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5 Frauen über die Freude & Last der Pflege von Angehörigen

Foto: Meg O'Donnell-Bath.
Es ist ein großer Bestandteil des Lebens, uns um andere zu kümmern – ob nun um Freund:innen, Verwandte, Partner:innen, Fremde oder Haustiere. Es gibt aber sehr viele Menschen, die nicht nur gelegentlich mal jemanden versorgen müssen. Für sie ist es der größte Teil ihres Lebens.
In Deutschland gibt es aktuell ungefähr fünf Millionen Pflegebedürftige – und rund vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, meist durch Angehörige und meist unbezahlt. Pflegebedürftige Menschen können ihren Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen, ob nun aufgrund des hohen Alters, der Gesundheit oder anderen Gründen, und sind daher auf die Hilfe anderer angewiesen. Meistens verbindet pflegende und gepflegte Person eine tiefe emotionale Bindung, und daher bezeichnen sich die Pflegenden meist nicht als solche; sie „helfen ja nur einer geliebten Person“. Ohne diese Hilfe würde unser Pflegesystem allerdings wohl völlig zusammenbrechen, denn Bewohner:innen von Pflegeheimen machen nur etwa ein Fünftel aller Pflegedürftigen in Deutschland aus.
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Aber wie ist das, die Pflege von Angehörigen zu übernehmen? Wir haben mit fünf Frauen über ihre Erfahrungen mit dieser oft übersehenen Arbeit gesprochen – und darüber, wie diese ihr Leben verändert hat.

Andi, 23

Die Pflege war schon immer Teil meines Lebens. Während meiner Jugend wohnten wir mit meiner erweiterten Familie zusammen, und mein Großvater entwickelte schon lange vor meiner Geburt eine Behinderung. Ich kannte es also nie anders, weil ich mich schon mit sieben Jahren um meinen Opa kümmerte. Als ich 21 war, wurde meiner Mutter dann Krebs im dritten Stadium diagnostiziert, und ich übernahm weitere Pflegeaufgaben.
Jeder Tag sieht für mich ein bisschen anders aus. Normalerweise wache ich auf, sehe dann nach meiner Mum und stelle sicher, dass sie okay geschlafen und ihre Medikamente eingenommen hat. Dann mache ich uns beiden was zu essen. Mum muss jeden Tag zur Chemo, also helfe ich ihr, sich dafür fertig zu machen, und fange dann an zu arbeiten. Das ist alles sehr schwer, weil wir allein sind. Im Laufe des Tages schaue ich immer wieder nach ihr, um zu checken, ob alles in Ordnung ist. Abends kocht sie uns was zu essen, wenn sie sich fit genug fühlt, und beim Essen quatschen wir dann über unseren Tag.
Meine Mutter hat mir nie das Gefühl gegeben, ich sei für alles verantwortlich. Es ist aber schwer, mich nicht verpflichtet zu fühlen. Manchmal kann das ziemlich überwältigend sein. Ich habe ein bisschen Angst vor der Zukunft, weil mein Leben bisher so unberechenbar war. Ich mache mir Sorgen, dass meine Arbeitgeber:innen nicht immer verstehen könnten, dass ich andere Prioritäten habe. Ich glaube, dass ich wegen der Pflege nicht so gut darin bin, meine eigenen Emotionen und Bedürfnisse zu berücksichtigen, weil ich mich so sehr darauf konzentriere, dass bei ihr alles okay ist.
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Meine Mum und ich stehen uns sehr nahe, und es hat auch etwas Schönes, so eine Erfahrung miteinander zu teilen, die – je nach Blickwinkel – eigentlich durch und durch schlecht aussehen kann. Ihre Krankheit ist sehr kompliziert und macht es uns nicht leicht. Die Pflege macht mich aber umso dankbarer für die guten Tage und schenkt mir an schlechten Tagen Hoffnung.
Junge Leute, die ihre Angehörigen versorgen, werden immer für besonders stark gehalten. Manchmal will ich gar nicht stark sein oder es „durchziehen“ müssen – so ist es aber nun mal. Wir sind stark, weil wir es sein müssen, und oft glaube ich, dass die Leute gar nicht verstehen, wie enorm sich diese Pflege auf unsere Psyche auswirken kann. Manchmal sind wir total gestresst. Manchmal fühlen wir uns schuldig, und manchmal ausgebrannt. Es ist so wichtig, das auch immer zu bedenken.

Bailey, 29

Als meine Mutter 2020 einen Unfall hatte, bei dem ihr Gehirn irreparabel verletzt wurde, wurde ich zu ihrer Pflegerin. Dann wurde mein Vater 2022 dement, und auch für ihn übernahm ich die Pflege. Das Ganze war eine plötzliche Lebensveränderung für mich.
Seitdem gibt es in meinem Leben keinen „normalen“ Tag mehr. Jeder Tag sieht anders aus. Ich wache auf, bringe meine Tochter zur Schule, hole meine Eltern aus dem Bett, mache ihnen Frühstück und schaue, wie es ihnen geht. An manchen Tagen machen wir danach ein paar Besorgungen und verlassen auch mal das Haus, um ein bisschen Sonne abzubekommen und uns zu bewegen. An anderen Tagen bleiben wir zu Hause, schauen fern und spielen Videospiele. Menschen mit mentalen Gesundheitsproblemen haben gute und schlechte Tage – so wie wir alle. Jeden Tag bereite ich alle Mahlzeiten für meine Eltern und meine Tochter zu. Wir verbringen viel Zeit zusammen und machen einfach das Beste aus jedem Tag.
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Die Pflege meiner Eltern beeinflusst mein Leben in vielerlei Hinsicht, vor allem aber in Bezug auf meine Unabhängigkeit. Ich beschwere mich nicht drüber, aber durch die Pflege kann ich nicht mehr so viel reisen, mich mit Freund:innen treffen oder Zeit mit meiner Tochter verbringen. Ich habe nicht mehr so viel Zeit für die Dinge, die mir früher wichtig waren. Meine Prioritäten haben sich definitiv verändert. Aber ich genieße es auch, Zeit mit meiner Familie zu verbringen und dabei diese neue Version meiner Eltern und mir selbst kennenzulernen.
Ich glaube, viele Leute finden die Vorstellung, Angehörige zu pflegen, sehr furchteinflößend, insbesondere, was Demenzkranke angeht. Dabei sind die Pflege und auch Menschen mit Demenz überhaupt nicht furchteinflößend, sondern einfach anders und ungewohnt. Mein Dad ist seit seiner Diagnose viel fröhlicher. In mancher Hinsicht ist das Ganze also sogar ein Segen.
Wir sollten als Gesellschaft definitiv öfter über die Pflege sprechen. Das können unangenehme Gespräche sein – aber sie können den Leuten wirklich die Augen öffnen. Alle sollten wissen, wie die Realität der Pflege aussieht und was alles dazugehört. Das ist mehr als ein Job. Für manche von uns ist es ein Lifestyle, in dem du nicht einfach mal „Feierabend“ machen kannst.

Monica, 26

Mein einziges Geschwisterkind ist mein nonverbaler, autistischer, epileptischer Zwillingsbruder. Ich bin Südasiatin; in meiner Community ist es ganz normal, sich um die eigenen jüngeren Geschwister zu kümmern. Ich selbst bezeichnete mich aber erst mit 23 als „Pflegerin“. Mir wurde nie gesagt, dass ich quasi eine Pflegekraft war und sich das auf meine Persönlichkeit, meine Karriere, meine Freundschaften, meine Beziehungen, meine Selbstfürsorge, auf alles auswirken würde.
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Als meine Mum noch lebte, weckte mein Dad morgens meinen Bruder auf, zog ihn an und setzte ihn ins Taxi, mit dem er zu seiner Tagespflege fuhr. Dann machten mein Dad und ich uns auf zur Arbeit, während Mum zu Hause blieb. Seit meine Mum Ende 2020 verstorben ist, übernimmt Dad immer noch weitestgehend die Hauptaufgaben bei der Pflege meines Bruders. Wir haben heute aber einen Kalender, in dem wir eintragen, wer sich nach der Arbeit um ihn kümmert.
In so einer Situation musst du sehr flexibel sein. Ich berücksichtige meinen Bruder andauernd bei meiner Planung und baue meinen Kalender um ihn herum auf. Während der Pandemie war ich während Telefonaten und Video-Calls immer nur mit einem Ohr dabei; das andere Ohr achtete immer darauf, ob mein Bruder gerade einen Anfall bekam. Deswegen war ich bei diesen Gesprächen immer sehr zurückhaltend oder ganz stumm geschaltet. Es fiel mir schwer, meine Situation anderen zu erklären, die nie etwas Ähnliches erlebt hatten.

Manchmal erzählen mir Leute, sie könnten sich „nicht vorstellen, wie das ist“, und ich finde das irgendwie faul. Man kann sich immer mehr Mühe geben, diese Arbeit zu verstehen und Empathie dafür zu zeigen. Genau dieses Gefühl, nicht verstanden zu werden, ist mitunter das Schwierigste an der ganzen Sache.

Monica, 26
Die Pflege macht dich sehr aufmerksam und empathisch. Du musst flexibel sein können. Man lernt definitiv viel daraus. Wenn du aber gar nicht richtig mitbekommst, dass du effektiv eine Pflegekraft bist, ist es sehr schwer, das rational zu betrachten. 
Manchmal erzählen mir Leute, sie könnten sich „nicht vorstellen, wie das ist“, und ich finde das irgendwie faul. Man kann sich immer mehr Mühe geben, diese Arbeit zu verstehen und Empathie dafür zu zeigen. Genau dieses Gefühl, nicht verstanden zu werden, ist mitunter das Schwierigste an der ganzen Sache. Genau deswegen versuche ich, so viel Kontakt wie möglich zu anderen Pflegenden zu haben.
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Wir brauchen unbedingt mehr Anerkennung für die Arbeit von Pflegenden und sollten deutlicher kommunizieren, wo sie Support und Hilfe bekommen. Denn wenn du gar nicht weißt, dass du überhaupt Anspruch auf Unterstützung hast, wie sollst du dann darum bitten können?

Jacquelyn, 36

Ich wurde mit Ende 20 zur Pflegenden, als ich einen Anruf von der Freundin meiner Mutter bekam. Die einzigen Worte, die ich am Telefon verstand, waren: „Irgendwas stimmt nicht mit deiner Mom, du musst bitte herkommen!“
Während der Zeit, zu der ich mich um meine Mutter und meine demente Großmutter gleichzeitig kümmerte, fing der Tag meist mit einer Runde Gassi mit meinem Hund an, damit ich erstmal einen Moment für mich hatte. Dann schaltete ich zu Hause den Fernseher an, um meine Mutter zu beschäftigen, während ich meiner Oma neue Unterwäsche anzog und sie wusch. Dann machte ich das Frühstück für beide, und sobald sie gegessen hatten, kümmerte ich mich um die ganzen Anrufe, die an dem Tag anstanden: Ich machte Arzttermine und telefonierte mit der Krankenkasse. Zwischendurch begleitete ich meine Oma zum Klo. Der Rest des Tages ging ungefähr so weiter. Ab und zu kam noch eine Physiotherapeutin vorbei, oder eine bezahlte Pflegekraft, die mich für ein paar Stunden ablöste, damit ich zum Sport oder in den Supermarkt konnte. Die Arbeit war sehr repetitiv. Das Anstrengendere ist aber eigentlich die emotionale Arbeit – vor allem bei der Pflege einer dementen Person.
Die Pflege wirft dein Leben plötzlich in eine ganz andere Bahn. Es kann eine sehr einsame Erfahrung sein. Dadurch, dass ich meine Erlebnisse auf Social Media geteilt habe, hatte ich aber die Chance, viele andere Pflegende kennenzulernen, die ebenfalls dachten, ganz allein damit dazustehen. Wir haben uns eine echte Support-Community aufgebaut.
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Ich glaube, dass viele Leute erstmal nur die körperlichen Aspekte dieser Arbeit sehen und nie darüber nachdenken, wie sehr sie dich emotional auslaugen kann. Du trauerst durchgehend dem Leben hinterher, das du hättest haben können. Gleichzeitig ist es furchtbar mitanzusehen, wenn ein geliebter Mensch langsam die Fähigkeiten verliert, die er dir als Kind beigebracht hat.

Rebecca, 23

Ich war um die 12 Jahre alt, als ich mich um die Pflege meiner Mutter zu kümmern begann. Sobald ich über ihre mentalen Probleme (inklusive einer bipolaren Störung) Bescheid wusste, war die Sache für mich ganz klar: Ich wollte mich um meine Mutter kümmern. Ich wollte ja, dass es ihr wieder besser ging.
Viele Leute glauben, Schulkinder könnten gar nicht die Pflege ihrer Angehörigen übernehmen, weil sie ja noch zur Schule gehen. Da bist du aber auch nur rund sechs Stunden am Tag. Sobald du dann nach Hause kommst, versorgst du die pflegebedürftige Person – manchmal, bis du ins Bett gehst. Manchmal auch während der Nacht. Und manchmal auch das ganze Wochenende über.
Weil ich heute nicht mehr mit meiner Mutter zusammenwohne, fühlt es sich für mich meistens so an, als hätte ich Bereitschaftsdienst. Ich muss immer verfügbar sein, und fahre ohnehin fast täglich zu ihr, um ihr mit kleineren Sachen zu helfen. Einmal pro Woche bin ich den ganzen Tag bei ihr. Ich bin immer in der Nähe, egal, was ist – und das war schon immer so. Nach dem Abi bewarb ich mich zwar auch an weiter entfernten Unis, ging dann aber doch an die örtliche, weil ich zu viel Angst hatte, um wegzuziehen. Ich habe gerade mein zweites Kind bekommen, aber als Pflegerin meiner Mutter bekomme ich natürlich keine Elternzeit. Zu meiner Schulzeit bekam ich von der Schule keine Unterstützung, abgesehen davon, dass ich gehen durfte, wenn es dringend war. Ich hätte damals aber auch emotionalen Support gebraucht, weil ich gar keine Chance hatte, einfach nur Kind sein zu dürfen. Niemand glaubt, dass sich Kinder wirklich um ihre Eltern kümmern können, weil sie nicht verantwortungsbewusst seien. Wenn es dir aber selbst passiert, bist du dazu gezwungen, sehr schnell erwachsen zu werden. In der Schule war ich demnach schon sehr reif. Lehrer:innen hielten mich für „vernünftig“. Das war ich aber nicht. Ich hatte eben einfach ein Trauma durchlebt und lernen müssen, mich schon sehr früh um jemanden kümmern zu müssen.
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Meine Beziehung zu meiner Mutter ist aber einfach unglaublich. Die Nähe und das Vertrauen zwischen uns – ihr Glaube daran, dass ich in ihren dunkelsten Stunde immer an ihrer Seite sein werde – ist der Wahnsinn, und das hat mir auch dabei geholfen, selbst Mutter zu werden. Ich weiß, dass ich mit meiner Tochter aufgrund meiner eigenen Erfahrungen viel offener umgehen werde, als ich es sonst vielleicht getan hätte. Und genau deswegen wird sie viel stärker sein als ich.
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