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Muss mich mein Job wirklich glücklich machen?

Foto: Anna Jay.
„Ich habe einfach nicht das Gefühl, dass ich irgendwas Sinnvolles beitrage“, meinte eine Freundin vor Kurzem verzweifelt zu mir. „Ich will mehr tun. Es geht mir nicht nur darum, Geld zu verdienen. Gleichzeitig will ich mich aber auch abgesichert fühlen und meine Miete zahlen können.“
Diese Freundin ist Anfang 30. Sie kommt nicht aus einem reichen Elternhaus, hat aber seit ihren Mittzwanzigern in einem kreativen Job „hart geschuftet“ (sie arbeitet regelmäßig 18 Stunden am Tag). Während der Pandemie kam sie aber – wie viele andere Leute – zu einer Erkenntnis: Sie will „einen Beitrag leisten“ und „etwas Bedeutsames machen“. Aktuell sieht es so aus, als würde sie sich bald zur Hebamme ausbilden lassen.
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Was ist der Sinn eines Jobs? Das hört sich nach einer schwer zu beantwortenden Frage an – zurecht, schließlich ist sie zugleich pragmatisch, historisch, ethisch und philosophisch. Während aber immer mehr junge Frauen die Schnauze voll davon haben, rund um die Uhr im Zeichen von #sidehustle und #girlboss vorm PC zu hängen, wird es immer wichtiger, uns diese Frage zu stellen.
Laut vielen Influencer:innen – inklusive der Love-Island-Teilnehmerin Molly-Mae Hague – geht es bei der Arbeit einzig und allein um Erfolg. Deswegen kassierte sie letztes Jahr eine Menge Kritik, als sie im Podcast The Diary Of A CEO über ihre Arbeitsethik sprach. „Wir alle haben dieselben 24 Stunden am Tag“, sagte sie. „Wenn du etwas nur genug willst, kannst du es auch erreichen. Es kommt nur darauf an, wie weit du zu gehen bereit bist, um dort anzukommen, wo du in Zukunft gern wärst.“
Du kannst alles schaffen, wenn du es nur genug willst, meint Molly-Mae, und klingt dabei wie die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher (die nicht umsonst „Eiserne Lady“ genannt wurde und nur vier Stunden pro Nacht schlief), die mal sagte: „Was ist Erfolg? Ich denke, das ist eine Mischung daraus, ein Talent für das zu haben, was man tut, und zu wissen, dass es nicht reicht – dass harte Arbeit entscheidend ist.“
„Glück liegt nicht darin, nichts zu tun“, sagte sie. „Glück liegt darin, den ganzen Tag überlastet zu sein, abends erschöpft zu sein und zu erkennen, dass man etwas Wertvolles geleistet hat.“ Wenn ich sowas lese, denke ich mir aber: Kann bitte jemand die Personalabteilung alarmieren? Thatcher nahm uralte Vorstellungen rund um Selbsthilfe und harte Arbeit und verdrehte sie gezielt zu etwas, was sich modern und vorausblickend anhörte. Und leider leben wir auch heute noch nach ähnlichen Prinzipien.
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Immer wurde uns gesagt, dass uns alles möglich sei, sofern wir die Regeln befolgen – und uns in der Schule, im Studium und am Arbeitsplatz anstrengend. So ließen sich sogar hartnäckige Klassengrenzen überschreiten, heißt es. Dein Traumjob, dein Traumhaus, dein Traumleben – alles zum Greifen nah. Selbst als Kind einer Geringverdienerfamilie kannst du Minister:in, sogar Millionär:in werden. Dazu musst du nur hart arbeiten. Aber stimmt das überhaupt?
Wir wissen inzwischen, dass sechs Stunden Schlaf oder weniger das Risiko erhöhen, später im Leben an Demenz zu erkranken – und dass du dir vermutlich nicht zwangsläufig ein Haus leisten kannst, selbst wenn du so viel arbeitest, wie du nur kannst. Wie die Reaktion auf Molly-Maes Kommentare zeigt, steigt unser Bewusstsein dafür, dass harte Arbeit nicht automatisch ausreicht, um dich dorthin zu bringen, wo du hinwillst – und dass beruflicher Erfolg nicht unbedingt das ultimative Ziel ist. Das ist zum Beispiel an Trends wie dem Quiet Quitting zu erkennen; immer mehr TikToker:innen posten Videos zu dieser „stillen Kündigung“, bei der sie im Job nur noch das leisten, was von ihnen erwartet wird – ohne Überstunden, Extra-Verantwortungen oder Wochenenddienst. 
„Wir haben über 1.000 junge Leute mit ganz verschiedenen Hintergründen gefragt, was sie sich unter einem ‚guten‘ Job vorstellen. Die Mehrheit von ihnen gab an, gut bezahlt werden zu wollen, sich aber auch Sicherheit, Stabilität und Flexibilität zu wünschen“, erzählt Cristiana Orlando vom britischen Institute for Employment Studies (IES). „Vor allem hätten sie aber gern ‚interessante‘ und ‚erfüllende‘ Jobs, die sie ‚stimulieren‘ und bei denen sie sich von ihren Vorgesetzten ‚unterstützt‘ fühlen.“
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Es liegt eine Kluft zwischen den Arbeitsbedürfnissen junger Leute und der Realität ihrer Jobbedingungen.

Cristiana Orlando
In meinem (und sicher auch in deinem) Umfeld sagen immer mehr junge Frauen dasselbe. „Es geht nicht mehr nur ums Geld“, ergänzt Cristiana. „Es geht darum, deine Leidenschaft ausleben zu können. Viele haben uns erzählt, dass sie die Pandemie – die ihnen eine Pause vom stressigen Alltag von früher gewährte – darüber hat nachdenken lassen, was sie sich von einem Job wünschen und vorstellen. Sie möchten dabei auch auf ihre Gesundheit achten können und kein Burnout erleben. Sie möchten wertgeschätzt werden, etwas beitragen und sich dabei unterstützt fühlen.“
Das Problem dabei, wenn meine Freundin tatsächlich als Hebamme zu arbeiten beginnt – ein Job, der definitiv einen der wichtigsten gesellschaftlichen Beiträge überhaupt leistet –, sind die furchtbaren Arbeitsbedingungen in diesem Beruf. Mangelnde Zeit und fehlendes Personal sind nur zwei Gründe dafür, warum immer mehr Hebammen in Deutschland nur noch in Teilzeit arbeiten oder den Job ganz aufgegeben haben. 
Die Umfrageergebnisse könnten deutlicher nicht sein: Junge Menschen wünschen sich mehr von ihren Jobs – haben jedoch Probleme, sichere, vernünftig bezahlte Stellen mit ordentlichen Arbeitsbedingungen zu finden. „Es liegt eine Kluft zwischen den Arbeitsbedürfnissen junger Leute und der Realität ihrer Jobbedingungen“, meint Cristiana.
Der Girlboss – mit ihren Notizbüchern, grenzenlosen Ambitionen und frischen Gelnägeln über vor Anspannung abgekauten Nägeln – gehörte schon vor der Pandemie langsam der Vergangenheit an. Inzwischen hinterfragen aber immer mehr Frauen sogar den Sinn der Arbeit an sich und sind zunehmend enttäuscht von ihren Jobs. Diese Einsicht klingt finster, ist aber womöglich eine Chance: Wir (vor allem diejenigen, die – wie meine Freundin – über späte Karrierewechsel nachdenken) können mehr einfordern. Wir können uns politisch dafür einsetzen, dass wichtige Jobs – zum Beispiel in der Geburtshilfe – fair bezahlt werden und keine schädlichen Konsequenzen für die geistige und körperliche Gesundheit haben. 
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Wenn wir uns also die Frage stellen, wie wir hochwertige, bedeutsame Arbeit leichter verfügbar machen können, ist die Antwort sicher nicht noch mehr eigennützige Schufterei. Stattdessen sollten wir über unseren eigenen Tellerrand hinausschauen und uns überlegen, wie wir die Arbeitsbedingungen für uns selbst und andere verbessern könnten. Wie Amelia Horgan in ihrem Buch Lost In Work schreibt, sollten wir uns daher zusammenschließen (zum Beispiel zu Gewerkschaften) und uns weigern, durch die Monetarisierung unserer Hobbys auch unsere Freizeit zum Job werden zu lassen. All das wird sicher nicht über Nacht klappen – aber verliere nicht die Hoffnung, denn: Ein Job, der dir Spaß macht und dir gleichzeitig genug Zeit gewährt, um auch außerhalb ein erfüllendes Leben führen zu können, ist kein Ding der Unmöglichkeit. 
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