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Ich schämte mich für meine Körperfunktionen – bis ich eine Frau datete

Als ich 19 war, zog ich mit meinem Freund zusammen. Es war meine erste ernste Beziehung, und ich war mir meiner Körperfunktionen viel zu bewusst: Meine benutzten Periodenprodukte wickelte ich gründlich in Klopapier und versteckte sie in leeren Klopapierrollen, damit mein Freund auch ja keinen Tropfen Blut zu sehen bekam. Jeden Morgen rasierte ich jeden Quadratzentimeter meines Körpers und verbrachte eine Ewigkeit mit meinem Make-up, selbst am Wochenende. „Ich schminke mich einfach gerne“, erzählte ich allen anderen (inklusive mir selbst).
Vielleicht denkst du jetzt, das lag bestimmt an meinem Alter. Ich kam frisch aus der Schule, er war mein erster Freund, und ich war total unreif. Als diese Beziehung in die Brüche ging und ich, nach etwa einem Jahr, eine nächste begann, blieb der innere Druck aber bestehen, mich nur von meiner saubersten, hygienischsten, perfektesten Seite zu zeigen. Als ich auch mit diesem neuen Freund irgendwann zusammenzog, versteckte ich wieder sämtliche Beweise meiner Periode und sprach davon auch nur in Euphemismen – à la: „Sorry, es ist gerade wieder diese Woche“, gefolgt von einer schuldbewussten Grimasse. 
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Lange hielt ich das für völlig normal. Ich dachte, in einer Beziehung so intime Details zu teilen, sei quasi ein Zeichen dafür, dass ich mich „gehen ließ“. Ich konnte mir keine Welt vorstellen, in der du nicht versuchst, nur im Büro kacken zu gehen – oder während der Partner gerade schläft. Als ich einmal mit ihm und seinen Kumpels rumhing, erwähnte jemand den „Bierschiss“, und wir lachten alle. Mein Freund warf mir einen skeptischen Blick zu und meinte: „Du weißt doch nicht mal, was das heißen soll.“ Ich sagte ihm, dass ich das natürlich kannte. Er verzog das Gesicht. „Sag sowas nicht! Das ist ja eklig“, stöhnte er.
Eklig.
Ich war entsetzt. Immerhin sollten Frauen niemals eklig sein. Oder?

Männer brauchten nicht zu wissen, dass Frauen auch pupsen, bluten, rülpsen, kacken oder pinkeln. Selbst unser Niesen soll am besten möglichst leise und niedlich sein.

Während meiner Jugend waren Audrey Hepburn und Grace Kelly meine großen Idole – elegant, zierlich, der Inbegriff von Stil und Weiblichkeit. Von Männern hörte ich, eine Frau müsse unbedingt ein bisschen geheimnisvoll sein, um wirklich feminin zu wirken. Ich verstand, dass das in Wahrheit hieß, wir sollten unsere eher unangenehmen Seiten für uns behalten. Männer brauchten nicht zu wissen, dass Frauen auch pupsen, bluten, rülpsen, kacken oder pinkeln. Selbst unser Niesen soll am besten möglichst leise und niedlich sein. Als ich im Büro einmal nieste, drehte sich ein Kollege zu mir um und sagte: „Du hast ein echt lautes Niesen für ’ne Frau.“ Das war mir so unangenehm.
Und dann fing ich etwas mit einer Frau an. 
Wir waren das absolute WLW-Klischee (woman loving woman): Wir verliebten uns schnell und heftig ineinander und verbrachten schon nach kürzester Zeit rund 85 Prozent unserer Zeit zusammen. Meine heterosexuellen Freundinnen meinen immer zu mir, es sei bestimmt so viel leichter, eine Frau zu daten. In Wahrheit ist es nicht leichter, nur eben anders. Vor allem lernte ich aus dieser Beziehung, dass es völlig okay ist, in einer Beziehung auch mal „eklig“ zu sein – und dass unser Bild von „eklig“ nur von patriarchalischen Normen bestimmt ist und in Wahrheit überhaupt nicht eklig ist.
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Es war ganz normal, mit meiner Partnerin über unsere Perioden zu sprechen, weil wir das beide kannten. Und als ich ganz offen davon erzählte und feststellte, dass sie mich immer noch liebte, wurde mir klar, dass mich solche Dinge auch nicht weniger attraktiv wirken lassen sollten. Wenn sie von meiner Periode hören konnte und mich trotzdem noch liebte – wieso sollten Männer dazu nicht imstande sein?

Das Ganze hatte etwas extrem Befreiendes, weil wir nicht versuchten, geheimnisvoll-feminin zu wirken. Sie existierte im gleichen Körper wie ich, der an denselben gesellschaftlichen Standards gemessen wurde, und dieses gegenseitige Verständnis erlaubte es uns, die Fassade fallen zu lassen.

Wenn du dich mal durchs Internet klickst, findest du zahllose Artikel zu den „ekligen Sachen, die Frauen tun, von denen Männer nichts wissen“ – und überraschenderweise hängen die meisten Punkte auf dieser Liste mit unserer Periode zusammen. Das liegt natürlich daran, dass die Scham zu unserer Menstruation ganz tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, ebenso wie die problematische Überzeugung, unsere monatliche Blutung sei „schmutzig“. Männer wollen davon nichts wissen. Die ganze Gesellschaft will davon nichts wissen. Und genau deswegen gibt es so viele Frauen, die selbst mit Mitte 20 und darüber hinaus noch versuchen, ihre Periode vor ihren Partnern zu verstecken.
Dann war da noch meine Körperbehaarung. In meinen heterosexuellen Beziehungen hatte ich immer dafür gesorgt, dass mein gesamter Körper so glatt rasiert war wie nur möglich. Das erste Mal, als ich in meiner Beziehung mit einer Frau zu faul war, mir die Beine zu rasieren, und mir meine Freundin über die unrasierte Haut strich, entschuldigte ich mich direkt bei ihr. Sie meinte, das sei doch lächerlich.
Wir schwitzten zusammen, wir mieften zusammen, blieben den ganzen Tag zusammen im Bett liegen und sprachen ganz offen über unsere Blähbäuche. Das Ganze hatte etwas extrem Befreiendes, weil wir nicht versuchten, geheimnisvoll-feminin zu wirken. Sie existierte im gleichen Körper wie ich, der an denselben gesellschaftlichen Standards gemessen wurde, und dieses gegenseitige Verständnis erlaubte es uns, die Fassade fallen zu lassen. Wir wussten beide, dass diese Standards nichts mit der Realität zu tun hatten – warum also voreinander so tun, als ob? Es öffnete mir die Augen, zu begreifen, dass Liebe und Körperfunktionen einander nicht ausschließen.
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Ich will damit natürlich nicht sagen, dass du in einer Beziehung immer nur rumfurzen, -rülpsen oder übers große Geschäft reden solltest. (Es sei denn, das ist genau dein Ding.) Was ich sagen will: Vor meiner Beziehung mit einer Frau war ich in meinen Beziehungen immer nur eine Art Phantom gewesen, während ich mir durchgehend darüber den Kopf zerbrochen hatte, wie ich meine völlig normalen Körperfunktionen am besten geheim hielt.
Auf TikTok wird viel über den Kontrast zwischen dem „straight gaze“ und dem „queer woman gaze“ gesprochen – also über die sehr verschiedenen Perspektiven von heterosexuellen und queeren Menschen –, sowie auch über die brutalen Schönheitsideale, die in vielen heterosexuellen Beziehungen zum Alltag gehören. Über WLW-Beziehungen wird dabei aber kaum gesprochen. Überleg doch nur mal, wie viele Männer was gegen unser (ganz normales!) Bauchfett haben – im Vergleich zu vielen queeren Frauen, die sich über die Weichheit anderer Frauenkörper freuen. Ich würde behaupten, diese Schönheitsideale gehen auch über die Mühe hinaus, die wir in unser Aussehen in heterosexuellen Beziehungen investieren: Wir wollen sogar innerlich einem arbiträren Standard femininer Schönheit entsprechen.
In einer Beziehung mit einer anderen Frau lernte ich, wie sich echter Komfort in einer Partner:innenschaft anfühlen kann. Wir mussten nicht verstecken, wie unsere Körper funktionieren. Und als unsere Beziehung in die Brüche ging, wurde mir klar, dass ich auf dieses Gefühl nie wieder verzichten wollte.
Mit meinem heutigen Partner spreche ich ganz offen über meine Periode. Ich verstecke es auch nicht vor ihm, wenn ich mal aufgebläht bin, rülpse, schwitze, oder sonstwas. Denn das sind alles ganz normale Dinge, die mein Körper eben tut und die ich nicht kontrollieren kann. Wir verdienen es, in unserem eigenen Zuhause ganz wir selbst sein zu können – mit allem, was dazugehört.
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„Man kann sich aber auch zu wohl fühlen“, lese ich online oft. „Ein bisschen Mysterium schadet nicht!“ Ein älterer Mann prahlte mal vor mir, er habe selbst nach 50 Jahren Ehe seine Frau nie vor ihm furzen gehört. Ich vermute mal, sie ihn sehr wohl – und zwar oft. Diesen Stolz fand ich auch sehr merkwürdig. Worauf war er stolz? Dass sich seine Frau in seiner Nähe scheinbar nie wohl genug gefühlt hatte – und das mit Ende 60! –, um ihren Körper vor ihm ganz normal funktionieren zu lassen?
Lasst Frauen in Beziehungen ruhig auch mal „eklig“ sein, okay? Lasst sie über ihre Periode reden und Körperbehaarung haben. (Ich nenne diese beiden Punkte nicht im Zusammenhang mit „eklig“, weil ich finde, dass die mit „eklig“ ohnehin überhaupt nichts zu tun haben.) Wenn uns die Gesellschaft davor warnt, uns als Frauen „gehen zu lassen“ oder das „Mysterium“ zu lüften, sollten wir dagegen unbedingt vorgehen und uns von dem veralteten Narrativ lösen, dass Frauen ihre Körperfunktionen verheimlichen sollten. Denn wenn Männer einfach in ihrem Körper existieren dürfen, dürfen wir das wohl genauso.
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