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Warum unsere Meilenstein-FOMO schlimmer ist denn je

FOTO: MEGAN MADDEN.
Wir können heutzutage aus unendlich vielen möglichen Lebenswegen wählen. Natürlich wissen wir, dass das Alter auch nur eine Zahl ist; und wir wissen, dass es nicht das eine, „richtige“ Leben gibt, das wir führen „sollten“. Noch dazu sieht Erfolg heute ganz anders aus als noch während der Jugend unserer Eltern. Und trotzdem: Wenn wir einen anderen Lebensweg einschlagen als unser Umfeld, oder den eigenen Zielen nicht so nah kommen wie andere, lässt sich das Gefühl, etwas zu „verpassen“, nur schwer abschütteln. Überleg nur mal, zu wie vielen Hochzeiten du dieses Jahr eingeladen bist! Und obwohl wir uns natürlich für unsere Liebsten freuen, dass sie das Leben führen, das sie sich vorgestellt haben, ist es auch völlig verständlich, wenn das diverse Gefühle in uns auslöst. Die Profis nennen das die „Theorie des sozialen Vergleichs“ – aber wir kennen dieses Gefühl eher als „Meilenstein-FOMO“. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, haben wir uns mit der Psychiaterin Dr. Anisha Patel-Dunn unterhalten und sie gefragt, wieso wir eigentlich so fühlen – und was sich dagegen unternehmen lässt.
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Was ist Meilenstein-FOMO?

Laut Dr. Patel-Dunn beschreibt dieser Begriff „die Unruhe und den Stress, die Leute empfinden, wenn sie das Gefühl haben, traditionelle Meilensteine nicht zu erreichen – wie die Hochzeit, die Geburt von Kindern, den Hauskauf, den beruflichen Erfolg, und so weiter“, erklärt sie. „Das gilt vor allem dann, wenn die eigenen Eltern oder Rollenvorbilder diese Meilensteine schon bis zu einem bestimmten Alter erreicht hatten, oder die Freund:innen solche Erfahrungen bereits hinter sich haben. Da kann es sein, dass du dich abgehängt fühlst.“
Obwohl wir sicher alle schon mal schockiert darüber waren, zu hören, wie viele Kinder unsere Eltern in unserem Alter schon hatten, hat die Corona-Pandemie den damit verbundenen Druck nochmal verstärkt. „Die Isolation und fehlenden Sozialkontakte haben die Pläne vieler Menschen beeinträchtigt, wie weit sie es in ihrem Leben bis dahin schon gebracht haben wollten“, erklärt Dr. Patel-Dunn. Der Lockdown hat uns nicht nur den Wind aus den Segeln genommen, den wir eigentlich brauchten, um auf unsere Ziele hinzuarbeiten – sondern durch die ganze Zeit allein und zum Nachdenken sehnen sich viele von uns heute danach, große Lebensentscheidungen zu treffen.
Dabei beschränkt sich Meilenstein-FOMO nicht nur auf ein bestimmtes Alter. Ob du nun gerade aus einer Trennung von einem Menschen kommst, von dem du glaubtest, ihr würdet für immer zusammen sein, oder eher das Gefühl hast, schon dein ganzes Leben auf die Erfüllung deiner Träume zu warten: Diese FOMO kann uns alle auf verschiedene Arten beeinflussen. Wer gerne Tagträumen zum eigenen Fünf-Jahres-Plan nachhängt und gern alles bis ins kleinste Detail plant, ist aber vielleicht besonders anfällig. Aber selbst diejenigen von uns, die bewusst und gerne Single sind, werden womöglich von einem Hauch FOMO überrascht, wenn sie auf Instagram mal wieder ein Foto von verheirateten Schulfreund:innen mit Kindern vor dem ersten eigenen Haus sehen.
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So ging es jedenfalls der 28-jährigen Erin, die glaubte, sie sei immun gegen den Hochzeits-Hype – und dann doch unerwarteterweise das Gefühl hatte, „hinterherzuhängen“. „Es wirkt einfach plötzlich so, als kämen seit der Pandemie alle viel schneller mit ihren Leben voran als davor. Es fühlt sich an, als hätten sie mich abgehängt“, erzählt sie. „Es ist gar nicht so, als würde ich unbedingt heiraten wollen oder so. Im Vergleich zu den anderen, die jetzt heiraten, Häuser kaufen und Kinder kriegen, wirkt mein Leben aber sehr statisch.“
„Ich weiß, dass ich viele Gründe habe, dankbar zu sein. Ich weiß ja auch, was ich will. Zu Beginn der Pandemie war ich aber genauso lost wie meine Freund:innen. Jetzt ziehen die ihr Leben aber einfach so durch, und ich frage mich, was passiert ist. Habe ich mir den Lockdown nur eingebildet?“

Was kann ich gegen Meilenstein-FOMO machen?

Das Problem mit Meilenstein-FOMO ist, dass sie zu einem Teufelskreis führen kann, in dem wir uns so darum sorgen, unsere Ziele nicht zu erreichen, dass wir uns kaum noch Freiraum für die kleinen Erfolge lassen, die das Leben überhaupt lebenswert machen.
„Wenn du ‚Erfolg‘ damit verbindest, diese Meilensteine zu erreichen, und das selbst nicht schaffst, kann es extrem schwer sein, diese Emotionen zu bewältigen und dich erfüllt zu fühlen“, meint Dr. Patel-Dunn. Besonders stressig wird es, wenn du den Eindruck hast, die Zeit arbeite gegen dich – vor allem, weil wir meist glauben, diese Meilensteine würden viel Zeit und Mühe erfordern. Wenn diese Ziele aber noch in weiter Ferne liegen, haben wir dann oft das Gefühl, immer weiter hinten zu liegen.
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Dabei können Veränderungen natürlich auch ganz plötzlich passieren. Schon in einem Monat könnte dein Leben völlig anders aussehen. Dieser Möglichkeit solltest du dich öffnen, anstatt dich damit zu stressen, eben ein bisschen mehr Zeit für alles zu brauchen.
Wie Dr. Patel-Dunn empfiehlt, hältst du diese Gefühle am besten auf Abstand, indem du gut zu dir selbst bist und einen realistischen Ausblick darauf behältst, wo du dich in deinem Leben gerade befindest. „Stelle deine geistige Gesundheit immer über externen Druck“, sagt sie. Es zeugt außerdem von enormer Stärke, dich auch mal verletzlich zu zeigen und offen darüber zu sprechen, was du dir wünschst – selbst wenn das noch weit entfernt scheint. „Einer der Vorteile der Pandemie ist der, dass die mentale Gesundheit jetzt viel mehr respektiert wird als früher. Vielen Leuten fällt es heute deutlich leichter, sich damit zu beschäftigen, was sie wirklich glücklich macht, und dementsprechend etwas zu verändern.“
Obwohl es leicht ist, über Social Media zu schimpfen und dir einen Digital Detox zu wünschen, wann immer dein Feed mal wieder voller Erfolge anderer Leute zu sein scheint, kann es auch ganz schön lebensverändernd sein, dir deine eigenen Pläne nochmal gründlich zu überlegen. Manchmal kommen uns diese Meilensteine nämlich nur deswegen unerreichbar vor, weil wir uns selbst große Hürden in den Weg gelegt haben.
Mein persönliches Ziel war es zum Beispiel sehr lange, einen Hund zu adoptieren. Dazu hatte ich mir selbst aber ausgedachte Bedingungen auferlegt – ich musste erstmal ein Haus besitzen! Oder einen Partner haben, mit dem ich mir die Verantwortung teilen konnte! Also wartete ich ewig darauf, endlich in einer Position zu sein, in der all diese Bedingungen erfüllt waren. Während dieser Zeit hatte ich es aber irgendwie geschafft, mir selbst ein Leben zu erschaffen, in dem ein Hund aber auch ohne Haus und Partner Sinn ergab. Nur erkannte ich das einfach nicht.
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Der 29-jährigen Anita ging es ähnlich, als ihre Pläne ins Wasser fielen, mit ihrem Partner eine alte Wohnung zu kaufen und zu renovieren. Nach der Trennung wurde ihr aber klar, dass sie das immer noch tun konnte – nur eben mit jemand anderem. „Während all der Monate, in denen ich meiner Mutter von meinen Plänen vorschwärmte und mich darüber aufregte, dass das alles jetzt nicht klappen würde, war mir gar nicht bewusst, dass ich sie dadurch zu meiner perfekten Investorin machte“, erzählt sie.
„Das Ergebnis war dann sogar besser, als ich es mir vorher vorgestellt hatte, weil ich nicht so viele Kompromisse eingehen musste, wie ich es mit meinem Partner hätte tun müssen. Und ganz ehrlich: Ich habe jede Minute des ganzen Prozesses geliebt. Meine Mutter während dieser Erfahrung an meiner Seite zu haben, war fantastisch. Und ich wusste, dass ich ihr vertrauen konnte.“
Wir wissen nie, was uns in ein paar Jahren oder auch am nächsten Tag erwarten könnte. Es lohnt sich also überhaupt nicht, irgendwelche Erwartungen daran zu haben, wann etwas passieren „sollte“. So oder so landen wir meist genau da, wo wir hin sollten. Auf dem Weg dorthin lernen wir ganz individuelle Lektionen, und haben alle mal Schwierigkeiten damit, uns mit dem Hier und Jetzt zufrieden zu geben. Wichtig ist, dich auf die Gegenwart zu konzentrieren – und dabei im Hinterkopf zu behalten, dass „Erfolg“ kein konkretes Ziel ist, sondern ein Gefühl, das du mal hast, mal verlierst, und dann auch mal wiederfindest. Und das für den Rest deines Lebens.
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