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Ich bin asexuell & habe Angst, mich nie zu verlieben

Foto: Eylul Aslan.
Ich war letztens bei einer Ausstellung in einer Kunstgalerie, bei der Besucher:innen dazu aufgefordert wurden, ein Geständnis aufzuschreiben, das die Künstlerin dann an die Wand malte. Und als ich an der Reihe war, rutschte mir eine Wahrheit raus, die ich noch nie mit jemandem geteilt hatte.
„Ich habe Angst davor, mich nie zu verlieben, weil ich asexuell bin – und nie ein erfülltes Leben führen zu können“, schrieb ich.
In diesem kurzen Geständnis steckte so viel drin.
Aber lass mich dir erstmal ein bisschen mehr Kontext geben: Obwohl ich asexuell bin, bin ich absolut besessen von guten Liebesromanen – je schnulziger und erotischer, desto besser. Dabei habe ich quasi keine Ansprüche (abgesehen davon, dass ich mich weigere, jemals was von Colleen Hoover zu lesen). Nicht umsonst verbringe ich pro Monat rund 100 Stunden mit Hörbüchern auf Audible. 
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Meine Vorliebe für Romantik und romantische Geschichten scheint mein Umfeld aber ziemlich zu verwirren. Wann immer ich von meiner Lieblingsautorin Emily Henry schwärme, bekomme ich meistens erstmal irritierte Nachfragen. Ich glaube, dass vielen Leuten gar nicht bewusst ist, dass sich ein Mensch durchaus als asexuell identifizieren kann, ohne Romantik zu hassen.
Tatsächlich ist Romantik für mich persönlich aber ein fast so abstraktes Konzept wie Fantasy. Ich würde eher damit rechnen, von einem Werwolf gebissen zu werden, als damit, mich zu verlieben. Und ich hasse es, das zugeben zu müssen, aber das macht mich irgendwie traurig.

Als asexuelle alloromantische Person komme ich mir manchmal wie ein wandelnder Widerspruch vor.

An dieser Stelle will ich etwas ganz klar stellen: Ich liebe es, asexuell zu sein. Tatsächlich ist das eine meiner liebsten Eigenschaften. Ich führe ein tolles Leben voller Freude und (platonischer) Liebe. Trotzdem habe ich manchmal die Sorge, dass ich das Leben nie wirklich erleben kann, wenn ich mich nie verliebe.
Ich liebe die Liebe, seit ich denken kann. Ich weiß noch, wie ich laut loskreischte, als sich Gabriella und Troy in High School Musical zum ersten Mal küssten, und mit 11 Jahren hatte ich einen Fan-Account für Kurt und Blaine („Klaine“) aus Glee. Und New Girl schaute ich quasi nur für die Freundschaft-zu-Liebe-Story von Jess und Nick.
Ich selbst ordne mich irgendwo auf dem Asexualitäts-Spektrum ein. Ich weiß nicht genau, wo – denn ich finde, dass es mich einschränken würde, mich auf einen konkreten Begriff festzulegen, weil das Leben dafür zu lang ist und sich unsere Identität immer weiterentwickelt.
Seit meiner Erkenntnis, dass ich asexuell bin, sind viele Jahre vergangen, und seitdem ist die Sorge darüber, mich nie verlieben zu können, immer größer geworden. Als asexuelle alloromantische (also Romantik empfindende) Person komme ich mir manchmal wie ein wandelnder Widerspruch vor. Ich sehne mich nach einer eigenen Lovestory à la Nancy Meyers (oder Amy Sherman-Palladino) – und habe trotzdem eine biologische Abneigung gegenüber Sex.
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Manchmal mache ich mir Sorgen, dass mein Leben weniger Bedeutung oder Wert haben könnte, falls ich mich nie verlieben sollte.

Gleichzeitig frage ich mich, ob ich mir wirklich Liebe wünsche, oder ob ich es mir nur einrede, weil es die Gesellschaft von mir erwartet. Die Vorstellung, Liebe sei der Sinn des Lebens, ist in unserer Welt nämlich tief verankert. Bevor ich mich selbst als asexuell outete, wurde ich bei quasi jedem Treffen zu meinem Liebesleben befragt. Mein theoretisches Liebesleben schien dabei wichtiger zu sein als mein Studium, mein Job, meine Freundschaften oder Hobbys. Und selbst heute merke ich noch, dass das Liebesleben meiner Freund:innen in Gesprächen meist die oberste Priorität zu haben schein.
Mir ist klar, dass die Bedeutung, die wir romantischer Liebe und romantischen Beziehungen zumessen, oft mit Misogynie zusammenhängt. Wie schon Jo March in Little Women so treffend sagte: „Ich habe es so satt, dass Leute sagen, Liebe sei das Einzige, was Frauen können. Ich habe es so satt.“ Manchmal mache ich mir deswegen Sorgen, dass mein Leben weniger Bedeutung oder Wert haben könnte, falls ich mich nie verlieben sollte. Dass meine Erfahrungen und Meinungen nicht dasselbe Gewicht hätten wie die anderer Menschen, weil mir ein Teil meiner Entwicklung fehlt. Dabei weiß ich zwar auf rationaler Ebene, dass solche Gedanken wirklich albern sind – aber sag das mal meinem Grübelkopf.
Ich glaube, dass ich gern selbst mal Liebe erfahren würde (trotz der Tatsache, dass ich mich allein schon bei der Vorstellung, dass sich jemand körperlich zu mir hingezogen fühlen könnte, gern übergeben würde). Ich habe kein wirkliches Vorbild dafür, wie eine Beziehung ohne Fokus auf Sex funktionieren sollte. Obwohl es zwar inzwischen einige tolle Serien, Filme und Bücher dazu gibt, wie eine asexuelle Beziehung aussehen kann – wie Netflix’ Heartbreak High oder Alison Cochrans The Charm Offensive–, wünsche ich mir noch so viel mehr zu dem Thema. Ich will mehr über den Zusammenhang von Liebe und Anziehungskraft lernen und dieses Thema auch in den Medien widergespiegelt sehen.
Ich weiß nicht, ob ich mich jemals verlieben werde. Wenn ja, ist das toll – und wenn nicht, habe ich auch kein Problem damit, zum 100. Mal Better Than The Movieszu lesen. Die Liebe war nie der Fokus meines Lebens, und wird es wohl auch nie sein. Und trotzdem frage ich mich: Wie wäre es wohl, mich zu verlieben?

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