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Wollen wir überhaupt ein posthumes Aaliyah-Album?

Foto: Frank Micelotta/ImageDirect
Vergangenen Sommer wurde bekannt, dass Musikfans endlich Aaliyahs gesamte Diskografie auf verschiedenen Streaming-Plattformen zu hören bekommen werden. Die Veröffentlichung der Musik der verstorbenen Sängerin durch ihren Onkel und ehemaligen Label-Chef Barry Hankerson war ein umstrittener Schritt, da das Ganze nicht den Wünschen ihres Nachlasses entsprach. Die letzte Entwicklung im Zusammenhang mit Aaliyahs Werk ist aber sogar noch umstrittener: Ein neues Album mit unveröffentlichten Songs, vollgepackt mit… fragwürdigen Features soll bald erscheinen.
Als Aaliyah 2001 bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben kam, trauerte die Welt um die junge Künstlerin, die in ihrer 12-jährigen Karriere das Musik-Genre R&B maßgeblich beeinflusst hatte. Nach ihrem Tod entwickelte sich ein juristisches Drama, als ihre Familie mit Hankerson um die Rechte an ihrer Musik zu streiten begann. Dieser anhaltende Streit machte es jahrelang fast unmöglich, auf ihren Musikkatalog zuzugreifen. Im vergangenen August gab Hankerson jedoch bekannt, dass Blackground Records 2.0 mit dem Musikvertrieb Empire zusammenarbeite, um alle fünf ihrer Studioalben und den mit Features von diversen anderen Stars übersäten Soundtrack zu Romeo Must Die zu veröffentlichen.
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Monate später erfuhren wir, dass noch mehr Musik von Aaliyah auf uns zukommt (auch wenn wir nicht unbedingt darum gebeten haben). Blackground Records 2.0 plant die Veröffentlichung von Unstoppable, einer posthumen LP, die ausschließlich aus unveröffentlichen Songs bestehen soll. Um Unstoppable für neue und alte Aaliyah-Fans noch attraktiver zu machen, holte Hankerson auch eine Reihe von bekannten R&B- und Rap-Künstler:innen wie Drake, Snoop Dogg, Ne-Yo, Future und Chris Brown an Bord, die Features für das Projekt beisteuerten.
Die Nachricht, dass ein posthumes Werk von Aaliyah herauskommen wird, wurde mit gemischten Reaktionen aufgenommen: Einige reagierten mit Traurigkeit, während andere empört darüber waren. Auf der einen Seite hat Aaliyahs Tod eine Lücke in der Musik- und Popkultur hinterlassen, die bisher nicht gefüllt werden konnte; bis heute versuchen Künstler:innen ihr Bestes, um ihren Sound, ihre Ästhetik und ihre allgemeinen Vibes mit unterschiedlichem Erfolg nachzuahmen. Aber nichts davon kommt an das, was Aaliyah ausmacht, wirklich heran. Schließlich ist sie einzigartig. Deshalb könnte sich mehr Originalmusik von der verstorbenen Legende also als vorteilhaft für die Musikwelt erweisen, die sie immer noch so sehr vermisst. Allerdings weist Unstoppable weit mehr Nachteile als Vorteile auf: angefangen bei der Tatsache, dass die Veröffentlichung des Projekts wahrscheinlich nicht vom Haughton-Nachlass genehmigt wurde. Seit Jahren versucht Aaliyahs Familie, sich mit Hankerson und Blackground Records 2.0 darüber zu einigen, was mit ihrer Musik geschehen soll, und dieser Konflikt ist bis dato noch nicht gelöst worden. Nachdem ihre Familienmitglieder erfahren hatten, dass das Label ihren gesamten Katalog auf Streaming-Plattformen zur Verfügung stellen würde, teilte ihr Nachlass eine öffentliche Erklärung, in der angedeutet wurde, dass das ein Versuch sei, sich Aaliyahs Lebenswerk zu Nutze zu machen.
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Genauso beunruhigend wie die zweifelhaften Umstände der Entstehung der LP sind die angekündigten Features. Wie bereits erwähnt, wurde ein Großteil der heutigen R&B -Musik direkt von Aaliyah beeinflusst und geprägt. Ein Blick auf die Diskografien von Frauen wie Ciara, Tinashe, Normani, Sevyn Streeter und vielen anderen genügt, um zu erkennen, dass Aaliyahs Musik eine große Inspirationsquelle für sie war, was sich an federsanften Vocals in Kombination mit oft futuristischen Visuals und beeindruckenden Choreografien zeigt. Diese eindeutigen Anhänger:innen der Sängerin sind immer noch aktiv in der Musikbranche. Warum also haben die Macher:innen von Unstoppable beschlossen, für die LP nur Features von Männern zu verwenden – vor allem, wenn so viele davon in erhebliche Kontroversen verwickelt waren? Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass einige von ihnen nachweislich Frauen missbraucht haben – was besonders unpassend ist, wenn man bedenkt, dass Aaliyah selbst als Teenie von R. Kelly missbraucht wurde.
Angesichts all dieser Probleme, die mit einem weiteren Aaliyah-Projekt verbunden sind, scheint es, dass diese LP mehr Ärger bringen könnte, als sie wert zu sein scheint. Aber in einer Branche, in der Musiker:innen oft eher als Geldquelle und weniger als Menschen betrachtet werden, ist es auch nicht verwunderlich, dass Blackground Records 2.0 die neue Veröffentlichung trotzdem in Angriff nimmt. Damit ist Aaliyah nur eine von vielen Künstler:innen, die nach ihrem Tod auf diese Weise ausgebeutet werden. Nachdem er 2009 an einem Herzstillstand gestorben war, wurde Michael Jacksons Konterfei 2010 für das Videospiel Michael Jackson: The Experience nachgebildet, und Sony veröffentlichte außerdem zwei posthume Alben mit unveröffentlichten Songs in seinem Namen. In Whitney Houstons Fall war es ähnlich: Ihr Nachlass unterzeichnete einen Vertrag, der es dem Hotel Harrah's erlaubte, ein Hologramm der Sängerin sechs Monatige lang für Shows in Las Vegas zu verwenden. Und ein Hologramm von Tupac tauchte 2012 während des Coachella-Auftritts von Dr. Dre und Snoop Dogg auf – ein vierminütiger Auftritt, der Hunderttausende von Dollar kostete.
Unabhängig davon, wie „bahnbrechend“ sie in kultureller Hinsicht sein sollen, dreht es sich bei all diesen Unternehmungen, ähnlich wie bei der Unstoppable-LP, letztlich ums liebe Geld. Es ist ein Versuch, aus Menschen, die bereits so viel zur Kultur beigetragen haben, ein letztes Mal Kapital zu schlagen. Diese Künstler:innen gingen viel zu früh von uns, aber die Arbeit, die sie uns zu Lebzeiten geben konnten, war wichtig und mehr als genug, um ihr Vermächtnis noch lange nach ihrem Tod aufrechtzuerhalten. Hätte Aaliyah gewollt, dass diese Songs jemals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Wir werden es nie erfahren. Werden die Collabs gut klingen? Vielleicht. Sicher ist nur, dass sich dieses Projekt aus mehreren Gründen nicht gut anfühlt. Es gibt einen richtigen Weg, Menschen wie Aaliyah zu ehren, und ich glaube leider nicht, dass das hier der Fall ist.

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