dachte sich einen Grund dafür aus, mich für Freelance-Arbeit zu buchen, die sie gar nicht wirklich brauchte“, sagt sie. „Manche Leute, die ich erst seit ein paar Jahre kenne, überraschten mich echt mit ihrer Großzügigkeit.“
Ellie zufolge ist dafür die richtige Kommunikation entscheidend. „Wenn du dir ein Budget gesetzt hast und es dir schwer fällt, dir die Treffen mit Freund:innen zu leisten, mach den ersten Schritt, anstatt auf die Vorschläge von anderen zu warten“, empfiehlt sie. „Denk dir ein paar Ideen dazu aus, was du mit ihnen unternehmen möchtest und kannst. Such dir dazu Optionen, die zu deinem Budget passen – wie ein Filmabend, ein gemeinsames Kochen oder ein Picknick im Park.“
Obwohl sich die gestiegenen Lebenshaltungskosten ganz unterschiedlich auf uns auswirken, kann uns die aktuelle Lage tatsächlich dabei helfen, unsere Gedanken und Gespräche rund um Geld zum Besseren zu verändern. Wie Ellie meint: „Vielen von uns fällt es schwer, ganz ehrlich mit dem Thema Geld umzugehen. Weil wir aber alle gerade mehr für Alltägliches bezahlen müssen, kann das ein wichtiger Gesprächsanstoß sein.“ Finanzielle Sorgen müssen nicht den Untergang deiner Beziehungen und Freundschaften bedeuten – sondern können sie sogar stärken. Denn mehr Ehrlichkeit kann uns nur guttun.
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*Name wurde von der Redaktion geändert.
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