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Spotify Wrapped ist ein Erfolg für Frauen – aber es gibt ein riesiges Problem

Vor einer Woche war er endlich da, einer der wichtigsten Tage des musikalischen Jahreskalenders: der Spotify-Jahresrückblick, oder „Spotify Wrapped“. Alle Jahre wieder gewährt uns dieser persönliche Jahresrückblick tiefe Einblicke darin, was das ganze Jahr über so in unseren Kopfhörern und Lautsprechern abgeht. Davon, wie viele Minuten wir pro Jahr gehört haben, bis dahin, welche Artists sich in unsere Top 5 geschlichen und damit unsere Coolness komplett zerstört haben (ein Shoutout an dieser Stelle an eine Freundin, deren Top-Künstler:in dieses Jahr der Cast von Glee war): Spotify Wrapped ist nicht bloß ein Deep Dive darin, welche Musik uns zu den Menschen macht, die wir sind – sondern ein Abbild dessen, was unsere Gesellschaft als „gut“ empfindet.
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In den letzten Jahren haben wir beobachten können, dass immer mehr Frauen in den meistgestreamten Artists auf Spotify auftauchen. So sah es aber nicht immer aus: In den Jahren 2013, 2015, 2017, 2018 und 2020 schaffte es nicht eine einzige Frau in die Top 5 der global am meisten gestreamten Artists. Lass das mal kurz auf dich wirken!
Zum Glück wächst die Präsenz der Frauen in unseren Jahresrückblicken – und Playlists generell – in den letzten Jahren immer weiter. 2019 belegten Billie Eilish und Ariana Grande den zweiten und dritten Platz der international meistgestreamten Künstler:innen. 2021 schafften es Olivia Rodrigo und Doja Cat in die Top 5.
2023 setzt sich dieses Muster weiter fort. Auf dem ersten Platz steht dieses Jahr Taylor Swift, die damit Bad Bunny, The Weeknd, Drake und Peso Pluma abhängte. Swift ist somit die erste weibliche Künstlerin, die es global auf den ersten Platz geschafft hat, seit Spotify seinen Jahresrückblick 2015 zum ersten Mal veröffentlichte. Auch der meistgestreamte Song 2023, „Flowers“ von Miley Cyrus mit 1,6 Milliarden Streams seit dem 1. Januar weltweit, stammt von einer Frau. Ähnlich erfolgreich war SZA, deren Song „Kill Bill“ auf Platz 2 landete, während es ihr Album „SOS“ auf den dritten Platz der meistgestreamten Alben schaffte – dicht hinter Taylor Swifts „Midnights“ (Platz 2) und Bad Bunnys „Un Verano Sin Ti“ (Platz 1).
Obwohl nicht behaupten will, dass allein schon die Präsenz einer (1!) weiblichen Künstlerin in den Top 5 eine revolutionäre Veränderung darin darstellt, wie Frauen in der Musikindustrie behandelt werden, ist es doch ein Grund zum Feiern. Eine Studie ergab, dass im Jahr 2022 nur 30 Prozent aller Artists der Billboard-Hot-100-Jahrescharts Frauen waren – und das war schon eine Verbesserung im Vergleich zu 2021 (23,3 Prozent) und ein deutlicher Sprung nach oben im Kontrast zu einem Jahrzehnt zuvor. Obwohl das natürlich eine positive Entwicklung ist, zeigte dieselbe Studie, dass Frauen in der Mainstream-Musik immer noch unterrepräsentiert sind, in einem Verhältnis von 1 (Frau) zu 3,5 (Männern). Auch in der Songwriting-Branche dominieren mit ganzen 86,8 Prozent die Männer. Und trotz dieser Statistik hat es eine Frau geschafft, sich dieses Jahr den Top-Artist-Platz zu schnappen.
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Um das klarzustellen: Das sollte im Jahr 2023 nicht so etwas Besonderes sein. Angesichts der fehlenden Gleichberechtigung im Aufnahmestudio stehen die Chancen einer Frau, es in die Top 5 (oder gar auf den ersten Platz!) zu schaffen, aber nicht gut. Ich bin keine Mathematikerin – aber wenn es die Frauen unter den Songwriters auf nicht mal 15 Prozent bringen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine von ihnen auf Platz 1 der Top Artists weltweit landet, noch geringer. Trotzdem war Taylor Swift erfolgreich – und beweist damit, wie auch viele andere Frauen, dass die Zukunft der Musik weiblich ist. Jetzt muss das „bloß“ noch die Industrie kapieren und in Sachen Repräsentation und Chancengleichheit nachziehen.
Aber obwohl wir uns wünschen, dieser Artikel könnte einfach bloß eine Story rund um den Erfolg von Frauen in der Musikbranche sein, wird dieser Erfolg von der Männerseite der Musikwelt leider überschattet. In den Best-of-Spotify-Wrapped-Listen sind Frauen im Vergleich zu Männern immer noch extrem in der Unterzahl. Und die männlichen Künstler, die in so viele unserer Jahresrückblicke vertreten sind, sind teilweise… besorgniserregend.
Bis zu diesem November war The Weeknd der meistgestreamte Artist weltweit, und der kanadische Sänger Drake landete auf Platz 3. The Weeknd, der mit bürgerlichem Namen Abel Tesfaye heißt, gilt schon seit einiger Zeit als umstritten (und das nicht nur wegen seiner Schauspielerei in der Serie The Idol, die durchwachsene Kritiken bekam), weil viele seiner Lyrics als frauenfeindlich empfunden werden. In seinem Song „The Hills“ von 2015 singt er beispielsweise: „I just fucked two bitches before I saw you“ (z. Dt.: „Ich habe zwei Bitches gefickt, bevor ich mich mit dir getroffen habe“). Esquire sprach ihn später darauf an, wie oft er in seinen Songs das Wort „bitch“ verwendet; daraufhin erklärte Tesfaye, The Weeknd sei „definitiv eine Rolle“, die er spiele – vermutlich, um sich vom Inhalt seiner Songs zu distanzieren. Sein Song „Lost In The Fire“ von 2019 wurde als potenziell homophob kritisiert, weil er darin singt: „You said you might be into girls, you said you’re going through a phase“ (z. Dt.: „Du meintest, du stehst vielleicht auf Frauen, du sagtest, das ist bloß eine Phase“). Klar, The Weeknd ist eine Rolle – aber ist es nicht trotzdem besorgniserregend, dass dieser Charakter, der mit seinen Lyrics potenziell schädliche Messages verbreitet, aktuell einer der meistgehörten Musiker:innen dieser Welt ist? 
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Auch der am dritthäufigsten gehörte Spotify-Künstler, Drake, gilt schon seit Langem als problematisch. Ein Video von 2010 zeigt ihn dabei, wie er ein Mädchen anfasst – und als sie ihm dann sagt, sie sei minderjährig und nur 17 Jahre alt, sagt er, er „könne noch nicht ins Gefängnis“, und fragt sie: „Wieso siehst du so aus? Du bist so kurvig“, bevor er sie küsst. Viele haben ihn außerdem bereits für seine Freundschaften mit jüngeren Frauen kritisiert – unter ihnen die damals 19-jährige Hailey Baldwin, jetzt Bieber (Drake war damals 29), die damals 18-jährige Billie Eilish (da war Drake 33) und die damals 15-jährige Millie Bobby Brown, die sich beim 31-jährigen Drake „Jungs-Ratschläge“ holte. Obwohl wir zwar nicht erklären können, warum sich der Sänger so häufig mit jungen Mädchen anzufreunden scheint, findest du Anschuldigungen dazu überall im Internet.
Obwohl solche Anschuldigungen gegenüber Drake und The Weeknd zwar größtenteils Gerüchte sind, ist es doch Grund zur Sorge, dass ihr fragwürdiges Verhalten immer wieder ein Thema ist – und ihrem Erfolg dennoch nicht zu schaden scheint. In einer Welt, in der es sehr einfach ist, eine:n Artist auf Spotify stummzuschalten, gilt es für manche im Gegenzug als Zeichen von Unterstützung, ebenjene Artists umso häufiger zu hören.
Ja, wir haben große Fortschritte gemacht, was die Repräsentation weiblicher Musikerinnen angeht. Ja, wir freuen uns darauf, dass es immer mehr Frauen in die Listen der meistgestreamten Künstler:innen schaffen und auch unsere eigenen Jahresrückblicke dominieren. Aber wenn es doch nur eine Frau inmitten einer Menge Männer ist – wie sehr sollten wir das wirklich feiern? Und wenn einige dieser Männer in der Vergangenheit schon wegen ihres fragwürdigen Verhaltens gegenüber Frauen aufgefallen sind – sollten wir uns dann nicht fragen, wieso wir die eigentlich immer noch feiern?
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